Zum Nachdenken…

Wiener Staatsoper im Lockdown

Wiener Staatsoper im Lockdown

Obwohl schon einiges über die bedenkliche Situation vieler Künstler geschrieben worden ist, die in der Theater- und Opernszene als Freischaffende durch die Pandemie in ernste Schwierigkeiten geraten sind oder noch werden, und ohne die sich kein Festspiel machen ließe – das nur nebenbei – wird in offiziellen und offiziösen Stellungnahmen zu den Auswirkungen von Lockdowns und ähnlichen Restriktionen des öffentlichen Lebens doch beharrlich übersehen, wenn nicht gar verschwiegen, dass es eine Theater- und Opernszene gibt.

1. Am 19. Dezember 2020 kam in der Wiener „Presse“ ein Artikel mit dem Titel „Österreichs dritter Lockdown im Überblick“ heraus. Die davon vor allem betroffenen Sektoren werden in folgender Reihenfolge genannt:
HANDEL, GASTRONOMIE/HOTELLERIE, SCHULE, KINDERGÄRTEN, FRISEURE und CO., SPORT, KULTUR

Folgender Text ist zu der wieder einmal an letzter Stelle, also auch noch nach den „Friseuren und Co.“ genannten Kultur zu lesen:

„Kaum offen, müssen Kultureinrichtungen wie Museen schon wieder schließen. Ab 18. Jänner sollen dafür neben ihnen etwa auch Theater und Konzerthäuser wieder aufmachen. Besuchen kann man Veranstaltungen aber nur nach negativem Corona-Test. Außerdem sind indoor maximal 500 Besucher erlaubt, outdoor 750.“

Man tastet sich also an den nicht nur hier so bedeutenden Theater- und Opernsektor mit dem leicht diffusen „etwa auch“ heran. Und das in einem so prominenten und sowohl von seiner kulturellen Schöpfungsgeschichte wie von seiner weltweit beachteten Theaterkultur her (man denke nur an Burgtheater und Staatsoper) international renommierten (da fällt einem sofort das Neujahrskonzert ein) Kulturland Österreich. Beide genannten Häuser werden mit dem Musikverein allgemein als Österreichs kulturelle Leuchttürme geführt, sind oft weltweite Referenz ihrer Fächer. Und man hört – sicher scherzhaft – bisweilen, dass es wichtiger sei, wer in Wien Staatsoperndirektor ist als Bundeskanzler… Nach der Wiener Oper ist die U-Bahn-Station, die täglich von Tausenden Wienern und anderen passiert wird, „Karlsplatz/Oper“ benannt. In Paris gibt es eine Station mit dem Namen „Opéra“, wie auch in manchen anderen Städten Europas. Opernhäuser sind nicht nur architektonische Anziehungspunkte für den internationalen Städtetourismus von außen, oder gar Führungen von innen, oft aber auch mit Vorstellungen auf der To do-list solcher Touristen – und wenn es nur zum 1. Akt oder Aufzug auf Stehplatz ist. Gar keine Rede ist hier von den Museen.

Warum also wird dieser auch für die Tradition bedeutenden europäischen Kulturgutes so wichtige Theatersektor so stiefmütterlich behandelt?! Man hat fast schon den Eindruck, dahinter stecke Absicht oder gar System. Oder ist es doch einfach nur Ignoranz und Desinteresse, weil man in der Politik oder als Politiker nicht viel davon hat, was ja in der Tat kaum zu widerlegen ist?

Facebook-Seite von Zeit im Bild am 18.12.2020

Facebook-Seite von Zeit im Bild am 18.12.2020

2. Im Nachbarland Deutschland, sicher in ähnlich prominenter Lage, was die Schöpfung von Musik-, Theater- und Opernwerken sowie ihre Theatertradition angeht, ist es leider nicht viel anders. Gerade gestern sprach der Bundespräsident in seiner Weihnachtsansprache, als er zum Kultursektor kam, gerade noch von „Kino und Konzert“. Die Begriffe Theater und Oper waren nicht zu vernehmen.

3. Auf der Facebook-Seite der ZIB Österreich (facebook.com/Zeitimbild/) vom 18. Dezember 2020 konnte man folgendes Tableau zum kommenden Lockdown in Österreich sehen:

Auch wenn diese Aufführung – vielleicht platzbedingt – recht kurz ist, so hätte man m.E., wenn man schon die Gastronomie/Hotels und die Skilifte erwähnt, auch den Kultursektor mit einer Zeile würdigen können. Im Umkehrschluss möchte man aber gern mal fragen, wie ein Österreich aussähe, in dem es keine Kultur, also keine Theater- und Musikszene sowie Museen und Kinos gäbe, wohl aber alle Skilifte in Betrieb sein dürften… Die Antwort gebe sich jeder selbst. Im EU-Land Bulgarien hält übrigens der Kultusminister Banov auch im dortigen Lockdown alle Theater und Opernhäuser mit einer Auslastung bis zu 30 Prozent offen. Dort hat man die Relevanz solcher Veranstaltungen gerade in dieser Zeit erkannt, ja sie im Prinzip als sozio-emotional systemisch erklärt. Ähnlich in Spanien.

Phantasievoll gesperrte Sitze in der Sofia Oper

Phantasievoll gesperrte Sitze in der Sofia Oper

Die Pandemie hat also schlagend offenbart, wie die Elite hierzulande den Kultursektor politisch einschätzt, bzw. geringschätzt. Ein Signal in dieser Richtung ist wohl auch, dass zu einem Theaterbesuch – man mag es kaum glauben – demnächst ein negativer Corona-Test (s.o.) vorgelegt werden muss, sicher eine viele abschreckende Bedingung. Dabei ist die Fahrt mit der zu genau jener Zeit vollbesetzten U-Bahn zum Theater oder der Oper um ein Vielfaches ansteckungsriskanter als vor und im Theater selbst sowie danach. Man fragt sich, warum man nicht an das Experiment der Salzburger Festspiele 2020 denkt, die bei fast 50-prozentiger Auslastung der Sitze in fast allen Veranstaltungen keinen einzigen Ansteckungsfall hatten, dies zu Recht als großen Erfolg herausstellten und nun in diesem Sinne auch schon ihren Spielplan 2021 vorgelegt haben. Das ist doch Evidenz genug! Oder?! Und dazu noch im eigenen Land. Oder traut man den „normalen“ (Abo)-Theater/Opernbesuchern weniger Disziplin zu als den Festspielgästen? Beide sind das disziplinierteste Publikum überhaupt, das man sich vorstellen und wünschen kann.

Die Gründe für solche Entscheidungen mögen vielfältig sein, nachzuvollziehen sind sie indes nicht, auch kaum zu verstehen und zu vermitteln. Wäre es möglich, dass sich die bedeutendsten Theater-, Opern-, Konzert- und Museumsdirektionen, durchaus auch in Konsultation mit den Kinodirektionen, zusammenschließen, um die Regierung für die Bedeutung ihrer Mission und Aufgaben zu sensibilisieren, dann könnte manches anders sein. (Gleiches gilt auch für Deutschland). Leider scheint aber das bisherige, eher von Konkurrenzdenken um staatliche Subventionen gekennzeichnete Agieren, „seit Menschengedenken“ angesichts der stets völlig unbestrittenen Relevanz all dieser Institutionen fest verankert, einem gemeinsamen Ansatz entgegen zu stehen.

Die Zeiten haben sich durch die Pandemie nun verändert. Sie könnten sich für den Kultursektor gefährlich verändern, wenn es so weitergeht!

Fotos: K. Billand; 1,3; Zeit im Bild 2

Klaus Billand

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