STEFAN VINKE - Wagner-Heldentenor - Lissabon Oktober 2009
Als Siegfried in der R. Carsen "Ring"-Produktion (Foto: Wolfgang Koch)
Ebenso behende wie auf der Bühne in der Premiere der „Götterdämmerung“ am Abend zuvor springt Stefan Vinke am Sonntagmorgen zu unserem Interviewtermin aus dem kleinen Bondi oberhalb des altehrwürdigen Teatro Nacional São Carlos aus dem 18. Jahrhundert. Das Bondi durchstreift die Hügel von Lissabon wie die cable car die von San Francisco. Nur Einheimische kennen sich wirklich mit dem Fahrplan und der Routenführung aus – kein Problem für Stefan Vinke und symbolischer Hinweis auf seine unkomplizierte und authentische Herangehensweise an neue Situationen – eben ganz Siegfried! Das konnte man in diesem „Ring des Nibelungen“ in der unkonventionellen Regie des Engländers Graham Vick schon im „Siegfried“ und nun auch in der „Götterdämmerung“ bewundern. Die Handlung spielt auf einer Holzplatte im Parkett wie beim Wiener Opernball (Bericht in diesem Heft). Vinke kam mit dem großen Freiraum bestens zu recht. Dazu bestach er wieder durch seine unglaubliche physische Kondition, sein festes, in der Tiefe baritonal gefärbtes Timbre sowie seine stählerne und strahlende heldentenorale Höhe. Stefan Vinke war mir erstmals beim „30-Stunden-„Ring“ aufgefallen, den der damalige Operndirektor Christoph Dammann in Köln im März 2006 aufführen ließ. Mittlerweile ist Dammann Opernintendant am Teatro Nacional São Carlos von Lissabon (TNSC). Auch Vinkes Einspringen als Siegfried im Weimarer „Ring“ mit Catherine Foster als Brünnhilde (Interview ebenfalls in diesem Heft), sowie sein Lohengrin in Leipzig mit Marion Ammann hatten mich sehr beeindruckt, sodass ich mich freute, diesen Interviewtermin in Lissabon noch am Vorabend bei der Premierenfeier zu bekommen.
Die Anfänge: Stefan Vinke stammt aus Osnabrück und ist 41 Jahre alt. Zehn Jahre ist es gerade her, dass er seinen ersten Wagnerabend gesungen hat. Seine erste Wagnerpartie war der Erik im „Fliegenden Holländer“. Er stammt aus einer Familie ohne künstlerischen bzw. musikalischen Hintergrund – der Vater war Maschinenbaumeister. Aber wer hätte das gedacht: Vinke wollte eigentlich gar nicht Sänger werden! Er wollte erst Akkordeon lernen. Der Großvater finanzierte ihm den Akkordeon-Unterricht. Während der 5. Klasse Musikunterricht rief der Lehrer den Vater an und empfahl ihm, den Sohn Klavier lernen zu lassen, worauf der Vater mitteilte, dass man kein Klavier besitze (später sollte sich der Vater am unerwarteten Werdegang des Sohnes begeistern). So gab der Schullehrer dem jungen Stefan kurzerhand die Klavierstunden und riet ihm obendrein, noch ein zweites Instrument zu studieren, falls er später einmal mehr mit Musik anfangen wolle. Also lernte er bei ihm auch noch Kontrabass. Im Laufe seines Klavierunterrichts merkte Stefan Vinke aber recht bald, dass er Kirchenmusiker werden wollte, zumal man einen Organisten in der katholischen Pfarrei brauchte. Nach dem Abitur bestand er die Aufnahmeprüfung in Köln für Kirchenmusik, absolvierte das A-Examen und bekam eine Stelle als Kirchenmusiker in Köln, ein moderner Palästrina sozusagen…
Als Lohengrin in Leipzig (Foto: Andreas Birkigt)
Der Entdecker Stefan Vinkes: Da es damals einen Mangel an Frauenstimmen im Kirchenmusikinstitut gab, sang Vinke oft die Altstimme(n). „Wenn man so will, hat sich meine Stimme von oben nach unten entwickelt“. Wer Vinkes Höhe gehört hat, kann das sofort nachvollziehen. Auch wenn er immer „auf der Orgelbank sitzen bleiben wollte“, bekam er bei Arthur Janzen in Köln Gesangsunterricht, lernte zunächst jedoch nur Lied- und Oratorienliteratur. Es machte ihm zwar Spaß, aber er konnte sich nicht vorstellen, einmal professionell zu singen. „Ich war Kirchenmusiker!“ Arthur Janzen erkannte aber das Talent und ließ nicht locker. So machte Stefan die Aufnahmeprüfung für Gesang an der Kölner Opernschule, hatte aber immer noch nicht so recht Interesse daran. „Ich wurde eher in die Opernschiene geschoben“ meint er mit einem verschmitzten Grinsen.
Schließlich doch die Oper! Eines Tages bat ihn der Leiter der Opernschule, sechs Szenen in Spielopern zu singen, da er ja als Tenor in der Gesangsklasse eingeschrieben war. „Gezwungenermaßen habe ich diesen Abend im Januar 1994 in der Aula der Hochschule gesungen, denn sonst hätte mir die Exmatrikulation gedroht.“ Tags darauf erhielt er einen Anruf von Frau Reinike, die ihn zum Intendantentreffen für Nachwuchssänger in Mannheim anmelden wollte. Bis dahin hatte Stefan Vinke noch keine einzige Oper gesehen – die erste war der „Fliegende Holländer“ in Köln 1994. Der damalige Intendant Könemann in Karlsruhe bot ihm ein Engagement an, er blieb zwei Jahre. Seine erste Rolle war der erste Strolch in Orffs „Die Kluge“. Vor Saisonende 1996 kam den Vereinigten Städtischen BühnenKrefeld und Mönchengladbach der Haustenor abhanden, da er eine Professur in den USA antrat. Vinke wurde nur für ein Jahr engagiert, sang den Tony in der „Westside Story“, Freddy, den jungen Diener in „Elektra“, sowie den Tenorpart in der „Czardasfürstin“. Bis dahin lief alles ohne Agentur, als wenn er sich immer noch nicht recht dem Operngesang verschrieben hätte. Stefan Vinke war in Karlsruhe nicht recht glücklich, suchte eigentlich immer noch eine Stelle in einem Rundfunkchor…
Wichtige Förderer: Nun aber wollte er es endlich selbst wissen und arbeitete mit Anthony Bramall, dem GMD in Krefeld und Mönchengladbach, der ihn nach und nach praktisch alles singen ließ. „Von der „Johannes-Passion“ über das „Verdi-Requiem”, von Hoffmann bis Hauptmann im „Wozzeck“ alles, wo Tenor davor stand, 70 bis 80 Abende pro Spielzeit!“ Und Vinke traf zu dieser Zeit eine große Lehrerein, Edda Moser, die eine Professur in Köln hatte. „Arthur Janzen war ja kein Opernmensch, wenngleich er mich erst zum Gesang gebracht hat.“ Moser erklärte Vinke gleich zu Beginn „Sie sind ein Heldentenor!“ und drückte ihm eine Kopie der Partitur zu „Ein Schwert verhieß mir der Vater“ in die Hand mit dem Kommentar: „Das werden Sie eines Tages singen.“ Sie studierte mit ihm erst einmal das Arienrepertoire ein, die Partien sollten erst später folgen. Dazu meint er mit dem Brustton der Überzeugung: „Man kann sich auf Arien verlassen, das macht sicher. Man muss nicht gleich die ganze Partie von A bis Z lernen, um zu wissen, wo man mit der Stimme steht. Sicher sind daneben die Ensemble-Übungen, auch das Singen mit dem Chor, wichtig. Das fördert den musikalischen Überblick.“
Wichtige Zeit in Mannheim: Als Robert Dean Smith 1998 in Bayreuth einsprang, brauchte man in Mannheim einen neuen Heldentenor. Nach einem ersten Vorsingen auf der Bühne vor Jun Märkl gab es noch eine sog. „Arbeitsprobe“ im GMD-Zimmer. „Märkel ließ mich 13 Arien singen, die Gralserzählung und „Höchstes Vertrau’n“ aus „Lohengrin“, die Kavatine des Erik, Max, „Mahagonny“, „Ein Schwert verhieß mir der Vater“ etc. „Viel später fragte ich, was das sollte. Man antwortete: „Ein Konditionstest!“ Dann kamen seine Rollendebuts als Erik in Mannheim im September 1999, im Oktober als Siegmund, im November als Lohengrin, im Dezember als Eisenstein, im Januar 2000 als Florestan, im März als Parsifal. Dazwischen noch eben der Prophet in Schmidts „Das Buch mit den sieben Siegeln“ – ein wahrer Marathon! Mit besonderer Begeisterung schwärmt Stefan Vinke von der Tenorrolle in Elgars „Dream of Gerontius“, ein Oratorium mit Mezzo und Bass. „Eine Riesen-Tenorrolle!“
Seit 2006 fest in Leipzig: Nachdem es 2004 in Mannheim einen Intendantenwechsel gab, arbeitete Vinke ein Jahr ohne festes Engagement, u.a. in Saarbrücken und Halle. Axel Joliet, der Leipziger Operndirektor, hörte 2006 von ihm einen Tristan in Halle und bot ihm gleich in der Garderobe („ich war nicht einmal ganz angezogen“) einen Vertrag in Leipzig an. Ein Handschlag besiegelte den Deal, der bis heute gilt.
Was bedeutet ihm Richard Wagner? „Wagner bedeutete mir in meiner musikalischen Entwicklung mehr als alle anderen Komponisten. Er hat weit mehr als die Meisten vor ihm die Harmonik verändert und weiterentwickelt. Eigentlich hat nur noch Johann Sebastian Bach das Musikleben seiner Zeit gleichermaßen stark verändert und beeinflusst.“ Auch wenn er den Mythos bei Wagner schätzt, möchte Vinke dennoch eine wahre Geschichte erzählen, beispielsweise in der Gralserzählung. „Vielleicht ist das alles sogar realer, als manche glauben. Ich fühle mich dabei sehr wohl, will nicht in Scheinwelten eintauchen sondern den Inhalt realistisch und verständlich rüber bringen.“ Die größte Bedeutung misst Stefan Vinke dem Tristan bei, dann dem jungen Siegfried und Rienzi.
Sein Vorbild: „Das ist Jess Thomas! Unvergleichlich sein so fleischiger Lohengrin mit dieser satten, warmen Stimme und der hervorragenden Diktion.“
Seine noch unerfüllten (aber wohl erfüllbaren) Wünsche: „Nach einem trachtet mein Sinn“: Kaiser in der „Frau ohne Schatten“ von Richard Strauss. Auch einen Otello würde Stefan Vinke gern singen, nachdem er den Canio letztes Jahr in Dortmund schon verkörpert hat. Das bringt mich zur Frage, wie es mit dem für Heldentenöre so wohltuenden italienischen Fach stehe. „Es ist einfach sehr schwer, von der Wagner-Schublade wegzukommen. Ich bin mir der Notwendigkeit der Stimmpflege mit dem italienischen aber auch dem französischen Fach sehr bewusst. Allein, die Opernhäuser bieten es uns Heldentenören nicht an. Das muss immer der lyrische Kollege am Haus singen.“
Kommende Auftritte: 2010 wird er für die neuen „Meistersinger“ in Leipzig den Stolzing einstudieren, die einzige noch nicht gesungene Wagner-Rolle, wenn man vom Loge absieht, den er aber erst viel später für relevant hält. Im Frühjahr 2010 kommt der Don José in Leipzig, und im April wird Stefan Vinke im alten Götz-Friedrich-„Ring“ an der DOB die jungen Siegfriede singen. Im Mai/Juni ist endlich ein ganzer „Ring“ mit Catherine Foster in Köln programmiert. Die beiden scheinen mir auch das ideale Paar für den neuen Bayreuther „Ring“ 2013 zu sein. 2010 wird er den Siegfried in den kompletten „Ring“-Zyklen in Venedig und Lissabon singen sowie den Bacchus an der Bastille. 2011 folgt dann wieder Tristan in Leipzig und Hongkong.
Klaus Billand