Buch-Präsentation und Lesung „Verbannung“, Hauptbücherei Wien - 16. Oktober 2013

Luis Krausz

Luis Krausz

Anlässlich der Rolle Brasiliens als Gastland bei der Frankfurter Buchmesse 2013 veranstaltete die Hauptbücherei Wien am Gürtel Mitte Oktober eine interessante und gut besuchte Lesungs-Serie brasilianischer Autoren, unter anderen auch des durch seine dezidierte Gesellschaftskritik auf der Frankfurter Buchmesse hervor getretenen Luiz Ruffato. Am 16.10. las der 1961 als Kind aus Österreich exilierter Juden in São Paulo geborene Luis S. Krausz aus seinem 2011 erschienenen Roman „Verbannung – Erinnerungen in Trümmern“ (auf Portugiesisch „Desterro: Memórias em ruínas“). Krausz studierte klassische Philologie und Hebräisch an der Columbia University of Pennsylvania und an der Universität Zürich. Er ist Autor einer Reihe literarischer Werke und übersetzte Elfriede Jelineks „Die Klavierspielerin“, „Das Nibelungenlied“ und Gustav Schwabs „Sagen des klassischen Altertums“ ins Portugiesische. Auf Einladung der Biblioteca Nacional war Krausz Mitglied der offiziellen Delegation brasilianischer Autoren bei der Frankfurter Buchmesse 2013. „Desterro: Memórias em ruínas“ wurde bereits mit dem Prêmio Benvirá de Literatura 2013 ausgezeichnet.

Luis Krausz mit Verena Cathrin-Bauer

Luis Krausz mit Verena Cathrin-Bauer

Ich kenne Luis S. Krausz persönlich seit vielen Jahren, als er noch Lektor und Redakteur am Jüdischen Gemeindezentrum von São Paulo im Stadtteil Sumaré war und die Zeitschrift „Revista 18“ (Zeitschrift des Lebens) herausgab. Ich konnte über eine Reihe von Jahren die Ausstellungen des Jüdischen Museums Wien für diese „Revista 18“ besprechen, insbesondere jene über jüdische Musiker mit historischem Wien- und Österreichbezug.

Die Literaturwissenschaftlerin Verena-Cathrin Bauer moderierte die Lesung, die auf Portugiesisch und – in der Übersetzung von Manfred von Conta – auch auf Deutsch erfolgte. Krausz schilderte, dass der Anlass für den Roman eine unerwartete Einladung des Jüdischen Museums Berlin war, über deutschsprachige Juden zu recherchieren, die nach Brasilien ausgewandert waren. Er sollte dazu Interviews in Brasilien machen. Es leuchtete ihm dabei ein, dass dies eine Welt war, die im Begriff war, völlig zu verschwinden. „Es waren viele alte Leute ohne Beziehung zur deutschen Kultur.“ So entschloss er sich, seine Erfahrungen mit dieser Studie, die zur einer Ausstellung im Jüdischen Museum Berlin führte und zu der ein Katalog mit dem Titel „Heimat und Exil“ heraus gekommen ist, im Rahmen des Romans „Verbannung“ aufzuzeichnen. Es handelt sich also nicht um eine Autobiographie, was angesichts seines eigenen Lebensweges vielleicht nahegelegen hätte. Krausz schildert neben Geschichten aus seinem eigenen Umfeld andere plausible Geschichten, wie sie sich immer wieder abgespielt haben und abgespielt haben könnten.

L. Krausz

L. Krausz

Die meisten Auswanderer waren vor dem I. Weltkrieg ausgewandert und wollten mit der Pflege der alten Bräuche gute Erinnerungen an ihre alte Heimat bewahren. „Sie wollten wieder deutsch sein – aber in Brasilien“ so Krausz, und die späteren wegen der Judenverfolgung Ausgewanderten wollten sich ein Bild von Europa vor 1933 bewahren – sozusagen wie Stefan Zweig in „Das Bild von gestern“ (Petropolis bei Rio). Die Auswanderer der 1920er Jahre gingen weg um abzuwarten, sie wollten zurück nach Deutschland kommen. Dann entwickelte sich aber leider alles ganz anders, und sie blieben für immer. Krausz bezeichnet seinen Roman als so etwas wie die „Deponie verlorener Stunden“. Dabei ist ihm wichtig zu unterstreichen, dass die Auswanderer, obwohl sie Juden waren, ihr Deutschtum bewahren wollten. Sie fühlten sich weiterhin als Deutsche mit jüdischer Tradition, was im übrigen auch der jüdischen Emanzipation des 19. Jahrhunderts entspricht.

Alles, was von Deutschland mitgebracht wurde, hatte gewissermaßen eine ganz besondere Aura. Krausz erinnert hier beispielsweise an die von den Nazis begrenzte Mitnahme von Essensbesteck, die sich auf ein Messer, eine Gabel und einen Löffel pro Person beschränkte… Er liest dazu aus dem amüsanten Kapitel VI „Die Uhren“, indem er schildert, dass „von allen österreichisch-ungarischen Obsessionen meiner Familie keine den Umfang erreicht hat, den das besessene Sammeln von Uhren mit der Zeit annahm. … Meine Mutter teilte einen eigenen Raum für die Aufnahme der wachsenden Zahl gesammelter Uhren ab. Uhren mit Glockenspielen, Wanduhren, Tischuhren, Kaminuhren, Armbanduhren, Taschenuhren vermehrten sich in unserem Haus wie die ägyptischen Plagen und kamen von Antiquitätenhändlern und Flohmärkten aller Welt…“ Die Bibliothek musste diesem rasant wachsenden Uhrenlager weichen, und dem Vater oblag es, die Uhren jeden Tag aufzuziehen – eine Bürde, nach der er nach Abschließen des Uhrenzimmers jeden Tag aufseufzte. Immerhin hielt ihn das aber nicht davon ab, im Laufe der Zeit ein akribisch geführtes, mit fünfstelligen Registriernummern versehenes Uhren-Verzeichnis anzulegen…

Publikumsfragen

Publikumsfragen

Auf der anderen Seite gab es aber auch Familien, die nur das Nötigste von Brasilien wissen wollten, um dort leben zu können. Viele waren in der brasilianischen Industrie beschäftigt, die gleich nach dem I. Weltkrieg ihren Aufschwung begann. Dabei gibt es, auf Nachfrage aus dem Publikum, alle möglichen Nuancen und auch keine Unterschiede zwischen Exilanten in São Paulo und Rio de Janeiro sowie anderen Städten „Ganz gleich, ob São Paulo, Rio oder Tel Aviv – es gab immer die gleichen Wohnformen und Bräuche“ so Krausz. „Man war immer zu Hause.“ Auf meine Nachfrage, ob sich die Exilanten auch in Kunst und Kultur Brasiliens engagiert hätten, stellte Krausz fest, dass viele schon bald angefangen hatten, Konzerte zu geben und sich auch ganz allgemein im kulturellen Leben zu engagieren – ebenso auch in den Naturwissenschaften. So wurde die Hochschule für Chemie von jüdischen Einwanderern gegründet, sowie die heutige Fakultät für Biologie in Rio.

In einem berührenden Nachwort, „Über die Kunst, Zeugnis von der Verbannung zu geben“, schildert Márcio Seligmann-Silva seine Eindrücke des Romans von Luis Krausz: „Wie eine Arche Noah nimmt dieses schöne und einzigartige Buch die aus der Katastrophe geretteten Fragmente einer Assimilation an das europäische bürgerliche Leben auf. Zwischen den Trümmern ziehen an uns nicht nur gescheiterte Biografien vorüber, sondern auch die Dokumente dieser Assimilationsversuche. Es kann wie eine Brücke gelesen werden, die zu unserer eigenen Vergangenheit führt und die Verbindung zu ihr wieder herstellt. … Aber die Arbeit der Erinnerung ist voll der Überraschungen. Im Zuge der Entzauberung durch perfekt ineinander gefügte Worte und scharf gedrechselte Sätze entsteht unversehens eine Welt umgeben von einer Aura. … Wir stehen vor einer Elegie zu Ehren einer untergegangenen Welt. Es ist eine Huldigung an die Toten, und an die Lebenden auch.“

Ref. „Desterro: Memórias em ruínas“, Luis Krausz, Tordesilhas, São Paulo 2011. Deutsche Erstausgabe „Verbannung – Erinnerungen in Trümmern“, Berlin 2013 Hentrich & Hentrich Verlag Berlin, ISBN 978-3-942271-81-3, 165 S. Aus dem brasilianischen Portugiesisch übersetzt von Manfred von Conta. In der Reihe „Jüdische Spuren“ Band 3, hrsg. Von Liliana Ruth Feierstein.

Fotos: Alice Leal

Klaus Billand