SZOMBATHELY/Ungarn: „Faust“ semi-konzertant - 14. Februar 2015
Packende Oper abseits des ungarischen Mainstreams…
Alte Synagoge mit Bartók-Saal
Im ungarischen Szombathely nahe der österreichischen Grenze zum Burgenland veranstaltet das Savaria Symphonieorchester seit einigen Jahren eine bemerkenswerte Konzert- und Opernreihe im Bethaus der alten Synagoge, das in Abstimmung mit der jüdischen Gemeinde von Szombathely im Jahre 1970 zu einem Konzertsaal mit dem Namen Bartók-Saal umgestaltet wurde.
Bartók-Saal
Tamás Mérei war der Gründungsdirektor des Programms und hat vor kurzem das Management an Barna Kiss übergeben. Nach gewissen finanziellen Problemen will man nun mit Unterstützung der Stadt die Konzertreihe behutsam weiterentwickeln. Das Savaria Orchester hat bereits eine relativ lange Tradition und firmiert seit 1962 als Symphonieorchester. Es ist laut Direktor Kiss eines der besten Orchester des Landes und hat den Status „Nationalorchester“. Im Sommer gibt es an einem alten römischen Tempel in der Stadt zusätzlich eine Freilichtaufführung, immer in der letzten Juliwoche. In dieser Saison spielte man neben einer Reihe von Konzerten im Bartók-Saal bereits „Cavalleria Rusticana“ von P. Mascagni und den „Bajazzo“ von R. Leoncavallo an einem Abend, nun „Faust“ von Ch. Gounod, und es folgt noch „Lucia di Lammermoor“ von G. Donizetti im April.
Regisseur Albert Mányik
Albert Mányik ist, wenn man so will, der Hausregisseur für die Opern, denn er inszeniert hier schon seit vier Jahren, hat u.a. „Carmen“ und „Madama Butterfly“ inszeniert, und nun auch den „Faust“ von Gounod. Die Sängerdarsteller, und man kann sie ruhig alle so bezeichnen, denn sie brachten neben der sängerischen auch eine lebhafte schauspielerische Leistung an diesem Abend, agieren auf der Vorderbühne vor Dirigent und Orchester. Mányik legte unter Verwendung nur weniger Requisiten offenbar sehr viel Wert auf eine detailliert ausgearbeitete Personenregie, denn die Interaktion der Sänger war bisweilen so intensiv, dass man bisweilen völlig vergaß, es hier nicht mit einer vollständigen Inszenierung zu tun zu haben.
Francesco Ellero D’Artegna und Csaba Gaál
Mit großer Spannung gelangen insbesondere die Szenen zwischen den beiden Gästen aus Italien, Francesco Ellero D’Artegna als Mephisto und Giorgio Casciarri als Faust sowie die Momente zwischen Orsolya Sáfár als Margarethe und den beiden. Ellero D’Artegna kommt schon optisch dem Erscheinungsbild des Mephisto sehr nahe, wirkt den ganzen Abend über wie die intellektuelle Triebkraft des Geschehens – er scheint die Rolle gewissermaßen im Blut zu haben. Sein prägnanter und höhensicherer Bassbariton spricht auf allen Lagen bestens an, und er kann ihn bei bester Diktion auch ausdrucksvoll phrasieren. Giorgio Casciarri als Faust wird hier als schon etwas abgetakelter Lebemann gezeigt, der noch mal die letzten Versuche unternimmt, den Reiz der Jugend zu genießen. Das macht er darstellerisch ebenfalls sehr intensiv und hat dabei einen Tenor mit viriler Färbung und einer gewissen Italianità, der zu emotionellen Ausbrüchen bei gleichwohl guter Klangbildung fähig und auch höhensicher ist. Beeindruckend sein dramatischer Aplomb bei seinem „Je t´aime“ zu Margarethe im 1. Akt. Immer wieder beeindruckt Casciarris ausdrucksstarke Mimik in den Szenen mit Mephisto und Margarethe.
vlnr: Giorgio Casciarri, Orsolya Sáfár, Lajos Geiger, Melinda Heiter
Orsolya Sáfár führt sich sehr lyrisch mit ihrem Lied an den König von Thule ein und spielt im weiteren Verlauf eine äußerst emphatische und bis zu den Grenzen des Möglichen alle ganzen Höhen und Tiefen der Rolle auslebende Margarethe, das war wirklich eindrucksvoll! Auch stimmlich kommt die zierliche Sáfár mit den Anforderungen der Rolle mit ihrem kultivierten und exzellent geführten Sopran bestens zurecht. Sie singt ein wahrlich berückendes Finale mit einer Expressivität in Stimme und Darstellung, die man von ihr auch mal auf einer größeren Bühne erleben möchte. Sáfár ist im sprichwörtlichen Sinne eine Sängerdarstellerin und ein ganz großes Talent. Sie konnte das übrigens auch schon in einem Einakter von Menotti „The Telephone“ im September 2014 vor der Budapester Staatsoper unter Beweis stellen (der Merker berichtete), zu deren Ensemble sie wie auch die anderen ungarischen SängerInnen dieses Abends gehört.
Das gesamte Ensemble beim Schlussapplaus
Die junge ungarische Mezzosopranistin Melinda Heiter gestaltet nicht nur einen stets besorgten und einfühlsamen Siebel, sie singt ihn auch mit ihrer wohlklingenden und farbigen Stimme auf oftmals lyrisch berückende Art und Weise. Heiter kann gut phrasieren und offenbart viel Herz im stimmlichen Vortrag – sehr glaubhaft also ihre Enttäuschung, als die Blume in ihrer Hand verwelkt. Mit der an diesem Abend gespielten sog. Bärenreiter-Ausgabe sang sie neben ihrer großen Arie auch noch eine Kavatine im 4. Akt. Lajos Geiger ist ein markanter Valentin mit einem hellen und gut geführten Bariton, in der Höhe allerdings nicht immer ganz stabil. Beeindruckend gestaltet er jedoch sein Ende mit dem Fluch auf Margarethe. Csaba Gaál als Wagner und Andrea Lehöcz als Marthe fügen sich mit guten Stimmen harmonisch in das Sängerensemble ein. Die von Mátyás Antal sehr gut einstudierten Chöre singen von den Seitengängen des Parketts und manchmal auch vom dahinter liegenden Foyer aus, was ein sehr gutes und den ganzen Raum füllendes Klangbild ergab, zumal die Ensembles stimmstark und mit guter Transparenz agierten. Im Übrigen merkte man allen Beteiligten ein hohes Maß an Engagement bei der Aufführung dieses „Faust“ an – das war weit mehr als andernorts bekannte Opern- bzw. Repertoireroutine.
Thomas Herzog mit dem Savaria Symphonieorchester
Der aus Basel eingeladene Dirigent Thomas Herzog leitete die Aufführung mit viel Verve und offenbar großer Versiertheit hinsichtlich der herrlichen Musik Charles Gounods. Er konnte mit lebhaftem Engagement am Pult sowohl das überwiegend aus jungen MusikerInnen bestehende Savaria Symphonieorchester mit einem offenbar erfahrenen und viel Ruhe ausstrahlenden Konzertmeister sowie die Chöre und Solisten beherzt zu den Leistungen anspornen, die aus diesem „Faust“ ein intensives Erlebnis werden ließen. Herrlich federnd gelang der Walzer, immer wurde an den entsprechenden Stellen eine gute Rhythmik und Harmonie erzielt. Im Finale des 2. Aktes zeigte das Orchester auch, was es an Expressivität zu bieten hat. Die lyrisch romantischen Momente zwischen Faust und Margarethe erklangen hingegen gar schwelgerisch. Im 4. Akt spielte der Sohn von Direktor Barna Kiss die imposante Orgel hinter dem Orchester, während Mephisto seine Drohungen aus der Höhe des 1. Rangs auf Margarethe niederschmetterte – ein besonders starker Moment des Abends! Trotz relativ weniger Proben konnte das Savaria Symphonieorchester mit diesem „Faust“ nachdrücklich auf sich aufmerksam machen. Man darf gespannt sein auf weitere Abende in Szombathely, und vielleicht sollten nicht nur Burgenländer, sondern auch ein paar Wiener Opernliebhaber dort einmal vorbeischauen.
Fotos: Klaus Billand
Klaus Billand