Berlin/DOB: Cavalleria Rusticana und Der Bajazzo - 20. September 2019

Gelungene Verquickung von Cav./Pag.!

Am Vorabend der zyklischen Aufführung des „Ring des Nibelungen“ an der Staatsoper Berlin besuchte ich die mittlerweile 40. Aufführung der 2005 in der Regie von David Pountney herausgekommenen „Cavalleria rusticana“/„Pagliacci“-Produktion. Es stellte sich schnell heraus, dass diese beiden italienischen Verismo-Klassiker mehr Spannung, ja – durch die Weltklasse-Besetzung der beiden männlichen Hauptrollen von „Pagliacci“ – sogar Sprengstoff in sich hatten als „Das Rheingold“ am Abend darauf in der Berliner Staatsoper…

Die Prozession

Die Prozession

Cavalleria rusticana

Ganz anders als die klassische Ponnelle-Inszenierung in Wien legt Pountney beide Stücke ein wenig verfremdend an, verknüpft sie direkt miteinander, als wären es zwei Akte eines Stücks (dabei haben – de facto – beide Opern je zwei Akte), was allerdings nicht ganz aufgeht. Er stellt schon zu Beginn eine Ästhetik der Desillusion dar, die im bedingungslosen Glauben an die Dorf-Madonna sowie an das Leiden Jesu, seine Kreuzigung und in den einschlägigen katholischen Heiligen Hoffnung sucht, aber auch das für Italien so typische Nicht-Weitergehen bis hin zum zentralen Thema des Todes in den Vordergrund. Damit wirkt die Pountney-Inszenierung auch heute noch aktuell und anspruchsvoll.

Die Heiligen

Die Heiligen

Wer kennt sie nicht, der schon einmal durch Italien gefahren ist, die halbfertigen Autobahnbrücken, bei denen aus den verschiedensten Gründen nichts weiterging, mit ihren rot-weißen Sperrschildern, die hier im Bühnenbild von Robert Innes Hopkins, der auch für die passenden Kostüme verantwortlich zeichnet, gute Auftrittsmöglichkeiten für den Chor und deren Pfeiler gute Versteckmöglichkeiten für unzulässige Beobachter bieten. Auf einer unter der Brücke liegenden Abfahrt kommt Alfio mit seinem klapprigen Lieferwagen herein und bringt Mutter Lucia, die links gerade ihren kleinen mobilen Krämerladen aufmacht, das Obst zum Morgen. Dörfliche Idylle, ein gewisser Einbruch von Moderne, den die Gläubigen beim Osterumzug allerdings kulturell (noch) nicht in sich aufgenommen haben. Denn sie nutzen die freien Seitenflächen der Autobahnbrücke für die Plakatierung ihrer Heiligenbilder aller Art…

Das tragische Ende

Das tragische Ende

Roberto Alagna ist natürlich eine Luxusbesetzung für den Turiddu, für den er sich scheinbar eine ganz neue Frisur, viel kürzer als man ihn sonst kennt, zugelegt hat. So sieht er zwar noch nicht aus wie der Sohn von Ronnita Miller, die die Mama Lucia spielt, aber er kommt diesem Mutter-Sohn-Verhältnis wenigstens etwas näher. Alagna singt den Turiddu mit südlicher Glut und schönem tenoralem Glanz sowie großer Emphase. Alles was er macht, wirkt authentisch im Sinne der Handlung. Die Wagner- und Strauss-erprobte und erfolgreich interpretierende Russin Elena Zhidkova, Kundry im letzten Wiener „Parsifal“, ist seine Santuzza. Sie lässt ihren charaktervollen und variablen Mezzo hören, der auch zu beeindruckender Attacke fähig ist, wobei er dann etwas metallisch wird. Zhidkova spielt die schließlich im Affekt zur rachelüsternen Feindin Turiddus werdende Santuzza mit großer emotionaler Energie. Die „roten Rosen“ vor der Kirche werden zu einem Höhepunkt der Aufführung. Rodrigo Esteves ist ein nicht allzu sehr beeindruckender Alfio, und Anna Buslidze singt Lola kokett mit einem klangvollen Sopran.
„Der Bajazzo“

Alle 23 ore...

Alle 23 ore...

Der Bajazzo

Nach der Pause geht es im Prinzip im selben Stück in derselben Region Italiens weiter. Zunächst sorgt aber Carlos Álvarez mit seinem ausdrucksstarken und voluminösen Bassbariton für einen Weltklasse-Prolog. Damit erzeugt er unmittelbar große Spannung für das kommende Drama. Der Vorhang geht auf, die Autobahnbrücke wird sichtbar, und die Leiche Turiddus fällt als leider etwas schlecht gemacht Strohpuppe von oben herab auf die Fahrbahn. Nun erst scheint er wirklich tot zu sein! Mama Lucia trauert über seinem Körper und wird wenig später mit dem Sarg auf einem Karren über die Bühne fahrend gesehen. So unterstreicht Pountney die Idee des Todes stärker, als man das sonst bei „CavPag“, wie die Abkürzungen liebenden US-Amerikaner sagen, gewohnt ist. Da ist einiges dran, ist doch die Drohung mit dem Tod immer wieder direkt oder indirekt im Text zu vernehmen.

Die Zuschauer

Die Zuschauer

Roberto Alagna schafft es auf seine Weise als gerade angekommener Canio, das Publikum auf das Schärfste zu warnen, dass er kein Pardon kennt, wenn jemand sich an seine Nedda heranmacht. Das nimmt der ängstlich und schwächlich wirkende, an der Seite kauernde Silvio in der ultimativen Spießermontur von Sandalen und Socken ebenso entsetzt wahr wie man selbst im Publikum – hier droht unmissverständlich wieder der Tod, den Canio schließlich auch geben wird. „La commedia è finita!“ heißt es am Ende, und Roberto Alagna spielt und singt den Oberclown mit eindrucksvoller Intensität und tenoraler Qualität. Seine Frau Aleksandra Kurzak singt dazu eine Nedda, die bei hoher Musikalität es aber doch etwas an Volumen und Dramatik missen lässt. Dafür zeigt sie in der Abwehr der Annäherungsversuche Tonios und im Finale beachtliche darstellerische Qualitäten. Beppo ist mit Ya-Chung Huang bestens besetzt, auch etwas skurril, und den unauffälligen Silvio spielt und singt Samuel Dale Johnson tadellos. Die kraftvollen Chöre, i.e. der Chor und der Kinderchor der Deutschen Oper Berlin, wurden in beiden Opern von Jeremy Bines einstudiert. Paolo Arrivabeni am Pult des Orchesters der Deutschen Oper Berlin unterstützte die dramatischen Geschehnisse auf der Bühne mit passender musikalischer Ausdruckskraft. Wir hörten guten italienischen Verismo.

Fotos: Cav. Deutsche Oper Bernd Uhlig / Pag. Bettina Stöss

Klaus Billand

Giacomo Puccini und Verismo (ca. 1890 - ca. 1925)

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