Kurzberichte Marrakesch/André Heller: Jardin Anima; München: Die Passagierin, Pelléas et Mélisande; Augsburg: Turandot; Heidenheim: Madama Butterfly - 15. bis 19. Juli 2024
Beeindruckende Bilder und Inszenierungen…
Aufgrund Zeitmangels durch ein auch recht reiseintensives Programm mit weiteren „Ablenkungen“, sei hier wenigstens kurz über einige interessante Opernabende sowie über eine eindrucksvolle marokkanische Natur-Kunst-Kreation von André Heller berichtet.
Marrakesch, 15. Juli 2024: Jardin Anima
Etwa 25 Kilometer südlich des derzeit mittags unter 45 Grad Celsius glühenden Marrakesch begann André Heller, österreichischer Autor, Lyriker, Sänger und Multimediakünstler im Jahre 2008 auf zwei Hektar fruchtbaren Bodens mit dem Aufbau eines lebendigen Kunstwerks, seines Jardin Anima. Es bettet Arbeiten von Künstlern wie Pablo Picasso, Keith Haring, Igor Mitoraj, Monika Gilsing, Abderrahim Hamza und vielen weiteren in eine unglaublich vielfältige subtropische und tropische Natur ein. Von der Fachpresse wird der Jardin Anima heute als einer der schönsten Gärten der Welt beschrieben, die New York Times verlieh ihm den Titel „Wunderland“, und der Standard sprach von „André Hellers Garten Eden.“
Und das ist er in der Tat. Man wandelt zwischen riesigen Kakteen und Bambushainen, Agaven, Blumengärten und weit verzweigten Bäumen einher. Immer wieder wird ein Kunstwerk darin sichtbar, mal ganz versteckt, ein anderes Mal spektakulär im Mittelpunkt. Dann sieht man vieldeutige Malereien auf Palmenstämmen. Auch eine eiserne Arche Noah ist im Garten. Viele schattige Bänke laden zum Verweilen ein. Vögel tränken sich an kleinen Brunnen davor. Und es gibt auch ein kleines Museum mit Malereien von Hans Werner Geerdts, einem langjährigen Freund Hellers, sowie ein Restaurant sowie ein Beduinen-Zelt zum Ausruhen. Wunderbar!
Das alles ist für mich auch ein Hinweis auf das, was im trockenen Afrika möglich ist, wenn sich Phantasie und Tatendrang mit einem relativ moderaten finanziellen Aufwand produktiv paaren…
1. Akt - Die Überfahrt nach Brasilien
Münchner Opernfestspiele/Nationaltheater, 16. Juli 2024: Die Passagierin
Nach der österreichischen Erstaufführung des Auschwitz-Musikdramas „Die Passagierin“ von Mieczyslaw Weinberg durch David Pountney 2010 in Bregenz mit einem Gastspiel in Tel-Aviv 2019 und weiteren Inszenierungen u.a. in Ekaterinburg 2018 und Innsbruck 2022 (siehe im Archiv) kam nun auch die Bayerische Staatsoper im März dieses Jahres mit einer Neuinszenierung von Tobias Katzer heraus, die sie nun bei den Opernfestspielen wieder zeigte. Man kann somit durchaus von einer Renaissance dieser interessanten und immer unter die Haut gehenden Oper sprechen. Während man in den bisherigen Inszenierungen stets die tragische Realität der Zustände im KZ Auschwitz zu sehen bekam, lässt Kratzer die Ebene der Realität von Lisa mit ihrem Mann Walter auf der Schifffahrt nach Brasilien einerseits mit der Erinnerung an ihre Taten in Auschwitz andererseits ineinander fließen. Hinzu tritt eine Alte Lisa, die mit einer Urne (wohl von Tadeusz) eine zusätzliche Komponente ins Spiel bringt.
Das alles führt zu äußerst spanenden und enthüllenden Situationen in der Darstellung der Protagonisten Lisa, Marta und Tadeusz sowie der mit Marta befreundeten Insassinnen des KZs.
2. Akt
Was auf diese Weise an zwischenmenschlicher Dramatik gewonnen wird, geht zu einem gewissen Grad durch die so nicht mehr sichtbare grausame Realität des KZ-Alltags verloren. Aber es gelang eine emotional starke Aufführung, in der Sophie Koch eine intensive und facettenreiche Lisa mit ihrem kraftvollen Mezzo gab, Charles Workman einen trotz weitgehender Abwesenheit für sie immer präsenten Walter, Elena Tsallagova eine berührende und klangschöne Marta sowie Jacques Imbrailo einen erschütternden Tadeusz. Vladimir Jurowski dirigierte das Bayerische Staatsorchester mit großer Liebe zum Detail sowie viel Gefühl für die Emotionalität und zeitweise Expressivität der Musik.
Familienaufstellung
Münchner Opernfestspiele/Prinzregententheater, 17. Juli 2024: Pelléas et Mélisande
Die Opernfestspiele 2024 warteten mit einer beachtlichen Neuinszenierung des Drame lyrique in fünf Akten von Claude Debussy auf in einer Inszenierung von Jetske Mijnssen, die vor kurzem noch einen interessanten „Roberto Devereux“ in Amsterdam in Szene gesetzt hatte. In einer schlichten Inszenierung wendet sie ihre ganze Aufmerksamkeit den Menschen und ihren Beziehungen in einer Art Familienaufstellung zu. Das geschieht auf einem hellen Parkettboden, der auf einer Wasserfläche schwebt und mit sorgfältig platziertem Mobiliar bestückt ist, was etwas an die Ästhetik eines Lars von Trier erinnert. Darin finden in den einzelnen Szenen zum Teil drastische familiäre Auseinandersetzungen und intensive Liebesbekundungen statt, im Kontext einer entsprechend fein ausgefeilten Personenregie.
... und die Auseinandersetzungen
Christian Gerhaher gibt eine stimmlich wie darstellerisch äußerst intensive Rollenstudie des Golaud. Ben Bliss ist ein vokal etwas eintöniger aber intensiv spielender Pelléas. Sabine Devieilhe singt eine wundervolle introvertierte Mélisande. Sophie Koch ist eine zurückhaltende Geneviève und Franz-Josef Selig eine Altersautorität als Arkel mit profundem Bass. Hannu Lintu schafft es, mit dem Bayerischen Staatsorchester einen guten Spannungsbogen über die äußere Nummernhaftigkeit der Oper zu halten und musikalisch reizvolle und Emotionen verstärkende Akzente zu setzen. Ein großartige Aufführung dieser schwer zu inszenierenden Oper Debussys!
Am Roten Tor
Staatstheater Augsburg, 18. Juli 2024: Turandot
Im Rahmen seiner sommerlichen Open Air-Aufführungen am Augsburger Roten Tor brachte das Staatstheater dieses Jahr mit der „Turandot“ von Giacomo Puccini wieder eine Oper heraus. Und das mit großem Erfolg. Fast alle Aufführungen waren ausverkauft und kamen beim Augsburger Publikum bestens an. Intendant und Regisseur André Bücker legte im weiten Rund der Freilichtbühne mit mehreren Spielebenen im Bühnenbild von Karel Spanhak* eine klassische chinesische Kultelemente ansprechende veristische Inszenierung an, die aber durch vornehmlich schwarze Kostüme von Aleksandra Kica und weiß getünchte Masken die Grausamkeit der Geschehnisse am Hofe Turandots eindrucksvoll hervorhob. Der vokal erstklassige Opern- und Extrachor wurde von Katsiaryna Ihnatsyeva-Cadek einstudiert und gut choreografiert.
Turandot und Liu
Obwohl alle Stimmen verstärkt wurden, soll auch etwas über die Sänger gesagt werden.
Sally du Randt sang eine ausdrucksstarke und attraktive Turandot mit hellem Sopran, der auch zu einigen Facettierungen imstande ist. Xavier Moreno als Gast gab den Calaf als kraftvollen Spinto-Tenor mit guter Ausstrahlung. Einmal mehr begeisterte Jihyun Cecilia Lee mit ihrem klangvollen lyrisch-dramatischen Sopran als Liù und ebenso einnehmendem Spiel. Avtandil Kaspeli gab den Timur mit charaktervollem Bass.
Die Minister
GMD Domonkos Héja dirigierte die Augsburger Philharmoniker in einem Seitenbau mit – bisweilen zu großer – Verstärkung, aber viel Verve und Verständnis für die schillernde Partitur des großen italienischen Meisters. Das Publikum war begeistert!
Die US-amerikanischen Touristen kommen...
Opernfestspiele Heidenheim, 19. Juli 2024: Madama Butterfly
Neben der selten gespielten Oper „Alzira“ im Rahmen der eindrucksvollen Verdi-Pflege der Opernfestspiele Heidenheim – OH! brachte das Festival dieses Jahr auch eine Neuinszenierung von „Madama Butterfly“ von Giacomo Puccini in der Inszenierung von Rosetta Cucchi heraus. Leider konnte die Aufführung wegen Unwetterwarnung nicht im offenen Rittersaal von Schloss Hellenstein stattfinden. Aber auch im Festspielhaus CCH überzeugte die Produktion mit einer berückenden Schlichtheit, dabei aber umso stärkerer Emotionalität. Tassilo Tesche setzte eine schlichte Iglu-artige weiße Hütte auf die Bühne, in der Cio-Cio-San ihr bescheidenes Leben führt und von einem stereotyp-touristisch gekleideten US-Amerikaner regelrecht gekapert wird, ohne das von Sharpless schon zu Beginn angedeutete spätere Drama auch nur im Geringsten zu erahnen. Trinkgeld muss alles richten. Umso stärker berührt das Schicksal der japanischen Geisha in schönem japanischem Kostüm von Claudia Pernigotti.
Butterfly in ihrem Käfig, bedrängt von Pinkerton
Olga Busuioc (übrigens aus der Nähe Heidenheims!) singt sie mit einem klangschönen Sopran und im Laufe des Abends immer intensiver werdender Inbrunst. Julia Rutigliano ist mit ihrem farbigen Mezzo eine devote und liebevoll auf Cio-Cio-San eingehende Suzuki. Héctor Sandoval kann als Pinkerton auf diesem Niveau mit einem zu kleinem und in der Höhe eng werdenden Tenor nicht mithalten. Gerrit Illenberger überzeugt hingegen als Sharpless mit balsamischem Bariton und ruhigem diplomatischem Ausdruck.
Schlussapplaus mit Marcus Bosch
Der Künstlerische Leiter der OH, Marcus Bosch, dirigierte die Stuttgarter Philharmoniker mit großem Engagement und Gefühl für die sublimen Passagen der Partitur und ihre emotionalen Grundlagen. Die Harmonie zwischen Graben und Sängern war perfekt, und der in Heidenheim schon zum „Inventar“ gehörende Tschechische Philharmonische Chor Brünn bewies einmal mehr seine große Klasse. So entstand eine emotional einnehmende „Butterfly“ wie aus einem Guss.
Fotos: Wilfried Hösl 6-8; Jan-Pieter Fuhr 9-11; Oliver Vogel 12-13; K. Billand 1-4,14
Klaus Billand