MÜNCHEN/Nationaltheater: „Tosca“ - 27. September 2014
Anja Harteros als Weltklasse-Tosca
A. Harteros 2. Akt
Ende September fand im Königssaal der Bayerischen Staatsoper das 45. Wiedersehenstreffen der ehemaligen Mitglieder der Bayerischen Staatsoper statt. Diese Form und lange Tradition des regelmäßigen Wiedersehens ehemaliger Mitglieder eines großen Opernhauses dürfte wohl einzigartig sein. Im Anschluss an das gemeinsame Abendessen besuchten alle Geladenen eine Aufführung der „Tosca“ im Nationaltheater, eine Vorstellung, die speziell für die „Freunde des Nationaltheaters“ aus Anlass dieses Treffens organisiert wurde. (Detallierter Bericht unter “betrachtungen”).
Unter Asher Fisch am Pult des Bayerischen Staatsorchesters sang Anja Harteros die Titelrolle, Marcello Giordani den Cavaradossi und Thomas Hampson den Baron Scarpia. In den Nebenrollen agierten Goran Juric als Angelotti, Christoph Stephinger als Messner, Francesco Petrozzi als Spoletta, Christian Rieger als Sciarrone, Leonard Bernad als Gefängiswärter und ein Solist des Tölzer Knabenchores. Es war der Abend der Anja Harteros, eine Tosca wie aus dem Bilderbuch, und zwar stimmlich, optisch und darstellerisch. Die Sängerin, deren exzellenter Liederabend im Haus für Mozart bei den Salzburger Festspielen im August mir noch gut in Erinnerung ist, gestaltete die Diva mit einer Empathie und darstellerischen Intensität, die einem bisweilen Schauer über den Rücken laufen ließ. Anja Harteros war an diesem Abend auf der Bühne praktisch genau das, was Attila Csampai im ausgezeichneten Programmheft wie folgt beschreibt: „Tosca ist das emotionale Wildwesen, das pure weibliche Naturrecht. … Sie singt, betet, liebt, schreit, hasst und leidet. Wie eine richtige Frau. Völlig unemanzipiert. Aber vital. Unruhig. Nervös. Ständig unterwegs, mit heftigen Bewegungen und Gesten. Die ungebändigte Katze und der himmlische Gesang. Engel und Tier. Lebenselexier für frustrierte Männer.“ Besser lässt sich die Leistung der Harteros als wohl d e r Tosca unserer Tage nicht charakterisieren. Total höhensicher bei auch dann noch beeindruckendem Klangvolumen, mit kräftiger, leuchtender Mittellage und ihrem ganz spezifischen Melos im unteren Register weiß sie stimmlich alle auch nur denkbaren Facetten der Rolle bei ständig dazu passender Mimik und Aktion auszudrücken. Wenn sie Scarpia auf dem bereits blutroten Sofa den Stich ins Herz versetzt und ihm unter Drohung weiteren Zustoßens ihr „Muori, dannato! Muori!! Muori!!!“ entgegen schleudert, meint man, dass es des Messers gar nicht bedurft hätte… Wenn Worte du Blicke töten könnten, hier hätte man es geglaubt.
Thomas Hampson war ihr ein Scarpia auf Augenhöhe, wenngleich er ganz und gar nicht ins traditionelle Rollenbild des ekelhaften Polizeichefs passte, was aber in dieser Inszenierung von Luc Bondy durchaus passte. Hier wird der Baron als selbstverliebter, herrischer und sexbesessener eleganter Lebemann gezeigt, der sich schon mit ein paar leichten Mädchen vergnügt, die von Sciarrone schnell bezahlt werden, als Tosca in den Palazzo Farnese kommt. Hampson legt mit seinem kultivierten Bariton und großer Musikalität vor allem Wert auf Schöngesang und legt mit seinem noblen, in der Agressivität des Scarpia doch immer etwas zurückhaltenden Spiel durchaus interessante Facetten der Rolle frei. Dennoch wirkte gerade auch im Hinblick auf die Intensität der Harteros sein Scarpia manchmal etwas zu „zahm“. Stimmlich mit großer Phrasierungskunst ausgestattet, geriet Hampson in den dramatischen Höhen des 2. Aktes doch an seine Grenzen. Nicht umsonst wird der Scarpia oft von Sängern verkörpert, die auch den Wotan singen…
Hampson und Harteros 2. Akt
Marcello Giordani konnte sich in diesem Terzett gut behaupten, wenngleich er auf stimmlichem Niveau etwas abfiel. Sein durchaus kräftiger und höhensicherer Spinto-Tenor verfügt über einigen Schmelz und auch Italianaità, klang aber bei den meisten Höhen doch etwas angestrengt und verengt. Dennoch schmetterte er ein großartiges „Vittoria! Vittoria!“ und hatte auch im finalen Duett mit Tosca einige sehr gute Momente. Darstellerisch wäre etwas mehr Engagement gut gewesen. Das Publikum ließ den Dirigenten nach beiden Arien weiter spielen.
Unter den Nebenrollen sei Leonard Bernad hervorgehoben, der mit einem klangvollen und kultivierten Bariton aufhorchen ließ. Auch Goran Juric konnte als Angelotti mit kräftiger Stimme und starkem Ausdruck überzeugen. Christoph Stephinger, den ich vor Jahren einmal in Detmold als Hagen hörte, klang wenig konturiert, eine kleine Enttäuschung. Der Chor der Bayerischen Staatsoper unter Leitung von Stellario Fagone sang engagiert und wortdeutlich.
Giordano und Harteros 1. Akt
Die Inszenierung von Luc Bondy mit den Bühnenbildern von Richard Peduzzi und den Kostümen von Milena Canonero kam in Koproduktion mit der Met und der Mailänder Scala im Juni 2010 ans Nationaltheater München. Damals sangen Karita Mattila, Jonas Kaufmann und Juha Uusitalo die Hauptrollen. Ebenso wie die Rolle des Scarpia zeigt auch die Inszenierung eine Reihe von interessanten neuen Facetten der Interpretation. Besonders eindrucksvoll, zumal von Anja Harteros gespielt, war das Finale des 2. Akts nach ihrem Mord an Scarpia. Zumal es schon gar keine Kreuze gab, auch keine Kerzen, kamen diese nicht zum Einsatz, wie bei Puccini vorgesehen. Stattdessen schaut die Diva nachdenklich auf ihre Mordhand und sinkt, das Ende in diesem Moment offensichtlich schon klar ahnend, auf ein Sofa neben dem Toten… Ebenso eindringlich geriet das Te Deum im Finale des 1. Akts mit einer unglaublich intensiven Darstellung der Allmacht der Leidensphilosophie der Kirche. Zum Entsetzen aller greift Scarpia der Heiligenstatue an den Hals…
Überhaupt glänzt die Produktion auch heute noch durch ihre stringente und ausgefeilte Personenregie. Die typischen Peduzzischen Bühnenbilder mit düsteren, aus roten Ziegeln bestehenden hohen Mauer und Bögen waren auch hier wieder zu sehen, insbesondere im 1. und 3. Akt. (Sein Mailänder „Tristan“ mit Patrice Chéreau ließ grüßen). Scarpias Salon im Palazzo Farnese glänzte durch Schlichtheit. Umso grausamer die Folterkammer nebenan mit der von früheren Foltern noch blutverschmierten Stahltür. Für die stimmungsbezogene Lichtregie sorgte Michael Bauer.
Verismo wurde von allen an diesem Abend groß geschrieben. Asher Fisch konnte das mit dem Bayerischen Staatsorchester auch gut unterstützen, wenngleich der eine oder andere Höhepunkt noch schärfer hätte akzentuiert werden können und manches doch etwas routiniert klang. Begeisterter Applaus für Anja Harteros, leicht abgemindert für Thomas Hampson und weniger emotionslos für Marcello Giordano und Asher Fisch.
Fotos: W. Hösl/Bayerische Staatsoper
Klaus Billand