Sofia: Tosca - 12. Dezember 2021

„Tosca“ in Sofia auch nach zehn Jahren immer noch frisch und lebendig!

Cavaradossi und Tosca im 1. Akt

Cavaradossi und Tosca im 1. Akt

Die etwa zehn Jahre alte „Tosca“ – Inszenierung von Giacomo Puccinis Meisterwerk durch den Generaldirektor der Oper und Ballett Sofia, Prof. Plamen Kartaloff, ist auch nach so langer Zeit noch frisch und von einer emotionalen Direktheit, die man nicht oft hat an einem Repertoire-Theater. Es ist die Einfachheit des Bühnenbildes von Miodrag Tabacki, das diese Inszenierung so überzeugend macht, mit einem exzellenten Lichtdesign von Andrei Hajdinyak und Emil Dinkov, wie auch eine hervorragende Personenführung der Sängerschauspieler, die aber auch große Freiheiten in der Interpretation ihrer Rollen haben. Ein riesiges christliches Kreuz, das über der Bühne hängt, dominiert den ersten und dritten Akt. Es ist mit stückbezogener Malerei versehen und sorgt so für eine gewisse Interpretation und stimmige Assoziationen zur Handlung. Auf dem Kreuz sind nämlich eine biblische Kreuzigungsdarstellung und das Kuppelgewölbe mit der Apsis der Kirche Sant’Andrea della Valle sowie das Porträt der Attavanti zu sehen. Als Boden ist der Marmorbelag der Kirche erkennbar. Cavaradossi malt im 1. Akt sozusagen im Stehen von unten am Bild der Attavanti. Tosca wirft einen Pinsel wütend in die Höhe, um das Bildnis zu treffen, als sie bemerkt, dass nicht sie das Motiv ist… Im 3. Akt sehen wir hingegen die grauen Pflastersteine der obersten Plattform der Engelsburg.

Finale 1. Akt: Der alte Klerus zieht auf - sklerotisch!

Finale 1. Akt: Der alte Klerus zieht auf - sklerotisch!

Der 2. Akt hebt sich stark von den Randakten ab. Wir sehen in einen eleganten Salon des Palazzo Farnese mit hohen, sich zum dramatischen Ende hin bewegenden Vorhängen und schlichtem New Age Mobiliar sowie einem fast rotglühenden großen biblischen Bildnis im Hintergrund. Der Teppich ist nun mit Judenstern-Assoziationen bestickt.

Scarpia inquiriert Cavaradossi

Scarpia inquiriert Cavaradossi

Was in diesem an sich schlichten, aber umso eindringlicheren Bühnenbild vonstatten geht, ist jedoch äußerst bemerkenswert und lässt den Eindruck entstehen, man habe hier eine Neuinszenierung vor Augen. Wir sehen Bewegungen, die normalerweise in keiner “Tosca”-Produktion zu sehen sind. So der Marsch von Cavaradossi zeitgleich mit dem Trommeln auf der Vorderbühne zur Engelsburg – während dahinter Scarpia Tosca zu überwältigen versucht – oder das Fehlen eines Erschießungskommandos am Ende. Der Schuss kommt umso erschreckender und unvermutet aus dem Off. Sehr berührend auch, dass der Schließer auf der Engelsburg den goldenen Ring von Cavaradossi betroffen zurückweist und ihm dennoch das Schreibpapier gibt. Eine kleine Geste, aber von starker Wirkung in der Erkennung von Cavaradossis trauriger und auswegloser Lage. So ist ihm auch kaum noch der Glaube an eine Rettung anzumerken als er die schöne Vorstellung einer gemeinsamen Zukunft mit Tosca besingen muss.

Vergewaltigungsversuche Scarpias

Vergewaltigungsversuche Scarpias

Das Finale hält eine weitere Überraschung bereit. Statt von der Brüstung zu springen, steigt Tosca von hinten auf das riesige sich langsam zu Boden senkende Kreuz, von dem sie ihren finalen Appell an Scarpia singt und welches dann wieder in die Höhe fahrend auch den toten Cavaradossi aufnimmt. In gewisser Weise eine Vereinigung im Tode wie bei Tristan und Isolde – eine schöne Idee! So kommen beide in den Himmel – bewegende Wendung eines schrecklichen Endes…

Der Mord

Der Mord

An Intensität und Spannung kaum zu überbieten ist jedoch der 2. Akt! Der Rumäne Ionat Pascu spielt den Scarpia als wirklich lustgierigen, sadistisch-frivolen und völlig empathielosen römischen Polizeichef, dass einem Angst und bange werden kann. Am Ende geht es im Kampf um die ihm an darstellerischer Intensität nicht nachstehende Tosca Radostina Nicolaeva, unter anderem auch die Sofioter „Siegfried“- Brünnhilde, Isolde und gar Kundry, um wirklich alles. Er zieht sogar sein Hemd aus und muss schließlich zusehen, wie ihm nach dem Messerstich das Blut über die Brust rinnt. Das war theatralisch einmalig und sehr authentisch gemacht! Verismo at its best. Auch Spoletta kommt in diesen Szenen zu einem dezidierten Einsatz.

Cavaradossi und Tosca auf der Engelsburg

Cavaradossi und Tosca auf der Engelsburg

Radostina Nikolaeva singt und agiert als Tosca auf internationalem Niveau und könnte diese Rolle in jedem größeren Haus in Westeuropa singen. Gut aussehend und damit besonders reizvoll, spielt sie erst die Getroffene von Cavaradossis vermeintlichem Betrug, macht aber schließlich den ihr unglaublich schwer fallenden Mord an Scarpia vollkommen nachvollziehbar ebenso wie im 3. Akt den Glauben an die finale Rettung. Für Hrisimir Damyanov mit seinem leichten, lyrisch timbrierten und recht schönen Tenor ist der Cavaradossi eine Nummer zu groß. Gesanglich gibt er sein Bestes, bemüht sich ernsthaft auch mit einigermaßen sitzenden Höhen. Das ist schon einiges, aber auch nicht genug. Schauspielerisch und emotional macht er eine sehr gute Figur, besonders in der Tristesse und Verzweiflung des 3. Akts.

Das fatale Ende!

Das fatale Ende!

Angel Hristov ist eine glänzende Besetzung des Angelotti mit seinem profunden und ausdrucksstarken Bass. Auch Anton Radev als Mesner und Nikolay Pavlov als Spoletta singen sehr gut und agieren mit starkem Engagement. Der schon entsprechend erwähnte Ionat Pascu ist ein besonderes Erlebnis als Scarpia, der tatsächlich Tosca zu vergewaltigen versucht, bis sie ihm mit dem Messer in den nackten Oberkörper sticht. Auch sein dunkel timbrierter Bariton passt stimmlich gut zur Rolle, ist kraftvoll und durch seinen Nuancenreichtum sehr ausdrucksstark. Petar Buchkov ist eine Edelbesetzung für den Schließer, und Aleksandar Georgiev gibt einen guten Sciarrone. Antonia Ivanova zieht zu lyrisch feinen Versen ein kleines Unschuldslamm über die Plattform der Engelsburg, bevor es dort ernst wird. Ein melancholischer Kontrast zum kommenden Geschehen…

Die Sofia Oper in der Weihnachtszeit

Die Sofia Oper in der Weihnachtszeit

Evan Alexis Christ dirigiert diese „Tosca“ mit großem Elan und beweist einmal mehr, dass er nicht nur im deutschen, sondern auch im italienischen Repertoire zu Hause ist. Er hebt die dramatischen Höhepunkte hervor und lässt auch die besinnlichen Momente fein ausmusizieren. Das Opern- und Ballettorchester Sofia scheint ihm gut und mit großer Motivation zu folgen. Christ dirigiert mit viel Verve, die alle erreicht. Auch der wie immer von Violeta Dimitrova einstudierte Chor kann voll überzeugen. Besonders spannend ist das Te Deum im 1. Akt, wenn am Ende langsam die höchsten kirchlichen Würdenträger in überwältigender Optik und Ornat (exzellente Kostüme: Leo Kulas) auf die Bühne kommen und der Chor im Forte singt …

Fotos: Setoslav Nikolov

Klaus Billand

Giacomo Puccini und Verismo (ca. 1890 - ca. 1925)

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