Tunis/Théâtre Municipal: Wajiha Jendoubi mit “Big Bossa“ - 24. Dezember 2021
Tunesische Satire mit beeindruckender Komödiantik!
Schlange vor dem Théâtre Municipal in Tunis
Wenn man schon mal in Tunis ist, interessiert natürlich auch das schöne, 120 Jahre alte Opernhaus, das Théâtre Municipal, am 20. November 1902 eröffnet, auch wenn keine Oper läuft. Das Haus wurde vom Architekten Jean-Émile Resplandy zur Zeit, als Tunesien noch französische Kolonie war, im Art-Deco Stil erbaut und hat 1.350 Plätze. Der Innenraum ist sehr schön, zeugt leider aber von den Spuren der Zeit. Das Théâtre Municipal zeigt Opern-, Ballett-, Symphoniekonzerte sowie Dramen mit zahlreichen tunesischen, arabischen und internationalen Schauspielern. Von Opern ist zumindest derzeit leider weniger zu lesen. Diese Kunstform ist im Land bei weitem nicht so beliebt wie im entfernungsmäßig nahen aber kulturell weiten Italien und Europa ganz allgemein. Es ist im Prinzip in diesem Sinne ein kulturell-architektonisches Überbleibsel aus französischer Kolonialzeit, wie das auch von den Franzosen konzipierte Opernhaus in Hanoi, Vietnam.
Französische Architektur
Also ging ich an Heiligabend zur eleganten Avenue Habib Bourguiba, an dem das Theater liegt. Ein Ticket würde man ja wohl bekommen. Aber was! Eine Schlange um das ganze Haus herum, die Abendkasse hermetisch geschlossen mit Wache davor, und auch keine Schwarzhändler weit und breit. Nichts zu machen, rien à faire, oder niente a fare, wie Gianni Schicchi sagt. Also die übliche Zettelwirtschaft mit „On cherche 1 entrée“, und das funktionierte nach einer halben Stunde des Einlasses. Jemand war ausgefallen, und so verkaufte der Partner mir sein zweites Ticket, zum Normalpreis! Er legte größten Wert darauf, das Wechselgeld von 5 Tun. Dinar, etwa 1,55€, zurückzugeben – ein Chirurg, der mir auf Französisch dann auch das Geschehen auf der Bühne zumindest etwas erklärte. Es war dann recht unterhaltsam, obwohl ich zwei Stunden lang kein Wort von Wajiha Jendoubi verstand mit ihrem Programm „Big Bossa“, was so viel heißen soll wie „Big Boss“.
Auditorium des Théâtre Municipal
Denn allein sie war der Grund des enormen Publikumsinteresses! Die im ganzen Land bekannte und überaus beliebte Schauspielerin und Komödiantin Wajiha Jendoubi trat mit einem sehr beliebten Programm auf, einem Monolog – natürlich auf Arabisch – mit einem Dialekt der Hauptstadt Tunis. Jendoubi ist bekannt dafür, dass sie zusätzlich zu ihrer politischen Satire wie etwa Dieter Nuhr im deutschen Fernsehen, noch mit einer bisweilen ins Akrobatische gehenden darstellerischen Komponente über alle möglichen Missstände im Land herzieht, zuallererst natürlich über die Politik nach dem Arabischen Frühling. Die 61-jährige Jendoubi tritt in der Regel in One-woman-shows auf, in denen sich ihr Mann Mehdi um den Sound und das Licht kümmert. Recht phantasievoll übrigens, wie man an diesem Abend sehen konnte. Das hatte schon etwas von Oper…
Bossa nova startet!
Jendoubi will, und schaffte es auch wieder an diesem Abend, ihr Publikum in Spannung halten, uneingeschränkte Aufmerksamkeit erringen und es zum Lachen bringen. Es war in der Tat beeindruckend zu sehen, wie das Publikum aller Altersklassen in diesem Sinne mitging. Den Arabischen Frühling, der bekanntlich in Tunesien begann, unterstützte Jendoubi zu Beginn, merkte aber schnell die negativen Folgeentwicklungen, die sie dann auch thematisierte. Gerade um den nicht immer gewaltfreien religiösen Extremismus zu kritisieren und zu kontern, entwickelte sie komödiantische Shows – um im post-revolutionären Tunesien ihre kritische Stimme zu erheben.
Wajiha Jendoubi in Aktion
Das machte sie an diesem Abend mit einem enormen körperlichen Einsatz, manchmal auf allen Vieren, mit Tanzen, Aufschreien und einer starken Mimik. Oft schlagartig einsetzende ohrenbetäubende Musik und ein großartiges Spiel mit Scheinwerfer-Flashes ließen die Show ins Theatralische wachsen. Natürlich wäre es schön gewesen, auch den Inhalt mitzubekommen. Aber auch so konnte ich einen Eindruck von der im Lande, aber mindestens in der Hauptstadt herrschenden Einstellung zu den politischen Entwicklungen erahnen. Im kommenden Jahr sind ja allgemeine Wahlen geplant.
Cité de la culture Tunis,
Wajiha Jendoubi hat auch mehrere Auszeichnungen und Ehrungen bekommen. So wurde sie zusammen mit Myriam Belkadhi und Emna Louzyr Ayari 2015 als tunesische Repräsentantin für die Konvention zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau und 2019 als Offizier des Order of the Republic ernannt.
Die Bühne
Am 25. Dezember ging ich dann noch mit einiger Erwartung in ein Programm des Théâtre de l’Opéra von Tunis in die ultra-moderne Cité de la culture Tunis, wo das Stück „Alice in Wonderland“ als Show gegeben wurde. Nicht unbedingt Mainstream, aber immerhin konnte man so mal diesen Theaterbau sehen. Der Hauptsaal, es gibt noch zwei kleinere mit 700 und 300 Plätzen, macht in der Tat einen imposanten Eindruck und hat mit 1.800 Plätzen enorme Dimensionen. Das Stück hingegen war nahezu eine Katastrophe. Trotz Band im Graben eine ohrenbetäubende Musik aus den Lautsprechern und auf der Bühne neben einigen akrobatischen Tanzeinlagen und zeitweise guter Videoarbeit nicht allzu viel Erbauendes. So ging ich zur Pause. Die Oper, obwohl man sie hier und im Théâtre Municipal bestens aufführen könnte, wird es in Tunis schwer haben. Im März 2021 gab es aber eine Ballett-Inszenierung von „Roméo et Juliette“ des Théâtre de l’Opéra mit dem italienischen Choreographen Luca Bruni, die zwei Aufführungen erlebte. Immerhin.
Fotos: Klaus Billand
Klaus Billand