LINZ/Brucknerfestival: Rostow Mysterium - 29. September 2013

Herodes mit Hofstaat

Herodes mit Hofstaat

Seit der Künstlerische Leiter der LIVA/Brucknerhaus, Prof. Hans-Joachim Frey, seine neue Leitungs-Funktion in Linz übernommen hat, wartet das traditionsreiche Brucknerfestival mit ganz neuen Programmangeboten auf. In diesem ersten Jahr seiner Amtszeit gab es neben einem hochinteressanten Schwerpunkt EntArteOpera, in dessen Rahmen von den Nationalsozialisten verfolgte Künstler vorgestellt wurden, unter anderen Franz Schreker mit seinem „Schatzgräber“, auch einen Schwerpunkt Innovatives Operntheater in der Linzer Tabakfabrik, deren große Räume enorme Möglichkeiten für Theateraufführungen bieten. Auch EntArteOpera fand dort statt, sodass die Tabakfabrik nun integraler Spielort des Brucknerfestivals geworden ist. Die Art & Industrial Design Künstlerin Gudrun Geiblinger hatte mit einem unkonventionellen Projekt das Brucknerhaus mit dem Verspannen von roten Plastikstreifen direkt mit der Tabakfabrik verbunden.

Die drei Hirten

Die drei Hirten

„Versöhnen und nicht vergessen“ war das Thema, unter dem die Aufführungen von EntArteOpera und der Moskauer Kammeroper, die Frey im Rahmen des Schwerpunkts Innovatives Operntheater eingeladen hatte, standen. Die Kammeroper wurde 1972 gegründet und bringt jährlich etwa sieben Produktionen heraus, wofür ihr 56 SolistInnen zur Verfügung stehen. Diese tauschen bei den Vorstellungen ihre jeweiligen Rollen, wie Chor, Ballett und Schauspiel-Rollen. Mit ihrem Orchester gastierte die heute von Mikhail Kislyarov künstlerisch geleitete Kammeroper mit 95 Mitwirkenden erstmals in Österreich. Und das war umso bedeutender, als es zu Beginn der offiziellen österreichisch-russischen Kultursaisonen 2013 bis 2015 stattfand, die Bundespräsident Fischer in seinem Eröffnungsvortrag am 15. September im Brucknerhaus besonders gewürdigt hatte.
Tod des Herodes...

Tod des Herodes...

Die Moskauer Kammeroper zeigte während des diesjährigen Festivals vier Produktionen: „Die Nase“ von Dmitri Schostakowitsch, „Zar und Zimmermann“ von Albert Lortzing, das poetische Theater „Das Jahrhundert von Schostakowitsch“ und zum Schluss das Mysterium rund um die Weihnachtsgeschichte von Herodes und der Geburt Christi – das Thema der ältesten A-cappella-Oper in russischer Sprache. Sie basiert auf einem Mysterienspiel von Metropolit Dimitri von Rostow und ging in die Rezeptionsgeschichte als das „Rostow Mysterium“ ein. Erzbischof Dimitri von Rostow widmete der Stadt Rostow in Südrussland das Mysterienspiel „Rostow Mysteries on Christmas“. Boris Pokrowsky wagte in den 1980er Jahren eine Rekonstruktion und schuf mit Hilfe des berühmten russischen Musikhistorikers Eugene Levashev eine spielbare Partitur für eine neuartige Performance, die in Russland bis heute sehr beliebt ist. Vielleicht könnte man hier einen Vergleich zum Salzburger „Jedermann“ ziehen, was die Beliebtheit und Volkstümlichkeit des Stoffes angeht. In der modernen Inszenierung von Vladimir Agronsky in den ebenso einfachen wie fantasievollen Bühnenbildern von Mikhail Belkin hört man neben griechischen Gesängen auch weißrussische, polnische und ukrainische Lieder, neben sakralen Chorwerken auch Volkslieder. Das Orchester ist nicht an der Darstellung beteiligt. Die ganze Oper wird von Solisten und vom A-cappella-Ensemble ohne Dirigenten aufgeführt. Man konnte nur staunen, wie perfekt das an diesem Abend in der Tabakfabrik gelang.

Die drei Engel

Die drei Engel

Die Oper, die keine Oper im herkömmlichen Sinne sondern ein theatralisches Geheimnis ist, ist in dem für jene Zeit typischen Genre der Schuld-Dramen geschrieben. Neben den üblichen Charakteren sind einige allegorische Figuren wie Glaube, Liebe, Hoffnung, Leben, Tod, Frieden, Krieg und andere daran beteiligt. Im Prolog hadert ein Mann, der die menschliche Natur darstellt, mit den Härten des irdischen Lebens, nachdem er aus dem Paradies verstoßen worden ist. Das goldene Zeitalter und die sieben Tugenden Glaube, Liebe, Hoffnung, Gerechtigkeit, Tapferkeit, Weisheit und Mäßigung unterstützen ihn. Hingegen versuchen die sieben Laster Stolz, Neid, Völlerei, Geiz, Faulheit, Zorn und Wollust ihn zu verführen. Tugenden und Laster sowie das Leben und der Tod kämpfen um seine Seele. Yaroslav Radivonik spielt den Alten Mann sehr expressiv und drückt alle Emotionen aus, die er in diesem Kampf mitmacht. Die Tugenden entledigen ihn seiner Ketten und tanzen singend um ihn herum (Choreografie Lilia Talankina). Es kommt zu dramatischen Auseinandersetzungen zwischen Tugenden und Lastern, und der Tod (Alexei Mochalov) tritt mit seiner Sense auf den Plan und beginnt eine Art Totentanz. Dazu gibt es viel Reperkussion. Alle Tugenden und Laster verfügen über gute Stimmen und agieren äußerst lebendig und emphatisch. Im 1. Akt erlebt man die drei Hirten Athos, Abram und Boris und die Erscheinung des Erzengels der ihnen die Geburt Christ weist. Sie kommen, um Jesus zu begrüßen, und der Stern (Evgeny Boluchevsky) tritt auf, und sie folgen ihm. Mit den bunten Kostümen (Leonid Polyakov) und sonderbaren Masken wirken die drei Hirten etwas skurril, beleben aber sehr die Dramaturgie.

Tugenden

Tugenden

Im 2. Akt kommen sie an den Hof des Herodes, der angesichts der Botschaft des in Bethlehem geborenen neuen Königs von Judäa den Befehl erteilt, alle Kinder von zwei Jahren zu töten. Theatralisch werden ihm die Schädel der toten Kinder in einem Sack zu Füßen gelegt. Boris Tarhov singt einen stimmstarken Herodes und gestaltet die Rolle sehr dramatisch. In diesem Akt kommt auch der von Alexei Vereshchagin einstudierte Chor zu bester Entfaltung. Die verschiedenen Gruppen zeichnen sich durch gute Stimmen und Technik aus und harmonieren gut miteinander. An Herodes’ Hof gibt es natürlich auch laszive Tanzeinlagen. Stimmen aus dem Off verleihen einigen Momenten eine mystische Note. Der Tod tritt wieder mir r Sense auf, und Herodes stirbt – nach einer Prophezeiung der wunderbar singenden Engel Elena Bakhtiyarova, Ekaterina Ferzba und Zlata Rubinova – einen grausamen Tod.

Im Epilog singt Tatyana Koninskaya als Hoffnung ein wunderbares langes Solo, dessen Botschaft ist: Wenn ein Mensch nicht sündigt und nur Gutes tut, dann kann kein Hass und selbst der Tod ihn nicht am Leben hindern. Boris Pokrovsky sagte einmal: „Der Glaube an Frieden, Güte und Gerechtigkeit ist seit jeher der wichtigste Inhalt der russischen Kunst. Genau darum geht es in dem Weihnachtsmysterium“ – und deshalb ist es in Russland wohl bis zum heutigen Tage so beliebt…

Fotos: Klaus Billand

Klaus Billand