BUENOS AIRES/Teatro Colón: Die Frau ohne Schatten - Premiere 11. und Reprisen 14., 16., und 18. Juni 2013

Stephen Gould und Manuela Uhl als Kaiserpaar

Stephen Gould und Manuela Uhl als Kaiserpaar

Wenn man nach über 15 Stunden reiner Flugzeit und einem Jetlag von fünf Stunden im spätherbstlichen Buenos Aires ankommt, tut man gut daran, von der angepeilten Oper nicht nur die Premiere sondern auch die Reprisen zu erleben. Die Müdigkeit schlägt bei Flügen in die westliche Hemisphäre ja leider immer genau dann zu, wenn der Vorhang hochgeht, sodass sich manches erst nach dem zweiten oder dritten Mal ganz offenbart… Das mehrmalige Erleben derselben Oper in wenigen Tagen fällt bei der herrlichen Musik der „Frau ohne Schatten“ des Garmischer Meisters Richard Strauss allerdings auch nicht sonderlich schwer. Und das zumal im legendären Teatro Colón aus dem Jahre 1908. Ich halte es nach der umfassenden Renovierung für das eindrucksvollste Opernhaus der Welt. Allein der Eintritt in den großen altehrwürdigen Saal mit seinen sechs Rängen, fast 2.500 Sitz- und 1.000 Stehplätzen, sowie dem purpurgoldenen Ambiente und den großzügigen Stuhlreihen im Parkett vermittelt sofort den Eindruck ultimativer Erhabenheit und Tradition. Was hat in diesem Haus schon alles stattgefunden, und wer stand hier neben Erich Kleiber, Otto Klemperer, Felix Weingartner, Ferdinand Leitner und anderen nicht schon am Pult?! In der Blütezeit der 1960er Jahre wurde allein sechsmal der „Ring“-Zyklus mit WeltklassesängerInnen wie Birgit Nilsson, Wolfgang Windgassen et al. aufgeführt – bis heute Rekord. Eigentlich ist das Colón schon Oper an sich…

Färberpaar und Kaiserpaar

Färberpaar und Kaiserpaar

Auch Richard Strauss stand hier schon am Pult des Orchesta Estable, allerdings nicht mit der „Frau ohne Schatten“. Diese erlebte in seinem Todesjahr 1949 am Colón ihre Erstaufführung, unter der musikalischen Leitung von Erich Kleiber und in einer Inszenierung von Otto Erhardt. Ludwig Suthaus und Germaine Hoerner waren damals unter den SängerInnen. 1965 gab es eine NI von Dino Yannopoulos unter der musikalischen Leitung von Ferdinand Leitner und ebenfalls unter Leitner 1970 eine weitere von Ernst Poettgen – alles Namen, die wie Balsam in der Ohren der Liebhaber der Musik von Richard Straus und Richard Wagner klingen. In der letzten NI im Jahre 1979 von Georg Reinhardt mit Marek Janowski am Pult sangen u.a. Jess Thomas und Eva Marton.

Manuela Uhl und Iris Vermillion als Amme

Manuela Uhl und Iris Vermillion als Amme

Nun hatte das Colón von der Nederlandse Opera Amsterdam eine Inszenierung von Andreas Homoki, in Buenos Aires assistiert von Arturo Gama, übernommen. Sie besticht durch eine zwar schlichte, aber farbintensive Ästhetik mit einem hohen Maß an Poesie. Die Sphären der Geisterwelt Kaikobads, des Kaiserpaares und der Färber sind klar voneinander getrennt, womit starke Akzente in den existentiellen Auseindersetzungen der Protagonisten und bei ihren Zusammentreffen gesetzt werden. Die Geisterwelt, also Amme und Geisterbote, sowie die ständig subtil auf der Bühne agierenden StatistInnen und der Chor sind bis zum Kopf in körperloses Weiß gehüllt – dramaturgisch geschickt auch die Kaiserin, als sie kurz vor Erlangung des Schattens zu stehen scheint, wie in dem Moment auch die Färberin, als sie den Schatten zu verlieren droht. Dieses Weiß ist von einer Vielzahl rätselhafter schwarzer Zeichen und Symbole überzogen. Sie sind auch auf allen drei Wänden der dreieckig in die Tiefe verlaufenden Bühnenbegrenzung sowie auf einem riesigen Ballon zu sehen, der sich angesichts der drohenden Versteinerung des Kaisers zum Schrecken aller wie ein Damoklesschwert auf die Bühne senkt. Für das einfache, aber durch die klaren Farbakzente wirkungsstarke Bühnenbild, sowie die ebenso fantasievollen wie geschmacksicheren Kostüme zeichnet Wolfgang Gussmann verantwortlich. Frank Evin macht die optimal auf diese Bilder abgestimmte Lichtregie.

Manuela Uhl als Kaiserin

Manuela Uhl als Kaiserin

Die Amme spielt gewissermassen Regie, indem sie die Wand an der Rampe wie einen Vorhang immer wieder öffnet und schließt und die neuen Szenen freigibt. Homoki lässt sie quasi Theater auf dem Theater machen. Iris Vermillion verkörpert die Partie mit entsprechend intensiver Gestik und Gestus, ist in jedem Moment präsent und kann der Amme auch die vielschichtigen Mezzo-Farben ausdrucksstark und mit guter Diktion verleihen. Dass einige Spitzentöne im 1. Akt etwas Schärfe aufweisen, macht der guten Gesamtleistung keinen Abbruch, zumal gerade in dieser Partie nicht unbedingt nur Schöngesang angesagt ist und Vermillion ohnehin über die vier Abende immer besser und sicherer wurde. Jochen Kupfer singt einen klangvollen und mit großer Autorität auftretenden Geisterboten. Manuela Uhl ist als Kaiserin ständig bei der Amme und zeigt mit großer Emphase die emotionalen Stadien, die sie im Kampf um den Schatten durchmacht – aber auch im Wissen darum, was das für die Menschen bedeutet, denen sie ihn rauben soll. Hier werden menschliche Schicksale überzeugend verdeutlicht. Uhl kann mit dem hier erforderlichen Schöngesang aufwarten. Ihr glasklarer, perfekt intonierender und absolut höhensicherer Sopran verleiht der Kaiserin edles Format. Stephen Gould, der noch im Mai ein wieder einmal begeisternder Siegfried in Wien war, steht ihr an stimmlicher Qualität und gestalterischem Ausdruck in nichts nach. Kraftvoll vorgetragenes heldentenorales Melos mit guten Höhen und perfekter Wortdeutlichkeit paart sich mit der Verzweiflung des nach einem Zugang zu seiner Frau Suchenden, bisweilen orientierungslos inmitten riesiger blutroter Pfeile Herumirrenden. Diese stellen eine ständige Assoziation mit dem Blut des Falken her – von Victoria Gaeta klangvoll und mystisch aus dem Off gesungen – und lasten wie ein Stigma auf den Kaiserbildern.

Stephen Gould als umherirrender Kaiser

Stephen Gould als umherirrender Kaiser

Das Kaiserpaar ist in klarem Kontrast zur irdenen Ästhetik der Färber in elegant-königliches Blau gehüllt; Barak, seine Frau und Brüder erscheinen hingegen in einfachen ockerfarbenen Kostümen. Ihre Welt besteht aus einer Reihe von gelben kubischen Schachteln, in denen das „Zeug zum Schwemmen“ liegt, in denen mit entsprechender Symbolik aber auch ihr einfaches Leben stattfindet. Die fein ausgearbeitete Personenregie Homokis in diesen klar umrissenen Räumen macht sich auch in der lebhaften und emotional einnehmenden Dramaturgie des auch bestens singenden Einarmigen (Emiliano Bulacios), Einäugigen (Mario de Salvo) und Buckligen (Sergio Spina) bemerkbar, sowie in ihrer brüderlichen Wertschätzung durch Barak. Ebenso wie in der musikalisch so wunderbar untermalten kurzen Annäherung des Färbers an seine Frau im 1. Akt kommt hier ein großes Maß an Menschlichkeit und Emotionalität in Homokis sonst eher auf Abstraktion setzendem Regiekonzept zum Ausdruck, vor der ein gewisses Manko an visueller Märchenhaftigkeit vertretbar erscheint. So spielt sich, abgesehen von einer Veränderung der Lichtregie, die Verzauberung der Färberin lediglich durch die Übergabe eines mit etwas Strass besetzten blauen Bandes ab… Und auch der vermeintlich verführerische Jüngling (mit sicherem Tenor Pablo Sánchez) kommt im züchtigen Elvis Presley Outfit daher…

Amme und Kaiserin im Färberhaus

Amme und Kaiserin im Färberhaus

Ganz hervorragend und glasklar Wagner-Dimensionen ankündend agiert und singt Elena Pankratova die Färberin, mit sehr viel Empathie und den vielschichtigen Farben ihres warm timbrierten Soprans. Auch Jukka Rasilainen kann als Färber auf dem hohen Niveau der Protagonisten mithalten, mit einer sehr menschlichen Gestaltung der Rolle und seinem eher hellen, prägnanten Bassbariton, der gelegentlich vielleicht etwas mehr Volumen haben könnte. Hervorzuheben ist noch der bezaubernde Gesang des Hüters der Schwelle von Marisú Pavón sowie die klangvolle Stimme aus der Höhe von Alejandra Malvino, die auch beide die guten Chöre verstärken. Diese wurden von Miguel Martínez (Chor des Teatro Colón) und César Bustamante (Kinderchor des Teatro Colón) einstudiert.

Ira Levin, Arturo Gama, Elena Pankratova, Wolfgang Gussmann und Jukka Rasilainen beim Premieren-Applaus

Ira Levin, Arturo Gama, Elena Pankratova, Wolfgang Gussmann und Jukka Rasilainen beim Premieren-Applaus

Der am Colón immer beliebter und von Saison zu Saison hier mehr beschäftigte Ira Levin hatte das Orchesta Estable del Teatro Colón hervorragend auf die schweren musikalischen Herausforderungen der „Frau ohne Schatten“ vorbereitet. Er erreichte mit seinem Dirigat einen über die vier Abende immer größer werdenden Publikumserfolg. Am letzten Abend gab es vor dem 3. Akt standing ovations für ihn und die Musiker. Levin, der mit dem Werk vor Jahren schon an der Dresdner Semperoper eingesprungen war, kennt es, wie überhaupt Strauss und Wagner, sehr gut und überzeugte durch seine gefühlvolle Interpretation der komplexen Partitur. Dabei wurden die rein symphonischen und vielfach dramatischeren Momente voll ausgespielt, das Orchester sozusagen kontrolliert von der Leine gelassen. Das klang dann bisweilen schwelgerisch und ganz so, wie man sich dieses großartige Meisterwerk vorstellt. Die kammermusikalischen Passagen ließ Levin hingegen fein ausmusizieren, suchte die vielen und oft subtilen Zwischentöne, wobei er stets große Rücksicht auf die SängerInnen nahm. Einige wenige symphonische Passagen gerieten etwas zu laut, bedingt auch durch das Schlagwerk. Der Applaus für alle Akteure steigerte sich von Abend zu Abend, und das Colón setzte mit dieser Serie einen weiteren Glanzpunkt in seiner bisher so eindrucksvollen Rezeptionsgeschichte der „FroSch“.

Fotos: Teatro Colón (Szenenfotos), Klaus Billand (Premieren-Applaus)

Klaus Billand

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