Barcelona/Gran Teatre del Liceu: Hoffmanns Erzählungen NI – 20. und 21. Januar 2021

Opern-Romantik im Lockdown – Spanien macht’s möglich

Gran Teatre del Liceu

Gran Teatre del Liceu

Man mag es kaum glauben! In einer Zeit, in der in klassischen Opern-Ländern wie Deutschland und Österreich die Politik sich beharrlich weigert, die systemische Bedeutung der Kultur für die Gesellschaft anzuerkennen und die Theater-, Konzert- und Opernhäuser zumindest für einen Teil des Publikums zugänglich zu machen, ist das in Spanien und Bulgarien, also an den extremen Rändern der so viel beschworenen „Alten Welt“, derzeit Normalität.

Balkon und Galerie

Balkon und Galerie

In Spanien sind die Häuser nach professionellen Hygiene-Analysen zur Erkennung möglicher Covid 19-Gefahren zum Schluss gelangt, dass man mit einem signifikanten Zuschauer-Anteil spielen kann. Und in Barcelona wird das Angebot mit einem nahezu Erreichen der genehmigten 50 Prozent-Auslastung gut angenommen, bei Preisen von bis zu 290€ im Parkett.

Hoffmann zu Beginn

Hoffmann zu Beginn

So erlebte am wie ein Phoenix aus der Asche 1999 in umwerfender Pracht wiedererstandenen Gran Teatre del Liceu nun Jacques Offenbachs „Hoffmanns Erzählungen“ in der Regie von Laurent Pelly eine Neuinszenierung, in Koproduktion mit der Opéra national de Lyon und der San Francisco Opera. Pelly erzählt die Geschichte – sehr intensiv aus den Augen und den Emotionen Hoffmanns heraus, was ihm mit einer blendenden Personenregie für alle Figuren, selbst die kleinste Nebenrolle, eindrucksvoll gelingt.

Lindolf

Lindolf

Das Stück führt so ein starkes Innenleben. Immer geht es um die Tragik Hoffmanns, seiner oft überschwänglichen Freude und schnell folgenden Enttäuschungen. Chantal Thomas baute dazu ein zwischen Realismus und Abstraktion changierendes Bühnenbild.

Olympia-Szene

Olympia-Szene

Es zeigt situationsgemäß einmal überholte Industrietechnik (Olympia-Akt), dann großbürgerliche Romantik mit einem hochherrschaftlichen Treppenhaus (Antonia-Akt) und schließlich den eleganten Salon einer Edel-Kurtisane (Giulietta-Akt), allerdings ohne Venedig-Apercus. Die Welt von Lindorf, Coppélius, Doktor Miracle und Dapertutto spielt in diese Szenerie mit surrealen Momenten hinein, was das Ganze noch spannender macht (Videos: Charles Carcopino).

Olympia

Olympia

Die großflächigen und stets in diskret depressiven Pastelltönen gehaltenen Bühnenwände erinnern an die Minimalkunst des russischen Avantgarde-Künstlers Kazimir S. Malévich (1879-1935). Es passte aber alles, auch aufgrund der Lichtregie von Joel Adam, in großer dramaturgischer Homogenität zusammen und wirkte stets sehr geschmackvoll. Dazu trugen auch die aus der Zeit des Stücks stammenden Kostüme vom Regisseur in Zusammenarbeit mit Jean-Jacques Delmotte bei.

Antonia mit ihrem Vater

Antonia mit ihrem Vater

Man konnte an beiden Abenden zum Teil alternierender Besetzungen alle wunderschönen „Hoffmann“-Melodien auf das Feinste hören. Riccardo Frizza dirigierte das Symphonische Orchester des Gran Teatre del Liceu in stets enger Harmonie mit dem Geschehen, sodass sowohl die dramatischen Höhepunkte als auch die ruhigen und besinnlichen Momente sehr gut gelangen.

Dr. Miracle

Dr. Miracle

John Osborn war ein beeindruckender (Premieren-) Hoffmann mit stabiler Mittellage und kräftiger Höhe sowie packender Darstellung. Arturo Chacon-Cruz kam vokal nicht an diese Leistung heran, war aber schauspielerisch sehr gut. Olga Pudova war eine erstklassige Olympia mit bestechenden Höhen und dargestellt in einer wirklich puppengerecht wirkenden Bewegungsinstallation vor schwarzem Hintergrund. Ermonela Jaho sang und spielte äußerst intensiv eine gute und sehr musikalische Antonia, und sowohl Nino Sugurladze wie Ginger Costa-Jackson waren stimmlich ansprechende und laszive Giuliettas. Roberto Tagliavini konnte als Bösewicht aufgrund seines wärmeren Timbres besser gefallen als Aleksander Vinogradov. Marina Viotti war eine erstklassige und engagierte Muse und Niklausse mit farbigem Mezzo. Sie bettete Hoffmann nach seinem dritten Scheitern mit einer charaktervollen Interpretation der herrlichen letzten Verse zu den Tränen, die noch stärker als die Liebe sein sollen, assoziativ erotisch zur Ruhe…

Giulietta Akt

Giulietta Akt

Auch die kleineren Rollen waren bestens besetzt, also Crespel/Luther mit Alexey Bogdanov mit gutem Charaktertenor; Schlemihl/Hermann mit Carlos Daza mit kräftigem Bariton; Andrès/Cochenille/Frantz/Pitichinaccio mit dem gut artikulierenden Vincent Ordonneau und mit dem Nathanael von Roger Padullés. Die verstorbene Mutter Antonias ließ in einer Video-Illusion mit Laura Vila einen klangschönen Mezzo vernehmen. Adriana González war eine gute Stella. Der hervorragende Chor des Gran Teatre del Liceu wurde von Conxita Garcia einstudiert und war auch bestens choreografiert.

Fotos: David Ruano 3-9; K. Billand 1-2

Klaus Billand

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