Wien: Ring-Gespräch mit Jendrik Springer - 6. Januar 2019

Großes Wissen!

Michael Güttler, Jendrik Springer, Oliver Láng

Michael Güttler, Jendrik Springer, Oliver Láng

Der Moderator und Dramaturg der Wiener Staatsoper, Oliver Láng, stellte Jendrik Springer vor als einen umfassend zum Thema „Der Ring des Nibelungen“ von Richard Wagner Wissenden. Und Springer konnte es dann auch relativ schnell unter Beweis stellen. Er war musikalischer Assistent vieler großer Dirigenten, u.a. auch von Christian Thielemann, und zudem Studienleiter der Wiener Staatsoper als Einstudierer – erst mit den Sängern, dann mit den Dirigenten – wie auch selbst Dirigent. Oft trägt er die speziellen Wünsche der Dirigenten in die Partituren ein. Das sind dann wohl die großen grauen und roten Striche und Kommentare, die man mit einem Feldstecher noch von der Galerie auf den Notenseiten sehen kann… (Anm. d. Verf.).

Láng spricht als erstes Thema die nordische Sprache Wagners im „Ring“ an, für die der Stabreim in der Dichtung ja typisch ist. Wagner entwickelte daraus einen eigenen Sprachstil, auch mit den Alliterationen. Er wählte bewusst das Archaisierende in der nordischen Sprache für seinen „Ring“, wohl um die Aussagekraft zu verstärken. Wie ist das nun mit der Musik nachvollziehbar? fragt Oliver Láng. Springer meint, Wagner habe den musikalischen Fluss auf der Leitmotivik aufgebaut. Das lasse sich aber nicht mit den Normen des Standards der Klassik fassen. Er verzichtete deshalb auch auf den Endreim und machte sich auf die Suche nach einem anderen Text, um das Libretto zu gestalten. Dabei kommt der Begriff „Leitmotiv“ von Wolzogen, nicht von Wagner selbst, der eher von „Erinnerungsmotiven“ sprach. Über deren Zahl herrschte etwas Ungewissheit. Während Springer sie auf etwa zwei bis drei Dutzend schätzt, spricht Stefan Mickisch, der sich ihnen bekanntlich äußerst ausführlich gewidmet hat, von 261, alle Variationen natürlich eingeschlossen. Aber das würde ja den Springerschen Eindruck, dass Wagner den musikalischen Fluss auf der Leitmotivik aufbaute, nur unterstreichen (Anm. d. Verf.).

Dann ging Springer auf interessante Besonderheiten des Ring-Motivs ein. Während es zum ersten Mal bei den Rheintöchtern auftaucht, ist es wieder in der Zwischenmusik zum 2. „Rheingold“-Bild zu hören, worauf dann das Walhall-Motiv erklingt und sich herausstellt, dass es melodisch dem Ring-Motiv gleich ist. Nur harmonisch ist es anders, denn das Walhall-Motiv erklingt in einem diatonischen Des-Dur. Auch in der Waltraute-Erzählung in der „Götterdämmerung“ kommt das Ring-Motiv als verminderter Dreiklang wieder vor.

Springer betont, dass in der „Götterdämmerung“ alle Schauplätze „brüchig“ geworden sind, ja gar „schmutzig“. Keiner hat mehr etwas von der Reinheit des „Rheingold“. Dafür kommt aber neues kompositorisches Material hinzu. So ist die Klang-Sphäre der Gibichungen völlig neu, und auch an anderen Stellen lässt sich Wagners kompositorischer Lernprozess seit der Unterbrechung vor etwa 15 Jahren nachweisen.

Láng stellt sodann die Frage, warum Wagner für den „Ring“ ein so großes Orchester brauchte. Springer meint dazu, dass man in Bayreuth wegen der akustischen Gegebenheiten eben nur ein Mezzoforte hört, „wo es krachen sollte“, also brauchte man mehr Musiker. Dann: „Bei der Dauer von vier Abenden musste Wagner auch klanglich etwas tun, um für Abwechslung zu sorgen“. Ob das ein Grund für die Orchestergröße gewesen ist?! Da Wagner beispielsweise die vier Hörner für nicht ausreichend hielt, entwickelte er die Wagnertuben aus den entsprechenden Instrumenten der Militärmusik, um einen volleren Hornklang zu erzielen. Auch spielen in Bayreuth mehr Streicher als beispielsweise selbst in Wien. Die Holzbläsersoli erscheinen Jendrik Springer in Bayreuth immer zu leise. So nimmt man in normalen Opernhäusern meist das normal besetzte Orchester, etwa wie jenes von Webers „Freischütz“.
Warum ist der „Ring“ so lang, wollte ausgerechnet Oliver Láng nun wissen. Springer: „Wagner wollte, dass das Publikum sich auch etwas aufopfern sollte“. In der Spätromantik lag eh‘ die Gigantomanie in der Luft, und zudem war die Länge des „Ring“, als er ihn mit „Siegfrieds Tod“ begann, noch gar nicht vorgesehen.

Nach der Unterbrechung am „Ring“ im oder am Ende des 2. Aufzugs, und zwar vor dem Drachenkampf (lt. Brief als F. Liszt vom 28. Juni 1857, Anm. des Verf.) änderte Wagner die Harmonik. Er experimentierte dann mit mehr Dissonanzen, zum Beispiel bei der Zerstörung des Walhall-Motivs. „Die Harmonik wird gebrochener, zerklüfteter.“ Ein Beispiel dafür ist die 4. Szene des 1. Aufzugs der „Götterdämmerung“. Es gibt nun auch Fünfklänge, die bis dahin kaum vorkamen. Mit der „Götterdämmerung“ entwickelte sich Wagner zum Komplexen, auch, um die zerstörte Welt am Ende des „Ring“ zu zeigen. Die „unendliche Melodie“ des „Ring“, ist übrigens auch in der musikalischen Syntax des „Tristan“ zu hören.

Anfang und Ende des „Ring“: Im Vorspiel zum „Rheingold“ „wird die Musik erst entwickelt, so ist der erste Ton in den Bässen ja noch gar keine Musik.“ Aber dann der Dreiklang als Ur-Musik. Am Ende steht das aus der „Walküre“ stammende „Erlösungs-Motiv“ der Sieglinde, Erlösung durch Liebe, zuerst gemischt mit dem Walhall-Motiv, das für die Macht als den genauen Gegensatz der Liebe steht. „Damit komponiert Wagner mit Musik etwas, das gar nicht mehr zeigbar ist!“

Frage Láng: „Was an der „Ring“-Musik ist deutsch?“ Springer kann da nichts typisch Deutsches erkennen, das träfe viel eher auf den „Freischütz“ zu. Da geht es um den deutschen Wald, um Volkslieder. Eine wichtige Rolle spielen in diesem Zusammenhang jedenfalls die Hörner und Celli, die alle von den romantischen Komponisten sehr geschätzt wurden.

Zum Schluss des außerordentlich interessanten und für die Zuhörer sicher gewinnbringenden Gesprächs wollte Oliver Láng noch wissen, wie Jendrik Springer die Arbeit mit einigen Dirigenten einschätzt.

1. Christian Thielemann: Es gibt laut Springer zwei Faktoren, die er umsetzt:
a) Grundsätzliche klangliche Dinge, also Klangfarben, die dunkler, aber sehr transparent sind.

b) Er wird den großen Formaten der einzelnen Opern dadurch gerecht, dass er einen Bogen von Anfang bis Ende spannt, meint Jendrik Springer.
Mittlerweile wird Thielemann auch schneller. Er sucht sich in der Regel einen Höhepunkt pro Akt, und dazu dann Sub-Höhepunkte aus, trotz bisweilen langsamer Tempi.

2. Simon Rattle: Er ist einer der wenigen Dirigenten von Weltformat, deren Muttersprache nicht Deutsch ist. Es gibt eher keinen natürlichen Sprachduktus, sondern vor allem Hell-Dunkel-Balancen und Tempovariationen. Rattle findet einen anderen technischen Zugang, aber mit großer Vielfalt.

3. Franz-Welser Möst
Bei ihm sieht Springer Parallelen zu Giuseppe Sinopoli. Er hat einen extrem analytischen Zugang zum „Ring“. Es geht ihm mehr darum zu zeigen, was der jeweilige Moment sagen soll. In jedem einzelnen Moment muss für ihn klar werden, was die Aussage ist. Also ein eher geistiger Zugang.

4. Peter Schneider: Er ist ein großer Kenner schon allein aufgrund seines Alters, und damit ist er der größere Praktiker. Wie Ádám Fischer „hat er es im kleinen Finger“. Fischer ist mehr der Allrounder, aber beide sind in erster Linie Praktiker.

5. Axel Kober: Er ist ebenfalls ein Praktiker und wird hier in Wien nun wieder einen „Ring“-Zyklus ohne Orchesterprobe dirigieren! Viele andere Dirigenten lehnen das ab. So hat Kober offenbar etwas Lust am Abenteuer…

Im Publikum saß auch der Dirigent Michael Güttler, der dieser Tage an der Staatsoper „Il Barbiere di Siviglia“ dirigierte. Ein Interview mit ihm ist für Ende Aril geplant.

Foto: Klaus Billand

Klaus Billand

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