BAYREUTH/Festspiele: Der fliegende Holländer – Premiere 25. Juli 2012
Untergang im Ventilatorenwirbel…
Der Holländer
Noch in der morgendlichen Pressekonferenz der beiden Festspielleiterinnen klang das Regiekonzept des 30jährigen Hagener und Bayreuth-Neulings Jan Philipp Gloger – in der pünktlich zum Staatsempfang nach der Premiere erschienenen „Festival Tribune“ vorschnell bereits als „Bayreuths Hügel-Held 2012“ tituliert – interessant und schlüssig. Er und seine Dramaturgin Sophie Becker sehen den Holländer als einen Geschäftsreisenden unserer Zeit, ständig unter Druck zwischen Terminen, einzig und allein mit dem Anhäufen weiteren Geldes beschäftigt. Er und Senta leben in einer Zeit, die von der Ökonomie bestimmt wird, in einer Welt, in der Fleiß und Profitstreben alles determinieren. Kommt doch jedem heute sehr bekannt vor, oder?! Beide wollen aus dieser Welt heraus, in der sich vor allem Senta verkannt fühlt – sie unternimmt sogar aktiv etwas gegen dieses vom Kommerz bestimmte Umfeld. Dabei erkennen sie sich selbst: Gloger und sein Team glauben, dass wenigstens für einen Moment Liebe zwischen beiden entsteht, wie Wagner es auch in der Partitur angemerkt haben soll. So weit so gut, und so gespannt war zumindest der Rezensent, denn diese Überlegungen scheinen angesichts unserer im Internet- und E-mail-Terror und den damit verbundenen täglichen Termin- und Effizienzorgien doch allzu gut zur „Holländer“-Thematik zu passen. Dieser muss schon allein deshalb nicht mehr mit einem dunklen Schiff kommen, sondern mit dem schicken schwarzen Handgepäck-Trolley, nebenbei Zeugnis professioneller Reisepraxis. Solche Herren reisen naturgemäss ohne weibliche Begleitung…
Steuermann, Daland und Holländer
Ein Stück handfester Gesellschaftskritik war also zu erwarten, und es fing nach der von Christian Thielemann und dem Festspielorchester wunderbar beschwingt musizierten Ouvertüre visuell eindrucksvoll an. Bühnenbildner Christof Hetzer baute im schwarzen Raum eine komplexe und im Rhythmus von Musik und Bühnengeschehen flimmernde Installation, die sich beidseitig bis zum Schnürboden in die Höhe zieht und auf der vielstellige Zähler (wohl für lückenlos wahrzunehmende Termine) rasend rotieren. Sie bildet mit dem schwarzen Lackboden einen fantastischen Raum, der in der Tat viele Assoziationen zulässt: eine flimmernde Hochhauswand (bereits hier erreicht die Lichtregie von Urs Schönebaum ihre besten Momente) im geschäftigen nächtlichen Dubai, Seoul oder New York, ein perfekt vernetzter Zentral-Computer – aber wohl auch eine mondäne Hotelhalle, in welcher dem nach seinem „Ankerwurf“ eintretenden Holländer als First Class Guest sofort ein Begrüßungsdrink gereicht wird. Das wahrscheinlich nicht unabsichtliche Abrutschen des Nobelpelzes einer attraktiven Blondine offenbart noch weitergehende Reize, die hier gegen entsprechende US$-Noten – denn diese werden noch häufig zu sehen sein – zu haben sind…
"Die Spinnstube"
Dagegen wirken der biedere Daland im Nadelstreif und sein agiler, ebenso wie der vom schnöden Mammon besessene Steuermann im hellgrauen Business-Anzug in ihrem kleinen Holzkahn allzu irrelevant. Karin Jud hatte es sich mit den Kostümen, allesamt Sachen, die in jedermanns Kleiderschrank hängen, recht leicht gemacht. Schon hier verliert das Regiekonzept an Nachdruck – zu banal gestaltet sich der folgende Deal Dalands mit dem Holländer um die lukrative Anbringung seiner Tochter. Es muss wieder mal mit einer Büroaktenvorlage-Mappe für den voreilig formulierten Vertrag geschehen, gerade noch in der neuen Münchner Kriegenburg-„Walküre“ von Wotan bemüht, selbst auf der Bayreuther Bühne von Siegfried schon in der Flimm-„Götterdämmerung“, und wie viele viele Male schon zuvor! Muss das denn immer noch sein?! Von den im Abendzettel angemerkten Videos von Martin Eidenberger war übrigens nichts zu bemerken.
Elsa
Im 2. Akt verliert Glogers zunächst so viel versprechende Interpretation der Holländer-Problematik weiter schnell an Intensität und gerät zeitweise gar zur verniedlichenden, wohl unfreiwilligen Karikatur. Die Norweger ziehen nun mit ihrem Lied die überaus spartanische Spinnstube herein, die bis zum Ende der Aufführung ein kostengünstiges Einheitsbühnenbild mit viel zu oft rotierender Drehscheibe abgibt. Dabei zeigen sie dem Publikum stolz die mitgebrachten Fummel für ihre Liebsten aus den Marken-Einkaufstaschen – auch sie waren ja schließlich alle auf Geschäftsreise. Die Damen sind in Einheitskitteln mit dem emsigen Verpacken von Billig-Ventilatoren beschäftigt, Modell N1-H1L (man denkt an IKEA oder Erzeugnisse aus China…). Eifrig werden sie mit Zubehör in Kartons verpackt. Mary nimmt in spießiger Bürokraten-Ästhetik die Stückzahlen ab. Erik ist als harm- und hilfloser Hausmeister mit Reparaturen beschäftigt.
Senta, Daland und Holländer
Senta hingegen befasst sich mit dem Rotbemalen eines Pappkameraden – wohl dem armen Holländer – und hat schon ein blutrotes Pappschiff sowie züngelnde Flammen und auch eine Freiheitsfackel aus Pappe bemalt. „Mit Bappe back’ ich kein Schwert!“ sagte bekanntlich schon Siegfried zu Mime, als der ihm aus ähnlich vergänglichem Material eine Waffe schmieden wollte. Mit Pappe lässt sich auch nicht der von Gloger prospektierte Ausbruchsversuch des Holländers und Sentas aus dieser von billiger Fließbandproduktion bestimmten Banalsphäre bewerkstelligen. Zwar ist der leidenschaftliche Kuss, den der offenbar verschüttete Gefühle wahrnehmende Holländer Senta gibt, ein durchaus starker Moment. Eine wohl beabsichtigte dramatische Weiterspinnung dieser neuen Kraft der beiden bekommt jedoch bei Gloger nie die nötige Schärfe und Wucht, mit der die Produktion die wünschenswerte Fallhöhe hätte erreichen können. War der seit dieser Saison leitende Regisseur am Theater Mainz einfach zu vorsichtig, um bei seiner erst dritten Opernarbeit nach einer „Nozze di Figaro“ in Augsburg und einer „Alcina“ in Dresden nicht gleich anzuecken oder gar einen „Skandal“ in Bayreuth zu erzeugen?! Das Konzept blieb zahnlos und verpuffte im zum Überdruss betriebenen Pappkarton- und Ventilatoren-Gewusel sowie den wieder einmal mit den postmodern stereotypen Besen erfolgenden Aufräumarbeiten von Sentas pseudo-revolutionären rotbeschmierten Pappkreationen einschließlich entsprechender Flügel, die sie bis zum bitteren Ende mit Erik tragen muss. Selbst der Holländer rückt im Finale noch mit einem Müllsack an, um die Reste ihres offenbar zu harmlos geratenen Ausbruchsversuchs zu entsorgen. Auch das allzu plakative Abfackeln einiger US$-Noten durch die beiden hatte eher hippieartige Züge als systemkritische Intensität.
Holländer und Senta
Nahezu sinnbildlich für das Scheitern der so relevanten Aussage Glogers mit diesem Stück war das Thronen Sentas und des in ihren Armen wie bei Michelangelos Pietà ruhenden Holländers auf der Spitze der Ventilatoren-Pappkarton-Pyramide. Das konnte nicht berühren, wie diese Regiearbeit und ihre – allzu zaghafte – optische Umsetzung in ihrer Gesamtheit, bis auf den Beginn. Dabei wäre es doch schön gewesen, wenn das postulierte Spannungsfeld zwischen Holländer und Senta auf der einen Seite und jenes der banal-kommerziellen Daland-Welt auf der anderen nachhaltiger, stringenter und dramaturgisch intensiver gezeigt worden wäre. Es hätte im übrigen auch besser zu Wagners Musik und ihrer Dramatik gepasst. Szenische Dramatik kam jedoch eindrucksvoll in der gut choreografierten Szene des Matrosenchores auf, in der die Holländer, ebenso wie ihr Kapitän, mit mystisch wirkenden schwarzen Kopftätowierungen auffielen. Der von Eberhard Friedrich einstudierte Festspielchor sang wieder eindrucksvoll und war bestechend in der Transparenz der einzelnen Gruppen. Die guten Tenöre klangen besonders heraus.
Senta und Holländer
Insgesamt wirkte Glogers Neuinszenierung des „Fliegenden Holländer“ zu handwerklich, zu bemüht in den Details, geprägt von zu wenig Vertrauen in die Aussage der Musik und auch die Vorstellungskraft des Publikums. Zum Schluss blieb diesem dann auch der ultimative Holzhammer nicht erspart: Der Vorhang schließt nach Sentas Selbstmord durch Stich in die Bauchgegend und ihrer liebenden Umarmung mit dem verblutenden Holländer auf der Pappkarton-Pyramide schnell und öffnet sich dann noch einmal. Nun stellen die Damen genau diese Figur in Miniatur her, schön rot, auch mit Innenbeleuchtung käuflich, völlig unbekümmert auch wieder in Fließbandherstellung, selbstredend in Serie. Jawohl, Herr Gloger, nun haben wir es alle verstanden…
Erik und Senta
Diese Bayreuth-Premiere 2012 wurde aber ein Triumph für Christian Thielemann, das Festspielorchester, und fast alle SängerInnen. Samuel Youn, eigentlich Cover für den kurzfristig aus der Produktion ausgeschiedenen Evgeny Nikitin, sang und gestaltete die Titelpartie beeindruckend mit großer Intensität. Sicher hat sein Bassbariton seine Stärken vornehmlich in den höheren Lagen, aber Youn gelang mit einer guten Phrasierung und exzellenten Diktion eine glaubwürdige Charakterisierung des neben sich stehenden ruhelosen Geschäftsmanns. Er dankte dem Publikum für den großen Applaus mit einem langen Kniefall – ein Moment, der stärker wirkte als die besten Szenen dieser Inszenierung… Adrianne Pieczonka gab eine intensive und äußerst emphatisch agierende Senta. Sie hatte mit ihrem leuchtenden jugendlich dramatischen Sopran keinerlei Probleme mit der Partie und überzeugte auch in den lyrischen Phasen vollkommen – sicher eine der weltbesten Interpretinnen der Senta zur Zeit. Franz-Josef Selig gestaltete den Daland gekonnt als biederen, überhaupt nicht bösartigen Geschäftsmann. Eigentlich traute man ihm diese durchstrukturierte Ventilatorenproduktion gar nicht zu. Er sang die Rolle klangvoll mit seinem warmen Bass bei bester Wortdeutlichkeit. Sein Kofferträger Benjamin Bruns war als Steuermann edel besetzt. Mit einem prägnanten, lyrisch timbrierten, aber gleichwohl zu einiger Dramatik fähigen Tenor empfahl er sich für höhere Aufgaben, z.B. den David in den „Meistersingern“. Michael König hatte im Outfit des Erik die undankbarste Rolle zu bewältigen und tat dies mit einer kräftigen und in der Mittellage ansprechend timbrierten Tenorstimme, die bei einigen Höhen etwas eng wurde. Christa Mayer musste entgegen anders lautender Bezeugungen des Regisseurs darstellerisch wohl unscheinbar bleiben und sang die Mary mit farbigem Mezzo.
Mary
Unter Christian Thielemanns Leitung scheint sich das Festspielorchester offenbar sehr wohl zu fühlen. Mit zügigen Tempi wurde dieser „Holländer“ gerade mal 2 Stunden und 20 Minuten alt. Aber es klang dennoch alles fein ausmusiziert, detailreich facettiert und in den dramatischen Phasen auch beherzt intensiv, ohne je laut oder verwaschen zu sein. Transparenz ist bei Thielemann von jeher Trumpf, und er hat es an diesem Abend wieder bewiesen. Folglich großer Applaus für den Dirigenten und die SängerInnen, wobei sich Adrianne Pieczonka und Samuel Youn über den größten freuen konnten. Heftige Buhrufe für das Regie-Team, wobei erschwerend wirkte, dass beim Anheben der Buhrufe keine wesentliche Gegenbewegung der Befürworter zu hören war, wie man es in Bayreuth bei kontroversen, aber auch schlagkräftigeren Neuinszenierungen gewohnt ist. Viele klatschten einfach nicht mehr und buhten auch nicht… Nach acht Minuten war trotz der Blitzbegeisterung mit unmittelbarem Trampeln – früher hier nur nach etlichen Vorhängen üblich – der Applaus in leider immer typischer werdender Bayreuth-Manier vorbei… Ab in die Werkstatt!
Fotos: Bayreuther Festspiele – Enrico Nawrath
Klaus Billand