Graz: Der fliegende Holländer – NI 4. Mai 2022
Ein „Holländer“ im Minimalformat
Senta vor Erinnerungen...
Vor vielen Jahren war an der Oper Graz Peter Konwitschnys neuer „Holländer“ zu erleben, der später auch nach Hamburg ging. Bei unzähligen Freunden des Wagnerschen Oeuvres hat sich eingeprägt, wie sein Fitnessstudio, wo Senta im 2. Akt trainiert, mit der archaischen Welt des Holländers kollidiert. Eigentlich eine gute Idee, von denen Konwitschny immer viele hat, zumal er ein Wagner-Kenner erster Güte ist. Allein, diese Ideen ließen sich dann szenisch nicht immer schlüssig oder gar verständlich in eine operntheatralische Realität umsetzen.
Senta mit den Spinnerinnen
Sandra Leupold, laut Wikipedia „aus dem 20. Jahrhundert stammend“, hat bei Konwitschny und Ruth Berghaus Opernregie studiert, und ihr Grazer „Holländer“ zeigt deutlich, dass der Apfel offenbar auch in der Opernregie nicht weit vom Stamm fällt. Ihr geht es wie Konwitschny in erster Linie um eine starke Zeichnung der Charaktere, ihrer Befindlichkeiten, Wünsche, Gefühle und Nöte etc.
Senta mit Erik
Ein Bühnenbild, hier von Mechthild Feuerstein ansatzweise beigesteuert, spielt ähnlich wie schon bei Leupolds Mainzer „Parsifal“ 2008 kaum eine bis gar keine Rolle. Hier wie dort wird in den schwarzen Brandmauern des Opernhauses gespielt. Gelegentlich kommen gemalte Hänger herunter, den Originalen der Münchner Erstaufführung nachempfunden, die aber hier eher parodistisch die Kleinbürgerlichkeit der Welt Dalands charakterisieren. Für diese stehen auch die unpraktischen kleinen Spindeln der Spinnerinnen und ihre Biedermeier-Kostüme von Jochen Hochfeld sowie die Tatsache, dass Daland ständig mit der vom Holländer erhaltenen Schatz-Kiste in den Händen herumläuft. Eine Reihe von düsteren Sprüchen und Parolen stehen an den schwarzen Brandmauern und sollen wohl Holländer-Mystik und Furcht verbreiten – eher bregenzt. Das Licht von Sebastian Alphons und Daniel Weiss kann in dieser kargen szenischen Optik auch nicht viel ausrichten. Theater im Theater…
Wüste Ahnungen an den Wänden, aber nur da...
Während das alles ja noch als Minimalinszenierung eines mit scheinbar knappsten Mitteln agierenden Hauses verständlich scheinen könnte, obwohl die zunächst gute Personenregie nach einer – wie erzwungen wirkenden – Pause immer wieder auch in langweiliges Rampensingen verfällt, ist Leupolds Hauptidee eine andere. Sie hat zu Recht beim Studium der Quelle von Heinrich Heine, welchem sich bestimmt nicht das Gros der Opernbesucher vor Beginn der Vorstellung zugewandt hat, erkannt, dass Wagner die Story entscheidend umgedichtet hat. Was bei Heine „meterdicke Ironie“ ist, der Erlösungstod Sentas für den Holländer, arbeitet Wagner sie als erste große Repräsentantin seiner Frauenfiguren um: Senta als das „erträumte, ersehnte, unendlich weibliche Weib, das Weib der Zukunft“, wie er es später ausdrückte.
Holländer mit seinem Seemannschor
Um das zu zeigen, bringt Leupold Richard Wagner ad personam als stumme Rolle auf die Bühne. Er vollzieht allerhand Albernheiten, so ständig mit offenen Armen das Publikum wie um Verständnis für seine Literaturverfälschung bittend, mit Elsa ein Tänzchen tanzend, die Chöre auf der Bühne hereinführend oder sich wie ein Affe an den Pausenvorgang hängend, damit er auch wirklich herunterkommt. Kein Wunder, dass Senta, wenn sie ihm im Finale fast in die Arme läuft, entsetzt ins Publikum flüchtet. Ein tatsächlicher Selbstmord war bei Heine ja gar nicht vorgesehen…
Finale, Richard Wagner oben verschreckt Senta
Aber das war dann auch nicht der „Fliegende Holländer“ von Richard Wagner, zu der er ja eine auch dramaturgisch wie dramatisch passende Musik geschrieben hat, sondern eher ein „opern-literarisches“, kaum überzeugendes Puzzle. Aber was zählt die Musik heute noch bei „modernen“ oder modern sein wollenden Regisseuren…?!
Schlussapplaus, ganz rechts Richard Wagner
Gesanglich konnte die Aufführung weit mehr bieten. Kyle Albertson war ein Holländer mit gut geführtem Bassbariton und farbigem Timbre, in holländisch-spanischer Tracht der Zeit seiner Entstehung im 16. Jahrhundert (Konwitschny lässt auch hier grüßen…). Maximilian Schmitt sang einen Erik mit klangvollem Tenor und fast heldischer Note bei guter Höhe. Mario Lerchenberger gab einen lyrischen Steuermann mit gleichwohl ins Dramatische weisenden Aplomb. Wilfried Zelinka sang den Daland mit kraftvollem Bass und Mareike Jankowski eine gute Mary.
Weniger als schüttere Parkettbesetzung...
Der Grazer GMD Roland Kluttig schlug dynamische Tempi an und wusste die große Wagner-Tradition der Grazer Philharmoniker sowie die Qualitäten des von Bernhard Schneider einstudierten Chores & Extrachores der Oper Graz voll zu mobilisieren. Das Haus war nur schwach besetzt. Wenn solcher Minimalismus weiter Schule macht, wird sich das wohl kaum ändern… Das Publikum ist nicht so dumm wie man offenbar meint.
Fotos: Werner Kmetitsch 1-6; K. Billand 7-8
Klaus Billand