Berlin/Deutsche Oper: Götterdämmerung Kurzbericht - 14. November 2021

Szenisch überladen, übertrieben und zeitweise irritierend – musikalisch gut!

Das leading team kommt zum Schlussapplaus

Das leading team kommt zum Schlussapplaus

Am Sonntagabend hat der neue „Ring“ in der Regie von Stefan Herheim mit der „Götterdämmerung“ an der Deutschen Oper Berlin seinen ersten zyklischen einwöchigen Durchgang erlebt und wurde bei Erscheinen des leading teams mit einer signifikanten Buh-Reaktion großer Teile des Publikums quittiert. Nur einmal zeigte sich Herheim mit Ko-Bühnenbildnerin Silke Bauer, Kostümbildnerin Uta Heiseke und (wahrscheinlich) Beleuchter Ulrich Niepel dem Publikum. Als der wohl nicht nur aus meiner Sicht zu Recht anhaltende Protest nicht enden wollte, vollzug Herheim einen wie eine Erlösung wirkenden Sprung auf der Bühne und dankte den Mitwirkenden überschwänglich, verständlich. Einige von ihnen hatten wirklich viel mehr zu leisten oder auszuhalten als selbst unter nur relativ normalen Bedingungen von einem Wagner-Sängerdarsteller im „Ring“ verlangt wird.

Applaus nach dem 1. Aufzug: Lehman, Stemme, Hilley, von der Damerau, Asszonyi v.l.n.r.

Applaus nach dem 1. Aufzug: Lehman, Stemme, Hilley, von der Damerau, Asszonyi v.l.n.r.

Wenn es alles einen durchgängigen oder wenigstens in großen Linien nachvollziehbaren Sinn ergeben hätte, wäre ja nicht einmal etwas dagegen zu sagen gewesen. Aber allzu viele „Ideen“ und Einfälle, ja auch unzählige Gags machten mit ihrer ständigen visuellen Reizüberflutung und der über Gebühr in der Szene wuselnden über 30 Statisten, die sich immer wieder bis auf ihre weiße Unterwäsche entkleiden mussten, auch diese „Götterdämmerung“ ähnlich wie schon den „Siegfried“ zwei Tage zuvor zu einem Abend, der nahe an der Farce vorbeischrammte.

Der erste Aufzug beginnt im großen Foyer der Deutschen Oper. Hagen steht in Spießerkleidung schon da und nimmt sein Pausenbier – wie seine Betrachter es zwei Stunden später auch machen werden. Dabei schaut er gelangweilt den Nornen zu. Kaum bietet Siegfried Gunther die Blutsbrüderschaft an, müssen beide sich schnellstens bis auf die Unterwäsche ausziehen und in Fracks schmeißen, denn man will offenbar schon auf dem Brünnhilde-Felsen Eindruck machen… (Dabei hätte man sich ja erst zum 2. Aufzug standesgemäß anzuziehen brauchen). Hagen singt seine Wacht aus der ersten Reihe des Parketts mit Blick zu Alberich auf der Bühne, nicht ganz Corona-sicher. Bei vermeintlich oder tatsächlich wichtigen Momenten geht störenderweise immer wieder das Saallicht an. Also der bekannte Wink mit dem Zaunpfahl: Es geht Euch alle an! Wie schon im Foyer zu Beginn, eine gewisse Oberlehrerart. Ich denke, man kann sich auch im Dunkel des „Ring“ seinen Teil denken. Torge Møller steuerte einige weniger stark als sonst auffallende Videos bei.

Nach den 2. Aufzug: Gutrune und Siegfried

Nach den 2. Aufzug: Gutrune und Siegfried

Aber sowohl der Musik wie dem Verständnispotenzial des Publikums wird von Herheim nicht allzu sehr vertraut. So muss Siegfried nach Hagens Todesstoß mit Wotans Speeres-Stück hinter der Szene auch noch der Kopf abgeschnitten werden, mit dem Gutrune dann wie Salome entgeistert über die Bühne wandelt. So etwas Geschmackloses und auch Unrichtiges hätte ich mir bis dahin nicht vorstellen können. Die bis zum Abwinken hereinflatternden, -gezogenen und wieder umständlich zu entsorgenden wallenden Tücher, unter denen oft alberne Versteckspiele stattfinden, und das nahezu besinnungslose Pseudo-Klavierspiel fast aller Protagonisten, wenn ein anderer, ob Feind oder Freund, singt, mögen zwei weitere Beispiele eines großen Kataloges von teilweise heftig nervenden Entbehrlichkeiten und sinnfreien Aktionen der Regie sein. Einige wenige starke Bilder, so die Sammlung der Altgermanen auf den Kofferbergen um Alt-Wotan herum können für das allgemeine szenische und optische Versagen dieser Produktion nicht entschädigen. Während des herrlichen Mutterliebe-Motivs der Sieglinde steht am Ende das nun verstaubte Klavier auf der leeren Bühne und eine Putzfrau zieht mit stoischer Ruhe langsam fegend über die Bühne. Es wirkte wie ein Schlag ins Gesicht angesichts der Musik, die da zu hören ist, aber man konnte es fast erwarten. Ein ganz alter Hut sind die Putzfrauen im „Ring“ oder generell bei Wagner ohnehin schon seit Jahren.

Shanahan und Pesendorfer v.l.n.r.

Shanahan und Pesendorfer v.l.n.r.

Clay Hilley bestätigte seine gute stimmliche Leistung als Siegfried. Er müsste die Rolle aber noch differenzierter spielen und sich auch um eine stärkere vokale Facettierung mit dunklerer Tongebung kümmern, um situationsgerechten Ausdruck besser treffen zu können. Beachtlich sein genüsslich in den Raum geschmettertes Hohes C zu Beginn des 3. Aufzugs! Nina Stemme gab wieder alles als Brünnhilde und überzeugte vor allem mit ihrer klangvollen und ausdrucksstarken Mittellage und ihrer guten Mimik. Die Spitzentöne der 4. Szene des 1. Aufzugs und des 2. Aufzugs wirkten allerdings oft aufgesetzt, leicht schrill. Das wohl brachte ihr am Ende auch einige Buh-Rufe ein. Jordan Shanahan war wieder ein eindrucksvoller Alberich, sowohl darstellerisch als auch vokal. Er war immer wieder auf der Bühne, wenn er dort nicht hingehörte, hätte aber viel besser als die Putzfrau an das Ende gepasst, wie es einst Ulrich Melchinger in Kassel und Harry Kupfer in Bayreuth machten. Albert Pesendorfer sang einen exzellenten Hagen mit profundem und ausdrucksvollem Bass, ein absoluter Kenner der Partie! Thomas Lehman war ein als totaler Spießer gestylter Gunther mit gutem Bariton und Aile Asszonyi eine ebenso gute Gutrune. Okka von der Damerau bestach einmal mehr mit ihrer großen Gesangskultur als Waltraute. Die Nebenrollen waren ebenfalls gut besetzt.

Alle beim Schlussapplaus

Alle beim Schlussapplaus

Sir Donald Runnicles suchte sich mit dem Orchester der Deutschen Oper Berlin diesem „Theaterstück“ musikalisches Gehör zu verschaffen, und das gelang ihm auch weitgehend aufgrund seiner nicht zuletzt mit dem „Ring“ in Bayreuth gewonnenen Erfahrung. Man hätte sicher mehr der hörenswerten Einzelheiten und Momente der Wagner-erfahrenen Musiker im Graben genießen können, wäre man nicht dauernd dermaßen von der Hyperaktivität auf der Bühne abgelenkt worden. Der Chor und Extrachor der Deutschen Oper Berlin, einstudiert von Jeremy Bines, sang bei guter choreografischer Intensität stimmstark und mit großer Transparenz der einzelnen Gruppen.

Letzter Vorhang der Solisten des 3. Aufzugs

Letzter Vorhang der Solisten des 3. Aufzugs

Nach dem Kult-„Tunnel-Ring“ von Götz Friedrich müssen zumindest die DOB-Berliner nun eine Zeitlang mit diesem „Ring“ leben, möglicherweise sehr lang. Es wird interessant sein zu sehen, wie sich das entwickelt. Ich bin jedenfalls skeptisch.
(Ausführliche Rezension des ganzen „Ring“ in Kürze).

Fotos: Klaus Billand

Klaus Billand

Der Ring des Nibelungen

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