Berlin/Deutsche Oper: Siegfried WA - 18. Mai 2024

Statisten-Irrsinn

Mime und Siegfried jubilieren am Ende des 1. Aufzugs

Mime und Siegfried jubilieren am Ende des 1. Aufzugs

Die ersten beiden Aufzüge kann der „Siegfried“ aus dem „Ring des Nibelungen“ von Richard Wagner in der Inszenierung von Stefan Herheim, der mit Silke Bauer auch für das Bühnenbild verantwortlich zeichnet, in den oft fragwürdigen Kostümen von Uta Heiseke durchaus beeindrucken. In mythisch wirkenden, vornehmlich in von Ulrich Niepel dunkel gehaltenen Bildern sieht man in das Herheimsche Koffer-Nirwana, welch*s freilich Assoziationen an die großen Vitrinen in Auschwitz mit den Koffern der dort ermordeten Juden hervorruft, erst dann mit der wohl eher beabsichtigten Idee, dass in diesen Koffern unzählige Geschichten und menschliche Schicksale verschlossen sind, die eine lange Zeit ausmachen – eben wie der „Ring“ selbst. In den ersten beiden Aufzügen kam es auch nicht zu den Aufläufen der so redundanten über 30 Statisten. Wie ich nach der Aufführung von einem der ihren im Theaterlokal erfuhr, war das auf ein technisches Problem zurückzuführen. Wie gut! So konnten die Dialoge zwischen Mime und Siegfried, dem Wanderer und Siegfried, wie auch im 2. Aufzug zwischen Alberich und dem Wanderer viel besser als sonst in ihrer Intimität wahrgenommen werden. Im 1. Aufzug geriet allerdings einiges zu gekünstelt und manieriert.

Mime in Angst vor Fafner

Mime in Angst vor Fafner

Im 3. Aufzug geht es Herheim einmal mehr um die optisch so explizit wie mögliche Darstellung von Gefühlen und Situationen der Protagonisten durch diese über 30 Statisten. Sie bevölkern hier mehr oder weniger ständig die Bühne, beäugen die Sänger und kommentieren deren Verhalten und Gesang sogar untereinander, gestisch natürlich. Damit wird die auch durch die Musik – der in dieser Inszenierung offenbar kaum noch etwas geglaubt wird – von Wagner so wunderbar suggerierte und sich erst langsam anbahnende Intimität zwischen Brünnhilde und Siegfried im Finale verflacht, wenn nicht gar völlig aufgehoben. Etwa 15 binäre, nichtbinäre und diverse Pärchen, sorgsam alle mit weißer Unterwäsche bekleidet, auch Feinripp genannt, geben sich genussvoll und allerdings sehr bemüht wirkenden – weil eben bekleideten – Kopulations-Szenen hin. Man will dem kommenden Liebespaar wohl zeigen, wie es geht oder eventuell gehen könnte.

Siegfried im 2. Aufzug

Siegfried im 2. Aufzug

Ein noch platteres „Siegfried“- Finale ist derzeit wohl kaum zu sehen. Es drängt sich bisweilen der wohl unrichtige Eindruck auf, Stefan Herheim wolle in Konkurrenz mit den letzten CR7-Kreationen treten, oder ist es – zumal mit den gezeigten pseudo-sexuellen Handlungen – eine erotische Obsession?! Hinzu kommt eine offenbare Verliebtheit in das antiquierte Bühnenbild-Stilmittel wallender weißer Tücher, die immer wieder aus dem ominösen Klavier kommen oder in ihm (GsD) wieder verschwinden. Dass auf diesem von allen Protagonisten, sogar von Erda, wie besinnungs- und lautlos immer wieder szenenunabhängig herumgehämmert wird, geht einem regelrecht auf die Nerven! Ebenso das unbegreifliche Klammern an eine „Siegfried“-Partitur, als wenn es ohne die nicht ginge und man daraus ablesen bzw. -singen müsse…

Der Drachenkampf

Der Drachenkampf

Clay Hilley, der schon im Premierenzyklus der Siegfried war, konnte sich seit jener Zeit ganz offensichtlich in seiner stimmlichen Interpretation verbessern. Sein kraftvoller und höhensicherer Heldentenor ist auch zu gefühlvollen Zwischentönen fähig. Ricarda Merbeth hat als Brünnhilde nun auch eine bessere gesangliche Linie gefunden, obwohl ihre Diktion weiter zu wünschen übrig lässt. Aber es war eine souveräne Gestaltung der Wotanstochter! Ya-Chung Huang ist ein eindrucksvoller Mime mit Charaktertenor, idealer Gegenpart zum Heldentenor Hilley. Iain Paterson konzentriert sich bei an diesem Abend nicht allzu großem Volumen auf eine gesangliche Linie des Wanderers und überzeugt nicht zuletzt mit gutem Spiel ebenfalls.

Statisten

Statisten

Jordan Shanahan, der Klingsor von Bayreuth, singt einen erstklassigen vokal variationsreichen Alberich, verliert als Figur aber enorm an Bedeutung durch seine alberne Gestaltung als Clown und seine viel zu häufige Präsenz auf der Bühne. Tobias Kehrer ist ein ganz formidabler Fafner mit tiefem Bass. Er empfahl sich an diesem Abend eindeutig für größere Aufgaben. Dass sogar er im Feinripp mit dicker Wampe und auch noch auf dem Souffleur-Kasten in einer Veralberung fertig gemacht wird, ist nicht Kehrers Schuld, wirkt aber peinlich – insbesondere vor dem Hintergrund eines szenisch und dramaturgisch durchaus gelungen Kampfes mit Siegfried!

Brünnhilde und Siegfried beim Schlussapplaus

Brünnhilde und Siegfried beim Schlussapplaus

Lindsay Ammann singt eine Erda mit klangvollem Alt, wird aber ebenfalls von Kostüm und Regie sträflich vernachlässigt. Am Ende bringt der Wanderer sie sogar um, was GAR NICHT geht!! Lange bevor die Erde (Erda) untergeht, werden das menschliche Geschlecht und damit auch vermenschlichte bzw. vermeintliche Götter von der Erde verschwunden sein, schlicht und einfach erstickt und verbrannt! Nicolas Schröer als Solist des Knabenchores der Chorakademie Dortmund e.V. müht sich mit fragwürdigen Tönen und Harmonien durch den Waldvogel. Dass die Rolle später in der „Siegfried“-Rezeption mit einem Sopran besetzt wurde, machte an diesem Abend hörbar Sinn!

Die Deutsche Oper Berlin

Die Deutsche Oper Berlin

Nicholas Carter animierte das bekanntlich äußerst Wagner-erfahrene Orchester der Deutschen Oper Berlin zu einem wie gewohnt erstklassigen Wagner-Klang mit großer Transparenz, Dynamik und Tiefgründigkeit. Sehr gut!

Die viel zu vielen Statisten im "Siegfried"!

Die viel zu vielen Statisten im "Siegfried"!

Exkurs
Angesichts der überbordenden Statistenzahl in diesem Herheimschen „Ring“, der den ebenso erfolgreichen wie beliebten legendären Kult-„Ring“ des großen Götz Friedrich ablöste, liegen durchaus folgende Überlegungen nahe. Gerade im „Siegfried“ erleben wir die fast 5-fache Zahl der von Wagner vorgesehenen Protagonisten als Statisten, also in einem Verhältnis von 7 zu fast 35! Was könnte es damit auf sich haben?! Die vom Komponisten vorgesehenen Rollen unterliegen klaren Konzepten und entsprechenden Regieanweisungen und sind somit vom Regisseur nur bedingt beeinflussbar oder veränderbar, was im Regietheater ja dauernd geschieht. Die Statisten hingegen (im Englischen zutreffenderweise als extras bezeichnet) sind allein die Kreation des Regisseurs. Sie unterstehen damit allein in all ihren Aktionen ausschließlich seinen Vorstellungen und Willen und nicht dem des Schöpfers. So erhält der Regisseur durch sie eine Stück-exogen selbst geschaffene, viel größere gestalterische Projektionsfläche, die, wie man gerade in diesem „Ring“ immer wieder erleben kann, störend, den Fortgang hemmend und einfach nur redundant erscheint, auch was die Dramaturgie und ihre (vermeintlichen) Ziele angeht – ganz zu schweigen von ihrer Nicht-Repräsentation in der Musik.

Applaus der Protagonisten mit den Statisten

Applaus der Protagonisten mit den Statisten

Man könnte es aber auch als interpretatorischen Offenbarungseid sehen, in dem Sinne, dass selbst bei so einem musiklaichen und szenischen Universalwerk wie Wagners Tetralogie der Regisseur mit dem vom Komponisten geschaffenen Personal nichts, bzw. nichts für eine gute und schlüssige Interpretation Ausreichendes anzufangen weiß… Vielleicht sollten sich die Regietheater-Apologeten endlich einmal klar machen, dass die Kunstform Oper, der sie vermeintlich ganz neue Facetten und Interpretationen aufsatteln und deren Rollenbilder sie bisweilen neu befragen wollen (S. Morabito, Wien) wollen, Musiktheater ist und nicht Theater mit musikalischer Begleitung!

Fotos: Bernd Uhlig 1-4; K. Billand 5-9

Klaus Billand

Der Ring des Nibelungen

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