Berlin/Staatsoper: Kurzkritik des neuen Ring des Nibelungen nach der Götterdämmerung - 9. Oktober 2022
Viele Ungereimtheiten und offene Fragen, zu viele…
Anja Kampe un Andreas Schager
Am Sonntagabend ging der erste von drei Durchläufen des neuen „Ring des Nibelungen“ an der Berliner Staatsoper Unter den Linden in der Regie von Dmitri Tscherniakov unter der musikalischen Leitung von Christian Thielemann zu Ende. Zunächst gab es uneingeschränktem Jubel für die weitestgehend erstklassigen Sänger – mit Michael Volle (am Abend in stummer Rolle) als derzeit weltbestem Wotan und in dieser Produktion wieder der Star des Ensembles, mit Andreas Schager als kraftvoll heldentenoralem Siegfried und einer Anja Kampe, die mit der „Götterdämmerung“-Brünnhilde ihre Grenzen im schweren Fach sah.
Andreas Schager
Das leading team kam erst spät heraus und erntete einen wahren Buhorkan des Publikums im vollbesetzten Haus. Er hatte ähnliche Dimensionen wie jener für Valentin Schwarz und seine Neuinszenierung in Bayreuth Anfang August. Zu viele Ungereimtheiten brachte diese Berliner Produktion mit sich, zu häufige Negierungen zentraler Elemente der „Ring“-Geschichte und -Dramaturgie und somit auch ein ständiges, immer wieder in seinem Ausmaß verblüffendes Konterkarieren nicht nur der Regieanweisungen (ohnehin heute kaum noch als relevant verstanden…), aber auch des Librettos von Richard Wagner.
Anna Kissjudit als Erda und Michael Volle als Wanderer
Dabei wurde und konnte wohl auch die strenge, auf eine Mikroebene heruntergebrochene Story bei völliger Eliminierung eines jeglichen Mythos‘, der der Tetralogie ja auch innewohnt, in ein Versuchs-Labor zur Erforschung menschlicher Verhaltensweisen, kurz E.S.C.H.E. genannt, nicht stringent durchgehalten werden, wie schon die Netflix-Familiensaga von Schwarz in Bayreuth. Diese oft fehlende Stringenz des Konzepts mit zu vielen Ansätzen, die dann nicht überzeugend oder gar nicht weiterverfolgt werden bei gleichzeitig oft sich allzu sehr ähnelnden szenischen Lösungen in einem im Laufe der vier Abende immer monotoner werdenden Bühnenbild und einer nahezu abwesenden Lichtregie von Gleb Filshtinsky (der immerhin den „russischen Ring“ von V. Gergiev phantastisch ausgeleuchtet hatte) in meist unsäglichen Kostümen von Elena Zaytseva, welche Hässlichkeit, Banalität und Spießertum verherrlichen, machte immer wieder purer Langweile Platz.
Christian Thielemann
Es gibt natürlich auch in diesem engen Konzept starke Momente wie Wotans Abschied, der tatsächlich wie ein solcher gezeigt wird, zum Nachteil des „Gottes“ bzw. Versuchsleiters und nicht von Brünnhilde. Meist sind aber selbst sonst emotionale Momente rational ausgedünnt oder konterkariert. Es ist der hohen Professionalität der Sängerdarsteller und sicher auch der guten Hand von Dmitri Tscherniakov in Sachen Personenführung zu danken, dass mit einer intensiven, facettenreichen Personenregie und Mimik eine gewisse Spannung aufrechtgehalten werden konnte.
Christian Thielemann mit der Staatskapelle
Fraglich ist, wie diese Inszenierung wegkommt, wenn einmal nicht Christan Thielemann am Pult stehen sollte, der mit der Staatskpalle Berlin und dem Staatsopernchor (Einstudierung Martin Wright) zu einer mit ruhigeren Tempi, aber in ihrer faszinierenden Detailverliebheit einzigartigen musikalischen Interpretation fand. Man hatte den Eindruck, dass sich die Staatskapelle und Maestro Thielemann an diesen vier Abenden bestens zusammengefunden haben. Daraus könnte sich mehr entwickeln.
Das leading team mit einigen Sängern
Erstaunlich nur, dass der Regisseur, den die Reaktion des Publikums offenbar kaum beeindruckte, nicht den Mut hatte, sich allein vor dem Vorgang dem Publikum zu präsentieren wie bei seiner „Holländer“-Premiere in Bayreuth. Oder zumindest allein mit den Kollegen des leading team. Darauf wartete man vergebens…
Fotos: Klaus Billand
Klaus Billand