Erl/Tiroler Festspiele: Das Rheingold – Premiere am 10. Juli 2021

Erl/Tiroler Festspiele: Das Rheingold – Premiere am 10. Juli 2021

Der Rhein wallt

Der Rhein wallt

Während er diesjährigen Tiroler Festspiele Erl fand die lang erwartete Premiere des Vorabends des neuen Erler „Ring des Nibelungen“ in der Inszenierung von Brigitte Fassbaender unter der musikalischen Leitung von Eric Nielsen statt. Wir erlebten am Abend nach der nicht ganz so überzeugenden Premiere der „Königskinder“ von Engelbert Humperdinck, die im Festspielhaus stattfand, ein die Erwartungen noch übertreffende erstklassige Aufführung des „Rheingold“ im Passionsspielhaus, wo auch Gustav Kuhn immer schon seine Wagner-Produktionen aufführen ließ.

Die Rheintöchter mit Alberich

Die Rheintöchter mit Alberich

Wie Brigitte Fassbaender – nicht zuletzt auch aufgrund ihrer eigenen langjährigen Erfahrungen als Fricka – die Tetralogie sieht und interpretiert, ist von solch bestechender Sinnhaftigkeit, Klarheit und Authentizität gegenüber dem Oeuvre, wie man es kaum noch in anderen Regisseurs-Notizen der heutigen Zeit lesen kann. Hier merkt man sofort, dass die Regisseurin den gigantischen „Ring“ in seiner komplexen Gesamtheit umfänglich versteht und ihn in seiner vom Komponisten gewünschten Aussage auch vollkommen ernst nimmt.

Loge ist da!

Loge ist da!

Selbst mit den relativ beschränkten Mitteln dieser Spielstätte kam einem zu keinem Zeitpunkt in den Sinn, dass es sich eher um eine halbszenische Inszenierung handelt, bei der Bühnen- und Kostümbildner Kaspar Glarner und Jan Hartmann mit dem Licht für zeitweise phantastische Momente sorgen, die einen tief in die „Rheingold“-Dramaturgie und -Ästhetik eintauchen lassen. Geschickt wird auf drei breiten Projektionsflächen mit dezenter Videotechnik gearbeitet. Es beginnt zum Vorspiel passend mit den dunkel und langsam aufwallenden Fluten des Rheins, dem „wogenden Gewässer“. Später sieht man die mit Nebelschwaden umgebenen bewaldeten Höhen des Inntals bei Erl und Umgebung, also die „Freie Gegend auf Bergeshöhen.“ Beim Gewitterzauber ist sogar dezent an beiden Seiten der Bühne ein Regenbogen angedeutet. Die Rheintöchter fahren ein Abendmahl mit goldenem Geschirr auf, welches sich später als Rheingold entpuppt. Bei den Göttern steht das Umzugsgut abreisebereit nach Walhall schon rechts in der Ecke. Vor der mittleren Fläche hinter den Sängern ist das Riesenorchester schemenhaft zu erkennen.

Die Riesen wollen den Lohn

Die Riesen wollen den Lohn

Eine ausgezeichnete Personenregie mit ein paar speziellen und so noch nicht erlebten Momenten, die vielleicht gerade eine weibliche Handschrift zeigen, schafft Fassbaender eine ungewöhnlich hohe Intensität in der Schilderung der Charaktere, Schicksale und Erlebnisse der Protagonisten, bis bin zu den Rheintöchtern. Dabei vergisst sie auch nicht das allzu Menschliche. Am erstaunlichsten: Als Wotan Alberich partout den Ring nicht zurückgeben will, ergreift der Albe bei seinem Fluch Mitleid heischend flehend Wotans Weste! Dieser ist, ganz anders, als er dann dann vorgibt, sichtlich beeindruckt vom „Liebesgruß“. So kommt Fassbaenders „Rheingold“ in der Tat wie eine „Kriminalkomödie“ daher, ganz so, wie sie es auch sieht.

Die Götter wollen nicht zahlen

Die Götter wollen nicht zahlen

Es wird so ein szenisch und dramaturgisch ungewöhnlich fesselnder Abend mit überwiegend neuen Sängern im Wagnerfach, von denen neben der bewährten Dshamilja Kaiser als Fricka besonders der Loge von Ian Koziara, der Alberich von Craig Colclough und die allenfalls etwas zu hell singende Erda von Judita Nagyová sowie der Mime von George Vincent Humphrey hervorzuheben sind. Simon Bailey als Wotan agiert zwar überzeugend, lässt es aber an stimmlichem Volumen fehlen.

Da kommt Erda und nimmt Wotan für sich ein!

Da kommt Erda und nimmt Wotan für sich ein!

Dass es auch musikalisch ein großer, ja eigentlich sensationeller Erfolg werden würde, war schon am ersten Raunen des tiefgründigen Es-Dur-Akkords aus der Tiefe der Bühne zu vernehmen, mit dem das nach Wagner originalbesetzte Orchester der Tiroler Festspiele Erl eine nahezu fantastische „Rheingold“-Performance hinlegte, unter der offenbar höchst kenntnisreichen Hand von Eric Nielsen. Die Musik stand an diesem Abend in selten erlebter Harmonie mit dem Geschehen auf der Bühne und offenbarte damit ihre ganz große unmittelbare Wirkung.

Finale

Finale

Wer dieses Werk noch nicht kennt und in seiner Essenz kennen lernen will, der muss nun nach Erl kommen, wo der „Ring“ bis 2023 vollendet werden wird, oder im Juni 2022 in den Palast der Künste MÜPA in Budapest, wo Hartmut Schörghofer seine ohnehin schon gelungene halb-szenische „Ring“-Inszenierung überarbeiten wird. Es zeigt sich langsam, dass mit geringen szenischen Mitteln, aber größtem Verständnis und Würdigung des jeweiligen Werkes sowie einer entsprechenden Personenregie, die auch im Einklang mit der Aussage der Musik steht, mehr Eindruck erzielt werden kann als mit über-inszenierten Regietheater-Produktionen, wo es ohne „Gebrauchsanweisung“, also einem Studium des Programmheftes, nicht mehr geht…

PS
Eine Anregung für die Dramaturgin Mareike Wink:
Wotan zieht beim Kommentar zu Fricka „Um dich zum Weib zu gewinnen, mein eines Auge setzt‘ ich werbend daran“ seine Augenbinde vor dem erblindeten Auge leicht herunter. Das ist nicht korrekt. Die Erblindung auf dem einen und danach möglicherweise nach innen gerichteten Auge ist beim Schnitt des Speeres aus der Weltesche entstanden, als er sich zum Quell der Weisheit an ihrem Wurzelwerk hinunter beugte. Dafür gewann Wotan Weisheit und die Mission als Gott, Ordnung in die Ursuppe zu bringen, mittels der Runen in seinem Speer.
Als es später um Fricka ging, setzte er eben das ZWEITE Auge aufs Spiel, „mein eines“. Hätte er sie nicht bekommen und also die Wette verloren, wäre er ganz blind gewesen und als Gott irrelevant. Das zeigt ja gerade die enorme Risikobereitschaft Wotans, alles zu wagen, um Großes zu bewirken. Natürlich ist er damit Richard Wagner selbst, denn auch er wollte eine neue Form der Oper schaffen, das Gesamtkunstwerk. Auch das hätte schief gehen können und wäre es ja auch beinahe, wenn nicht König Ludwig II. auf den Plan getreten wäre..
In der Wiederaufnahme des Erler „Rheingold“ sollte Wotan in jenem Moment also auf sein gesundes Auge deuten.

Fotos: Xiomara Bender/Tiroler Festspiele Erl

Klaus Billand

Der Ring des Nibelungen

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