Mailand/Scala: Siegfried - Pr. 6. Juni 2025
„Siegfried“ in Weltklasse-Besetzung an der Mailänder Scala

Der neue „Ring des Nibelungen“ an der Mailänder Scala in der Regie von David McVicar ging Anfang Juni auf szenisch ebenso anspruchsvollem wie vokal erstklassigem Niveau mit dem „Siegfried“ weiter. Eigentlich ist zurzeit wohl kaum eine bessere Besetzung in den Hauptrollen denkbar – hier mag einmal der Superlativ Anwendung finden.

Michael Volle ist wohl der derzeit beste Wotan weltweit. Mit einer unglaublichen darstellerischen Autorität und Mimik beherrscht er mühelos alle stimmlichen Herausforderungen der Partie mit seinem großen und ebenso perfekt geführten wie ausdrucksstarken Bass-Bariton. Klaus Florian Vogt hat sich neben seinen anderen Wagner-Rollen nun auch als erstklassiger Siegfried etabliert. Mit blendender Technik führt er seinen auch zu dramatischen Ausbrüchen fähigen Tenor, wobei stets die gesangliche Linie bei bester Diktion im Vordergrund steht.

Camilla Nylund hat sich mit ihrem eigentlich nur als lyrisch-hochdramatisch zu bezeichnenden Sopran und dessen Klangschönheit bei perfekten und lang gehaltenen Höhen mittlerweile in den Brünnhilden-Himmel gesungen. Wolfgang Ablinger-Sperrhacke gab wie immer einen prägnanten Mime mit ausdrucksfähigem Charaktertenor, und Ólafur Sigurdarson einen etwas deklamatorischen Alberich, was aber zu dieser Rolle passt. Christa Mayer harmonierte mit Volle gerade als tiefer Mezzo wunderbar in der Erda-Szene, und Ain Anger ließ als Fafner seinen profunden Bass erklingen.

Regisseur David McVicar führte mit Hannah Postlethwaite die Regie-Ästhetik der beiden ersten Stücke konsequent fort, was einen Abend mit vielen starken Bildern im dazu sublim abgestimmten Licht von „David Finn“ bescherte. Schon auf dem Bühnenparavant war beim Einzug des Publikums eine Drachenandeutung zu sehen. Die Drachenszene mit einem Fafner als riesigem, sich mit Hilfskräften bewegenden Skelett und einem noch von Goldketten behangenen, alles dominierenden Totenschädel, der an Alberichs Nibelungenhort im „Rheingold“ erinnerte, war einer der szenischen Höhepunkte.

Während Mimes Schmiede optisch zu sehr ins Klein-Klein abdriftete, die Schwertschmiedung durch Siegfried aber imposant und detailliert über die Bühne ging, war das Bild der drei sich düster aus dem Boden und seinen Pflanzen windenden Nornen spektakulär. Sie erinnerten an die südamerikanische Urmutter Pachamama, die von indigenen Völkern der Anden als personifizierte Erdmutter, also das Äquivalent zur europäischen Erda, und wie eine Göttin verehrt wird.

Im 3. Aufzug gibt es farblich äußerst geschmackvoll abgestimmte Großflächen, die den Ring in Übergröße thematisieren. Am Ende sieht man Erdas mittlerweile in Teile zerfallenen Kopf, der die schlafende Brünnhilde auf einer großen Hand freigibt, auf die sie auch gebettet wurde und die schon aus der 1. Szene des „Rheingold“ bekannt ist.

Das Regieteam setzte also mit großer Entschiedenheit auf den Mythos im „Ring“. Selten konnte man erleben, wie dieser Ansatz auch in der Musik Richard Wagners aufgeht und beide sich im Rahmen seines Gesamtkunstwerkes gegenseitig verstärken. Das stellt der noch in der Intendanz von Dominique Meyer begonnene Mailänder „Ring“ eindrucksvoll unter Beweis.

Simone Young dirigierte das Orchestra del Teatro alla Scala mit der ihr eigenen langjährigen Wagner-Erfahrung kompetent und mit viel Verve, wobei nach einigen Ungenauigkeiten im 1. Aufzug ein guter zweiter und ein hervorragender dritter gelang. Bei Young ist der neue Scala-„Ring“ in besten Händen!
Fotos: Brescia e Amisano
Klaus Billand