NACHTRAG Leipzig: Der Ring des Nibelungen beim Leipziger Wagner-Festival WAGNER 22 - 7.-10. Juli 2022
Die Oper Leipzig
Vor fünf Jahren habe ich diese „Ring“-Produktion der Oper Leipzig schon besucht und detailliert rezensiert, sowie die sehr interessanten geschichtlichen Hintergründe der Tetralogie gerade in der Geburtsstadt Wagners erörtert, sodass ich kaum neue Erkenntnisse hinzufügen kann. Wer möchte, kann die Rezension unter diesem Link nachlesen:
https://www.klaus-billand.com/deutsch/wagner/der-ring-des-nibelungen/leipzig-der-ring-des-nibelungen-10-bis-13-mai-2018.html.
Die Nornen, Götterdämmerung
Die Inszenierung von Rosamund Gilmore von 2015 ist außergewöhnlich lebhaft, verzichtet auf alberne „Regietheater“ – Gags und wirkt in den opulenten Bühnenbildern von Carl Friedrich Oberle und den phantasie- und meist geschmackvollen Kostümen von Nicola Reichert bei einer exzellenten Lichtregie von Michael Röger aus der Werkaussage des Stückes heraus interpretiert und nicht zuletzt deshalb spannend und unterhaltsam. Eine Art Betonaufbau dient als Einheitsbühnenbild im „Rheingold“, wird aber durch die Lichtregie stets variiert. Das hier schon zu sehende Walhall-Modell verfällt dann über die vier Abende immer mehr, die finale Katastrophe andeutend. Charakteristisches Sonderelement ist Gilmores Choreografie in Zusammenarbeit mit den Mitgliedern einer 12-köpfigen Tanzgruppe, genannt die „Mythischen Elemente“, die – zusätzlich zu Wagners Leitmotivik – in phantasievollen Bewegungen für eine abwechslungsreiche und interessante Bebilderung des Geschehens auf der Bühne sorgt – ein toller Einfall, aber manchmal etwas überstrapaziert. Die Tänzer beleben die Handlung auch dann, wenn Langeweile einzukehren droht, und das kann in gewissen Momenten des „Siegfried“ und auch an anderen Stellen durchaus mal sein. Daneben besorgt die Tanzgruppe auf künstlerische Art und Weise die Bestückung der Bühne mit Requisiten bzw. deren Verschwinden zur Vorbereitung der folgenden Szene. Theatralisch pragmatisch! Nicht einmal musst zu einer Verwandlung der Vorhang fallen. Diese „Ring“-Inszenierung beeindruckte zudem mit einer exzellenten und oft facettenreichen Personenregie. Ein theatralischer Höhepunkt ist der Erda-Auftritt mit den drei Nornen in „Rheingold“ und „Siegfried“. Hier finden choreografische Phantasie und mythologische Intensität im Halbdunkel zu selten erlebter Kommunion.
Finale Götterdämmerung
Auf die Sänger und das Orchester unter Ulf Schirmer sei aber natürlich eingegangen. Michael Volle war in „Rheingold“ und „Siegfried“ der bekannt erstklassige Wotan/Wanderer mit enormer Ausstrahlung und Persönlichkeit auf der Bühne. Wenn er auf ihr stand, stand er im Mittelpunkt. Exzellente Diktion und mühelose Höhen bei kraftvoller Mittellage zeichnen Volles Gesangsstil aus. Thomas J. Mayer sang den „Walküre“-Wotan mit kraftvollem Bassbariton darstellerisch überzeugend. Allison Oakes sang eine technisch perfekte Brünnhilde mit einem klangvollem, durchaus nicht hochdrastischem Sopran, aber bester Diktion und Nuancierung. Oakes glänzte immer wieder auch mit einem guten Legato. Darstellerisch war sie die stürmische Maid, die Wagner vorschwebte. Im „Siegfried“ sang Daniela Köhler die Brünnhilde, etwas hell und weit weniger nuancenreich als Oakes, aber technisch gut. Ihr Timbre ist vielleicht auch eine Geschmacksache. Lise Lindstrom hingegen sang die „Götterdämmerung“-Brünnhilde ständig zu laut, ja nahezu überdreht und wirkte so optisch und darstellerisch weit besser als vokal. Es überraschte schon etwas, dass Stephen Gould, der eine Zeitlang den Siegfried abgelegt zu haben schien, nun ausgerechnet den jungen Siegfried verkörperte. Das gelang ihm aber wieder mit der von ihm gewohnt hohen stimmlichen Qualität und auch seinem Charisma, wenngleich ein unmögliches Kostüm ihn in die Nähe eines Deppen rückte. Mit Stefan Vinke stand in der „Götterdämmerung“ dann ein zweiter Weltklasse-Siegfried auf der Leipziger Bühne. Auch er konnte mit seinem variablen Heldentenor mehr als überzeugen. Weiterhin fast märchenhaft seine Modulierung des hohen C auf „Hoihe“ im 3. Aufzug, um Hagen und die Mannen zu rufen.
Begeisterter Applaus für das Orchester nach der Götterdämmerung
Werner von Mechelen sang in „Rheingold“ und „Götterdämmerung“ einen sehr engagierten Alberich mit klar artikulierendem Bariton und großer Ausdruckskraft. Kathrin Göring konnte als Fricka und „Götterdämmerung“-Waltraute stimmlich nicht so überzeugen wie in ihren Rollen in den Werken zuvor. Marina Prudenskaya war als Erda stimmlich und auch darstellerisch wieder einmal eine Offenbarung. Besser kann man das derzeit kaum hören. Elisabet Strid war wie schon an den anderen Abenden eine erstklassige Sieglinde mit schönen stimmlichen Farben und einem emphatischen Spiel. Bei Robert Dean Smith merkte man hingegen klar, dass er weit über den Zenit seines künstlerischen Wirkens hinaus ist. Wenngleich er immer noch schöne tenorale Momente fand, wirkte er mit der jungen Strid wie aus der Zeit gefallen. Taras Shtonda sang einen kraftvollen Hagen, spielte ihn nur etwas zu reserviert. Er war auch Fafner im „Rheingold“. Thomas Mohr sang den Loge mit seinem wohlklingenden Heldentenor und spielte ihn intensiv. Dan Karlström war an beiden Abenden ein guter Mime. Der Bayreuth-erfahrene Tobias Kehrer gab einen Angst-einflößenden und stimmlich kraftvollen Hunding und Friedemann Röhlig einen wohlklingenden Fasolt. Tuomas Pursio, auch immer wieder “Rheingold“-Wotan, sang einen klangvollen Alberich im „Siegfried“ und den Gunther. Daniela Fally war eine Luxusbesetzung für den Waldvogel. Emily Magee überzeugte in der für sie doch relativ kleinen Rolle der Gutrune ebenso wie Gabriele Scherer als Freia. Sven Hjörleifsson war ein sehr guter lyrischer Froh. Weniger beindrucken konnte Randall Jakobsh als Fafner im „Siegfried“, und Anoosh Golesorkhi war eine Fehlbesetzung als Donner. Die Rheintöchter waren mit Olga Jelínková, Sandra Maxheimer und Sandra Fechner als Flosshilde im „Rheingold“ sowie Sandra Janke in dieser Rolle in der „Götterdämmerung“ gut besetzt, ebenso wie die Nornen mit Christiane Döcker, Karin Lovelius und Magdalena Hinterdobler. Auch das Walküren-Oktett sang vor allem im Ensemble vortrefflich.
Stehende Ovationen nach der Götterdämmerung
Ulf Schirmer spielte am Pult des Gewandhausorchester seine ganze Routine als Wagner-Dirigent aus und setzte mit diesem „Ring“ noch einmal ein starkes Zeichen für seine Wertschätzung für Richard Wagner, die Kenntnis seiner Partituren und auch der Raffinessen, die das Ganze bereichern. Der wieder von Thomas Eitler-de Lint einstudierte Chor in der „Götterdämmerung“ war wie schon an allen Abenden bei WAGNER 22 zuvor wieder in bester Verfassung.
Fotos: Tom Schulze 2-3; K. Billand 1, 4-5
Klaus Billand