Sofia: II. Wagner Festival: Der Ring des Nibelungen - 15.-20. Juni 2024
Eine der attraktivsten „Ring“-Inszenierungen Europas
Die Blechbläser, die wie in Bayreuth den Beginn ankündigen
210 Jahre nach der Geburt und 140 Jahre nach dem Tode Richard Wagners waren für den Generaldirektor der Sofia Oper und Ballett, Prof. Plamen Kartaloff, Anlass genug, dem Bayreuther Meister zu Ehren 2023 das I. Wagner Festival der Sofia Oper zu widmen. Nun gab es die zweite Auflage mit der Wiederaufnahme des neuen „Ring“ von 2023, wieder inszeniert von Plamen Kartaloff.
Kurz vor dem "Rheingold"
Der Regisseur schreibt dem „Ring des Nibelungen“ kompositorische Macht und nicht enden wollende kosmische Dimensionen zu. Er gestaltet ihn in Sofia wie eine Reise in eine phantastische Geschichte über Menschen und Geschehnisse in mythischen Zeiten, im Kontext der Gegenwart ebenso wie der Zukunft – in der Projektion einer Welt, in der sich ständig der Zyklus Geburt – Leben – Tod wiederholt.
Wotans Abschied - gelungenes Multimedia
Die mythologische Zeit könne dabei in eine historische Zeit überführt werden, was das Verhalten und die Beziehungen zwischen Menschen und Gesellschaften betrifft, in ihrem Streben nach Gewinnmaximierung, Macht und Weltherrschaft. Dabei entstünden Konflikte bis hin zu Kriegen (sic!), geboren aus dem Kreislauf von Interessen und Gesetzlosigkeit. So liegt der Fokus dieser Produktion auf einer Welt mit einer kreislaufartig vonstatten gehenden Entwicklung, für die in ihr lebenden Menschen von Geburt bis zum Tod.
Zeit-Raum Dimension in der "Götterdämmerung"
Die eruptive Macht der Wagnerschen Musik unterstreiche dabei die Imagination durch cinematographische Zeit-Raum-Assoziationen. Sie sind auch das Mittel zur Interpretation der neuen Lesart der Tetralogie durch Kartaloff im Hinblick auf die Visualisierung von Wagners Musik in Zeit-Raum-Dimensionen.
Triskel im "Rheingold"
Kartaloffs offenbar kongenialer Bühnenbildner Hans Kudlich baute für dieses Regiekonzept drei sogenannte Triskel, die neben dem exotisch anmutenden Walhall und der geometrischen Behausung Hundings die den ganzen „Ring“ beherrschenden Bühnenelemente werden. Die Triskel, die wie halbe Brillen aussehen, präsentieren ein nordisches Symbol in Form von drei radialsymmetrisch angeordneten Kreisbögen oder offenen Spiralen.
Multimedia im "Rheingold"-Finale
Der Regisseur zeigt mit ihnen völlig stringent und immer wieder eindrucksvoll durch eine phantasievolle Beleuchtung von Andrej Hajdinjak und exzellent in Szene gesetzte Multimedia-Effekte von Ivan Lipchev und Elena Shopova metaphorisch die Spirale des Lebens und konstruiert die Folge der Szenen im Zusammenhang mit der Entwicklung der Aktion. Viele Szenen beeindrucken mit Farben von Marc Chagall – tiefes Blau kontrastiert mit intensivem Rot.
Erinnerungen an Wieland Wagners Neubayreuth
Oder sie erinnern an die Farb-Ästhetik eines Wieland Wagner, aber mit passend interpretativen und stets geschmackvollen sowie durchaus auch zeitgenössische Modeaspekte verkörpernden Kostümen von Hristiyana Mihaleva-Zorbalieva.
Bedeutung der Triskel bei Dialogen
Die drei Triskel sollen in symmetrischer Balance oder separater Aufstellung die „Seele der Handlung“ in enger Beziehung zueinander verkörpern. Und das gelingt in vielen Szenen, in denen Kontroversen ausgefochten werden, wie im Dialog zwischen Wotan und Fricka in der „Walküre“ oder zwischen Gunther und Gutrune einerseits und Hagen andererseits in der „Götterdämmerung“ ganz ausgezeichnet und nachvollziehbar.
Pantomimische Vorgeschichte im Hintergrund
Immer wieder zitiert Kartaloff Geschehnisse der Vergangenheit mit pantomimischen Szenen im Hintergrund, eine interessante Idee, die lange Monologe auflockert und besser erklärt. Ein wahrer Höhepubjkt in dieser Hinsicht war die Versammlung aller Götter und sogar der Walküren im Moment der Waltraute-Erzählung bei Brünnhilde im 1. Aufzug der „Götterdämmerung“. Das war so wohl noch nie zu sehen und äußerst stimmig.
Ensemble in der "Götterdämmerung" mit I. Derilova aus Dessau
Wie immer kann die Sofia Oper die allermeisten Partien aus dem eigenen Ensemble besetzen, welches im Rahmen der Inszenierungen von mittlerweile acht Werken Wagners mit Hilfe von Richard Trimborn seit 2010 für das deutsche Fach vorbereitet wurde.
Iordanka Derilova bei der Übernahme des Rings vom toten Siegfried
Aber es gab auch ganz ausgezeichnete bis gar Weltklasseleistungen von einigen Gästen. So war die Bulgarin Iordanka Derilova aus Dessau wieder eine einzigartige, sowohl mit ihrem hochdramatischen Sopran als auch mit ihrem begnadet authentischen Spiel eine der besten Brünnhilden der Welt in der „Götterdämmerung“, und sicher nicht nur in dieser.
Aris Argiris als Wotan mit Brünnhilde im Finale der "Walküre"
Der Grieche „Aris Argiris“ glänzte als Wotan in der „Walküre“ mit einem äußerst engagierten und in jeder Szene einnehmenden darstellerischen Instinkt mit einem klangvollen Bassbariton, der sich ausgezeichnet für den „Walküre“-Wotan eignet, da er sowohl die geforderten Höhen wie eine gute Tiefe aufweist und über eine breite, technisch bestens geführte und resonante Mittellage verfügt.
Krisztián Cser als Wanderer mit MIme
Krisztián Cser aus Ungarn brillierte wie schon bei der Premiere im letzten Jahr wieder als Wanderer mit einem sängerisch betonten, fast liedhaft dramatischen Vortrag. Sein Timbre ist besonders klangschön. Er vermochte auch durch sein elegant-souveränes Spiel mit Mime und Siegfried zu überzeugen.
Veselin Mihaylov als neuer bulgarischer Wotan im "Rheingold"
Eine überaus erfreuliche Neuentdeckung war der bulgarische Wotan des „Rheingold“, Veselin Mihaylov, der die Rolle mit klangvollem Bassbariton sehr engagiert und souverän gestaltete.
Gergana Rusekova als "Walküre"-Brünnhilde bei der Todesverkündigung
Gergana Rusekova sang eine emotioal beeindruckende und charaktervolle Brünnhilde in der „Walküre“, und Radostina Nikolaeva einer ihrer Stimme bestens entsprechende, klangvolle „Siegfried“-Brünnhilde. Beide konnten auch in ihrem Spiel sehr überzeugen.
Martin Iliev als "Götterdämmerung"-Siegfried
Martin Iliev war wieder ein kraftvoller Siegmund und ein ebenso intensiver Siegfried in der „Götterdämmerung“, der besonders durch seine leicht depressiv wirkende Ausstrahlung die Tragik beider Figuren zum Ausdruck brachte. In den Waldvogel-Erzählungen im 3. Aufzug der „Götterdämmerung“ geriet er an stimmliche Grenzen, was aber wohl auch an einer Verkühlung kurz zuvor lag. Und ansagen lässt man sich in Bulgarien fast nie…
Kostadin Andreev als junger Siegfried
Kostadin Andreev führte als junger Siegfried wieder seine große Musikalität und sein enormes heldentenorales Material vor, ebenso wie sein dem jungen Siegfried bestens entsprechendes ungestüm jugendliches Spiel. Aber er muss weiterhin an seiner Gesangs-Technik und an der deutschen Diktion arbeiten.
Tsvetana Bandalovska als Sieglinde mit Martin Iliev
Tsvetana Bandalovska sang einmal mehr ihre bewährte Sieglinde aus den Vorjahren. Sie akzentuierte mit großer darstellerischer und gesanglicher Kunst mit viel Herzblut die so bedeutende emotionale Seite der Figur und bekam dafür auch sehr viel Applaus. Bandalovska gelang es, auch mit ihrem wohlklingenden Sopran, das Publikum in der „Walküre“ mitzureißen. Eine sehr gute Leistung, die sie später mit der Gutrune bestätigte.
Plamen Dimitrov als Alberich
In diesem „Ring“ konnte die Sofia Oper einen neuen, ganz ausgezeichneten und charakterstarken Alberich präsentieren. Plamen Dimitrov gab die Rolle mit einem enormen physischen Einsatz und eindrucksvollem schauspielerischen Engagement. Seinen farbigen Bassbariton, den er sehr gute modellieren und facettieren kann, verschaffte der Rolle große Autorität. In wichtigen Momenten der Handlung erschien er als Beobachter am Rande der Szene und unterstrich damit deren Bedeutung.
Petar Buchkov als Hagen mit einigen Mannen
Petar Buchkov überzeugte mit seinem Bass diesmal als Hagen mehr als in der Premiere 2023. Er gab auch den Fafner im „Rheingold“ und im „Siegfried“, da mit guter Verstärkung. Bjarni Thor Kristinsson war ein respektgebietender, etwas rustikal wirkender Hunding mit perfekter Diktion und guter Resonanz, aber nicht immer ganz reiner Intonation. Mariana Zvetkova war im „Rheingold“ und in der „Walküre eine Wotan Paroli bietende Fricka, stimmlich allerdings nicht in allen Lagen überzeugend.
Krassimir Dinev als Mime mit Siegfried
Krassimir Dinev ist über die Jahre in den beiden Sofioter „Ring“ – Inszenierungen zu einem sehr guten Mime gereift, mit klar fokussiertem Chataktertenor, aber auch mit lyrisch- gesanglichen Qualitäten in den entsprechenden Momenten und einem unglaublich vielseitigen, ja bisweilen akrobatischen Spiel. Was er sich von Siegfried und dem Wanderer alles bieten lassen musste, ging auf keine Kuhhaut! Ein ganz starkes Mitglied des Ensembles der Sofia Oper.
Vesela Yaneva als Erda mit dem Wanderer
Diese hat nun auch eine neue Erda, die sehr beeindruckende Vesela Yaneva, die beide Male mit ihrem klangvollen und eindringlichen Mezzo die gesamte Aufmerksamkeit nicht nur des Personals auf der Bühne sondern auch des Publikums im Saal auf sich lenkte. Dazu erschien sie in einem beigen Kostüm mit Schicksalsseil-assoziierten Aperçus, das für eine Erda kaum besser geschaffen werden könnte. Ein großer Kunstgriff!
Daniel Ostretsov als Loge
Daniel Ostretsov ist nun auch als das „Rheingold“ wesentlich steuernder Loge weit besser als noch vor Jahren und lässt ganz klar den Siegmund, eigentlich auch den Lohengrin durchhören. Dieser sehr musikalische und talentierte Sänger sollte an der Sofia Oper – und vielleicht nicht nur dort – noch einige wichtige Rollen nicht nur im Wagner-Fach hinzugewinnen. Sein Loge war großartig und begründete auch den Erfolg des Vorabends!
Atanas Mladenov als Gunther
Atanas Mladenov war wieder ein sehr guter Gunther und gab der Rolle königliches Format. Es war aufregend anzusehen, wie er nach und nach seine Autorität verliert, was er mit seinem klangschönen Bariton auch stimmlich untermauerte. Ein sehr begabter, noch relativ junger Nachwuchssänger des Sofioter Wagner-Ensembles, der hier auch schon mit Erfolg den Amfortas sang und den man längst auch einmal in Westeuropa hören möchte.
Alexandrina Stoyanova-Andreeva als Waltraute mit Brünnhilde
Alexandrina Stoyanova-Andreeva als Waltraute in der „Götterdämmerung“ entwickelte dort mit ihrem klangschönen und sängerisch betonten Mezzo – auch mit ihrer Ruhe – einen auratischen Gegenpol zur hochdramatischen und ihr rollengemäß fast aggressiv gegenübertretenden Brünnhilde von Iordanka Derilova. Die Waltraute-Erzählung wurde somit zu einem kleinen Höhepunkt der „Götterdämmerung“. Sie sang natürlich auch wieder die attraktive Flosshilde.
Die Rheintöchter im "Rheingold"
Das Rheintöchter-Terzett war auch mit den beiden anderen, Stanislava Momekova als Woglinde und Ina Petrova als Wellgunde, mit Alexandrina als Flosshilde, eine Augenweide an Erotik und dabei auch sängerisch beeindruckend. Natürlich mussten sie wieder ihre schon legendären Trampolinsprünge absolvieren, was beim Publikum, weniger bei Alberich, gut ankam.
Die drei Nornen
Auch das Nornen-Terzett war erstklassig und agierte wie in einer nächtlichen Session des Orakels von Delphi mit exzellenter Choreographie und dunklen Blautönen sowie den berühmten weißen Kugeln im Prolog. Ana Werle als Erste, Ina Petrova als Zweite und Lyubov Metodieva als Dritte Norn waren auch gesanglich beeindruckend und sehr schicksalsträchtig. Auch ihre Kostüme hatten – wie jenes der Urmutter – Aperçus des Schicksals-Seils.
Maria Pavlova als Waldvogel im Hintergrund
Maria Pavlova agierte mit perfekter Poesie als Waldvogel im „Siegfried“ von einer Schaukel im Bühnenhintergrund aus und vollführte in flatternden Auf- und Abbewegungen vogelähnliche Aktionen mit einem glasklaren hellen Sopran. Eine großartige Idee des Regisseurs und eine Augenweide in Orange!
Die Riesen
Stefan Vladimirov sang einen guten und emotional aufgeladenen Fasolt und war wie sein Bruder Fafner in ein unheimliches vorzeitliches Riesenkostüm gepackt. Die beiden Riesen wirkten so in der Tat wie zwei ungeheuerliche Gesellen, mit denen man nur ungern verhandeln möchte… Im „Rheingold“ sah man, wie sie noch letzte Hand an Walhall legten, eine asiatisch anmutende, langsam zu voller Größe aufsteigende Behausung.
Svetozar Rangelov im "Rheingold"-Finale mit Fricka, Froh und Freia
Svetozar Rangelov war wieder Donner, durchaus gut in Gesang und Spiel, und Hrisimir Damyanov sang den Froh mit zu kleiner Stimme, aber interessantem Outlook. Silvana Pravcheva gestaltete eine gute und authentisch aufgeregte Freia mit kräftigem Sopran.
Das Walküren-Oktett
Das sehr ansprechende und auf lebensgroßen feuerroten Pferden (ein Hit!) agierende Walküren-Oktett war choreographisch äußerst beeindruckend und sang in fast allen Rollen auch sehr gut. Stanislava Momekova war Helmwige, Silvia Teneva Ortlinde, Lyubov Metodieva Gerhilde, Ina Petrova Waltraute, Elena Mehandzhiyska Siegrune, Tsveta Sarambelieva Rossweiße, Alexandrina Stoyanova-Andreeva Grimgerde und Vesela Yaneva Schwertleite.
Finale "Götterdämmerung"
Die von den Riesen erbaute Burg Walhall brennt im Finale der „Götterdämmerung“ allerdings viel zu früh ab, nämlich schon dann, wenn eigentlich die Gibichungenhalle brennen sollte. Danach kommt zwar der Rhein in Blautönen, aber Hagen treibt sich nach seinem „Zurück vom Ring!“ viel zu lange auf der Bühne herum, die Rheintöchter beäugend, ebenso wie diese. Denn der finale Brand Walhalls entfällt völlig. Das war beim letzten „Ring“ Kartaloffs, der sich ja gern an die Anweisungen Wagner hält, besser und damit auch überzeugender.
Die große Hoffnung...
Aber der helle Lichtstrahl, der zum Schluss als Zeichen der Hoffnung auf die leere dunkle Bühne fiel, konnte einen dann mit der eigenwilligen Chronologie des „Götterdämmerung“-Finales etwas versöhnen.
Dirigent Evan-Alexis Christ mit Regisseur Plamen Kartaloff
Evan-Alexis Christ dirigierte nun in Sofia seinen ersten kompletten „Ring“, nachdem er als GMD in Cottbus mit der Tetralogie sehr viel Erfahrung gesammelt und in Sofia auch schon „Das Rheingold“ gemacht hatte. Er dirigierte das Orchester der Sofia Oper und Ballett sowie den sehr stark auftretenden und wie immer von Violeta Dimitrova einstudierten Chor der Sofia Oper und Ballett ungemein engagiert und dynamisch. Dabei ging er stets dezidiert auf die Musiker im Graben und die Sänger ein und signalisierte Feedback für gute Leistungen. Das Orchester ist über die Jahre seit 2010 nun ein sehr gutes Wagner-Orchester geworden und wurde von Evan-Alexis Christ wie der „Lohengrin“ bestens für dieses Wagner Festival vorbereitet. So hat man ein sehr gutes Fundament für das schon jetzt bekanntgegebene Festival mit dann neun Werken im Juni/Juli 2025 gelegt. Denn dann soll ein neuer „Tannhäuser“ kommen. Das Publikum war begeistert!
Fotos: Svetoslav Nikolov
Klaus Billand