Zürich: „Siegfried“ Premiere – 5. März 2023

Kaum je so gehörte musikalische und emotionale Dimensionen

Siegfried gießt das Schwert

Siegfried gießt das Schwert

Der Intendant der Oper Zürich, Andreas Homoki, hat mit seiner Neuinszenierung des „Siegfried“ im Rahmen der neuen „Ring des Nibelungen“-Produktion in Zürich zusammen mit dem Dirigenten Gianandrea Noseda in dieser Intensität gänzlich neue Akzente in diesem oft als Scherzo der Tetralogie Richard Wagners bezeichneten Stück gesetzt. Für den Zürcher GMD ist der „Siegfried“ die „sinfonischste Oper der Tetralogie“. Er sieht bei Wagner, zumal auch mit der langen Unterbrechung der „Ring“-Komposition nach dem 2. Aufzug und den „Meistersingern“ eine größere polyphonische Erfahrung sowie eine an Klangfarben reichere Orchestrierung – ganz zu schweigen von „Tristan und Isolde“ zuvor.

In voller Aktion...

In voller Aktion...

Und genau das kommt dem italienischen Maestro entgegen, der einen „bellinesken“ Stil kreieren möchte, also auf der Kantabilität und den großen melodischen Bögen Vinzenzo Bellinis, den Wagner bekanntlich verehrte und auf denen er als Komponist aufbaute. Und das ist an diesem Premierenabend vor einem erstaunten Zürcher Publikum eindrucksvoll gelungen. Selten konnte man schon im 1. Aufzug, aber auch den ganzen Abend über, so fein gesponnene Details vernehmen wie bei der Philharmonia Zürich mit größter Transparenz auch musikalischer Einzelleistungen. Das für den „Siegfried“ so feine und dicht gewirkte Motivgewebe trat zu jedem Zeitpunkt klar hervor.

Siegfried schmiedet Nothung

Siegfried schmiedet Nothung

Der stark gefeierte Erfolg der musikalischen Leistung hatte aber mindestens zwei weitere Protagonisten, die stimmlich genau zu dieser italienisch angehauchten Interpretation passten. Und dies war das mit großer Spannung erwartete Rollendebut von Klaus Florian Vogt als Siegfried und Camilla Nylund mit ihrer ersten „Siegfried“-Brünnhilde, die hier ja schon als Walküre reüssiert hatte. Beiden gelang ihr Debut sensationell, ja es wurde jeweils ein Triumph.

Mime mixt seinen Drink

Mime mixt seinen Drink

Vogt vermochte – abgesehen von seiner wie immer intensiven Darstellung – mit seiner großen und stets wortdeutlichen Gesangskunst dem Jungburschen Siegfried nahezu unbekannte lyrische und damit auch menschlichere, warmherzige Momente zu geben, als man es sonst von dieser Rolle gewohnt ist – selbst im Verhältnis zu seinem im Prinzip ungeliebten Ziehvater Mime. Vogts verhältnismäßig leichter und damit beweglicherer Tenor gibt ihm dazu eine größere Gestaltungskraft. Aber er meistert auch die Höhen stets klangvoll, selbst noch im Finale nach über drei Stunden auf der Bühne! Homoki zeichnet Siegfried hier als naiven Naturbuschen, der unschuldig bei ihm im Wald aufwächst, mit viel Empathie das Geschehen unter den Tieren um ihn herum beobachtet und daraus sinnvolle Schlüsse für sich selbst und seine Entwicklung zieht.

Der Drachenkampf

Der Drachenkampf

So wirkt sein Dialog mit Mime im 1. Aufzug total konsequent und so eingängig wie selten. Deshalb ist es auch nur konsequent, dass der Bär (Dominique Misteli), den Siegfried gleich zu Beginn wieder laufen lässt, ihn zur Erheiterung des Publikums noch einmal herzlich umarmt. Klaus Florian Vogt, der sich ja immer mit jeder Rolle intensiv identifiziert, macht dieses engagierte Rollenprofil sichtlich Spaß, wie man auch bei seinem behenden Kampf mit dem von Marius Kob gesteuerten hochbeweglichen und riesigen Drachen Fafner zur Schau stellt, den Homoki wie den Bären mit einem Augenzwinkern und sich mit Wagners Freude am Puppenspiel assoziierend mitinszeniert…

Der Waldvogel

Der Waldvogel

Camilla Nylund war mit ihrem lyrisch dramatischen und stets die gesangliche Komponente betonenden Sopran, sowie mit ihrer ausgezeichneten Technik, eine nahezu ideale Partnerin. Bei ihr wurde jede Note zu herrlichem Klang und ihre engagierte Darstellung zu mitreißendem Operntheater. Im Finale übernimmt sie nach dem langen Hin und Her die Initiative und wirft den nicht so ganz entschlossen wirkenden Siegfried mit voller Kraft auf das Bett, auf dem der Aufzug nach einem kraftvoll gesungenen und auch lang gehaltenen hohen C zu Ende geht, wie man es eher vom 1. Aufzug der „Walküre“ her kennt…

Erda erscheint

Erda erscheint

Wolfgang Ablinger-Sperrhacke passt mit seiner facettenreichen Interpretation des Mime, die an diesem Abend – sehr sinnvoll von Homoki erdacht – auch spürbare emotionale Momente mit sich bringt, bestens zu Vogt, auch in Bezug auf die stimmliche Abgrenzung durch seinen Charaktertenor. Auch Mime ist doch eine vielschichtige Figur und nicht nur der von vornherein auf Siegfrieds Tod setzende Unhold. Ablinger-Sperrhacke schildert seine Auffassung von der oft als eindimensional gesehenen Rolle im Monatsheft der Oper Zürich auf sehr interessante und nachvollziehbare Weise.

Wotan verliert seine Macht

Wotan verliert seine Macht

Tomasz Konieczny, der hier auch schon den Wotan im „Rheingold“ und in der „Walküre“ engagiert und sehr authentisch gegeben hat, vermochte auch im „Siegfried“ darstellerisch voll zu überzeugen. Es sind starke Momente, wenn er bei Beantwortung der dritten Frage durch Mime im 1. Auftrug auf einmal in Walhall steht und die ganze Macht der Götter unterstreicht. Aber auch, als er durch den Speerschlag ebenfalls in Walhall auf erschütternde Weise seinen Machtverlust gewahrt und dabei vom Tisch gleich zu Boden stürzt. Wie lächerlich hat Sven-Eric Bechtopöf diese so wichtige Szene in seinem Wiener „Ring“ vertan! Konieczny agiert stimmlich in den ersten beiden Aufzügen durch eine klangvollere Tiefe auch vokal sehr überzeugend. Im 3. Aufzug kommt es durch den Anzug ins Forte aber wieder zu einer vokalen Grellheit mit entsprechendem Klangverlust.

Brünnhilde auf dem Meteoriten

Brünnhilde auf dem Meteoriten

Anna Danik singt eine tiefgründige attraktive Erda mit einem farbigen Mezzo und bietet eine dramaturgisch reizvolle Szene mit dem Wanderer, die ihre einstige Verbindung noch einmal in Erinnerung ruft. Nur bleibt unklar, warum sie zunächst recht lange aus dem Off zu hören ist. Christopher Purves ist wieder ein starker Alberich, sowohl stimmlich wie mit seiner intensiven und mimisch perfekten Darstellung. Er agiert mit dem Wanderer absolut auf Augenhöhe.

Applaus Protagonisten

Applaus Protagonisten

David Leigh singt einen sehr guten Fafner, nachdem er vor der Leiche des riesigen Drachen hervorgekommen ist, und Rebeca Olivera gibt mit ihrem Rollendebut einen sehr poetischen und lyrischen Waldvogel, der Siegfried immer wieder mit seinem weißen Schwanen-Gefieder beeindruckt – ein starker Kontrast zum allgemeinen Dunkel der Bühne.

Applaus Sängerensemble mit Leading Team

Applaus Sängerensemble mit Leading Team

Andreas Homoki verfolgt in den Bühnenbildern von Christian Schmidt und mit der Lichtgestaltung von Franck Evin sein bisheriges Konzept weiter, den „Ring“ auf einer immer wieder klassizistisch gestaltete neue Räume öffnenden Drehbühne spielen zu lassen. Angesichts der düsteren Momente und Machenschaften im „Siegfried“ sind diese offenbar nun schwarz. Zudem zeigen diese Räume mit halb zerstörten alten Möbeln Elemente des Verfalls und des Untergangs. Das passt bestens zum ästhetischen Gesamtkonzept dieses „Siegfried“. Ein insgesamt großer Abend an der Limmat!

Fotos: Monika Rittershaus 1-9; K. Billand 10-11

Klaus Billand

Der Ring des Nibelungen

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