Leipzig: Rienzi bei WAGNER 22 der Oper Leipzig – 23. Juni 2022
Ein einzigartiger Wagner-Marathon
Rienzi mit seiner Macht
Unter dem Motto „3 Wochen Unendlichkeit, Schwelgen und Rausch“ begannen am 20. Juni die lange erwarteten Richard Wagner Wochen der Oper Leipzig „WAGNER 22“, mit denen Intendant und GMD Ulf Schirmer seine Amtszeit am Leipziger Haus seit der Saison 2009/10 abschließen möchte. Wohl nirgendwo anders bekommt man die Möglichkeit, nicht nur alle 13 Opern und Musikdramen des Bayreuther Meisters in so kurzer Zeit szenisch hintereinander zu erleben, sondern auch seine drei Frühwerke, die nicht in den sog. „Bayreuther Kanon“ eingingen. Und diese Frühwerke, insbesondere „Die Feen“ und „Das Liebesverbot“, dokumentieren eindrucksvoll, welches Talent Wagner in jungen Jahren zwar schon hatte, wie sehr er es aber erst über den langen Zeitraum seines künstlerischen Schaffens ausbaute und perfektionierte. Immerhin hatten sogar Friedrich Nietzsche und Thomas Mann Richard Wagner einmal als einen genialen Dilettanten bezeichnet.
Der stolze Rienzi
Ganz anders also als sein bis zum Tode schon 1847 ebenfalls in Leipzig aktiver Antipode Felix Mendelssohn Bartholdy, der schon mit 12 Jahren seine erste Komposition drucken ließ, mit 15 seine 1. Symphonie fertigstellte und mit 17 schon Meisterwerke wie das Streichoktett in Es-Dur op. 20 sowie die Ouverture zu Shakespeares „Ein Sommernachtstraum“ komponierte. Ganz anders als Wagner also ein Meister gleich schon zu Beginn seines kurzen Lebens! Unter dem Titel „Mendelssohn und Wagner. Zwei Leitfiguren der Leipziger Musikgeschichte“ thematisierte ein hochkarätiges Internationales Symposium des Instituts für Musikwissenschaft der Universität Leipzig in Kooperation mit dem Richard-Wagner-Verband Leipzig vom 23.-25. Juni das Wirken beider Komponisten in der Bürgerstadt. Namhafte Referenten aus Leipzig, Deutschland, Großbritannien und den USA waren mit interessanten multidisziplinären Betrachtungen beider Komponisten mit speziellem Bezug zu Leipzig zu hören.
Rienzi und Irene
Mit „Rienzi“ führte die Oper Leipzig das letzte der Wagnerschen Frühwerke in einer Inszenierung von Nicholas Joël auf, der 1920 verstorben ist und bei Patrice Chéreau Assistent bei dessen „Jahrhundert-Ring“ in Bayreuth 1976 war. Joël war von 1990-2009 Intendant des Théâtre du Capitole de Toulouse und danach bis 2014 der Pariser Oper. Er hat sich durch großartige Inszenierungen an vielen ersten Häusern in Europa und den USA profiliert, unter anderen mit dem „Ring des Nibelungen“ in Strasbourg und Lyon und einem zweiten am Hessischen Staatstheater Wiesbaden. So konnte man also eine anspruchsvolle Inszenierung des so schwierig in Szene zu setzenden „Rienzi“ erwarten. Es ging Joël offenbar um eine Reduktion der Monumentalität des auf dem Roman „Rienzi, der letzte der Tribunen“ des englischen Schriftstellers Edward Bulwer-Lytton ruhenden Stoffes, den Wagner während eines längeren Aufenthaltes in Dresden gelesen hatte.
Rienzi wird verklagt
In einem sehr spartanischen, in dunklen Grautönen und den gesamten Bühnenraum umfassenden und von Michael Röger nur spärlich beleuchteten Bühnenbild des ebenfalls schon verstorbenen Andreas Reinhardt konzentriert sich Joël total auf die Bestrebungen Rienzis, die ewige Stadt Rom gegen die Machtinteressen und -kämpfe der Colonna wieder zu einen. So stellt er die Figur des Tribunen immer wieder in dominante Positionen, wie beispielsweise auf den Souffleurkasten, was ihn optisch über alle anderen erhebt. Auch sieht man ihn einmal in einer roten Toga in weißem Gewand. Bisweilen wirkten diese Bilder etwas zu statisch, es gab immer wieder auch mal Rampensingen, obwohl generell eine gut akzentuierte Personenregie festzustellen war. Dabei kam auch die Drehbühne szenenbelebend und -wechselnd zum Einsatz. Auch die ebenfalls von Reinhardt geschaffenen Tagesanzüge der Colonna und Orsini waren in tristem Grau gehalten, wohl auch um die Tragik der ganzen Situation widerzuspiegeln.
Vor dem brennenden Capitol
Stefan Vinke, der erst vor kurzem einen eindrucksvollen Siegfried am Palast der Künste-MÜPA in Budapest (siehe in diesem Heft) gesungen hat, füllte dieses besonders starke Rollenprofil des Rienzi eindrucksvoll aus. Mit seinem kräftigen und bis zum Ende schier unermüdlichen Heldentenor strahlte er stets die vom Tribunen erwartete Souveränität und Erhabenheit aus, wobei ihm die baritonale Basis seines Tenors zusätzlich zugute kam. Klangvoll und mit großer Hingabe intonierte Vinke auch den berühmten Monolog „Allmächt’ger Vater, blick herab!“ In Miriam Clark hatte Vinke eine Schwester Irene mit klangvollem Sopran auf Augenhöhe zur Seite, die auch große Emotionalität in die Partie einbrachte. Sebastian Pilgrim, bewährter Haus-Bass in Leipzig, sang einen Respekt gebietenden Colonna und Franz Xaver Schlecht einen Orsini mit prägnantem Bariton und einem hohen Maß an Aktivität. Allerdings wurde zu viel mit Pistolen herumgefuchtelt.
Das Volk ist erschossen worden
Außerordentlich gefallen konnte wieder Kathrin Göring als agiler Adriano mit ihrem klaren und klangreichen Mezzo, und die in ihrem Kampf um Irene in der Hosenrolle darstellerisch und stimmlich alles gab – und das war viel! Sejong Chang war als Legat des Papstes in Rom nicht ganz glaubwürdig als Figur und auch stimmlich nicht ganz überzeugend, vor allem, was Volumen und Farbgebung betrifft. Matthias Stier als Baroncelli, Randall Jakobsh als Cecco del Vecchio und die als Friedensbote sehr schön singende Anna Alàs i Jové agierten in den Nebenrollen. Wieder war der Chor und diesmal auch der Zusatzchor der Oper Leipzig unter Leitung von Thomas Eitler-de-Lint in großartiger Form und repräsentierte das Volk von Rom nachdrücklich.
Applaus Protagonisten
Der an diesem Abend planmäßig angesetzte Matthias Foremny dirigierte wieder das Gewandhausorchester und begann mit der Ouvertüre schon etwas zu marschmäßig. Im weiteren Verlauf war die Lautstärke bisweilen zu hoch, auch wenn es mit dem Geschehen auf der Bühne bis zu einem gewissen Grad harmonierte. In den Szenen mit Adriano und Irene sowie zu den Verzweiflungsmomenten Adrianos, zwischen Vater und Geliebter hin- und hergerissen zu sein, ergaben sich dann auch lyrischere Momente im Graben.
Im 3. bis 5. Akt stellte Andreas Reinhardt einige etwa personengroße Holzmodelle von bedeutenden Bauten Roms auf die Drehbühne, den Petersdom, das Colosseum, den Lateranpalast, das Kapitol und andere. Sie bildeten eine symbolische Kulisse für den Untergang Rienzis in der Stadt, die er immer einen wollte, in der er aber auch vor Gewalt nicht Halt machte, was ebenfalls gut zu sehen war, und in der er am Ende neben einem in echten Flammen stehenden Kapitol mit Irene sein Ende findet. Von außen werden aber auch alle anderen mit einem MG erschossen…
Fotos: Andreas Birkigt 1-6; K. Billand 7-8
Klaus Billand