München/Sugar Mountain: Das Liebesverbot NI - 17. Oktober 2021

Wagners Frühwerk aus ganz neuer Perspektive

Der Sugar Mountain in Obersendling

Der Sugar Mountain in Obersendling

Anlässlich des jährlichen Internationalen Richard Wagner Kongresses 2021 in München brachte der Vorsitzende des austragenden Richard Wagner Verbandes München, Karl Russwurm, eine Neuinszenierung von Wagners Frühwerk „Das Liebesverbot“ in einer unkonventionellen und positiv überraschenden Konzeption für die aus vielen Ländern kommenden Delegierten auf den Weg. Man suchte die Zusammenarbeit mit der Opera Inkognita München und fand das hippe Veranstaltungszentrum Sugar Mountain in Obersendling weitab vom Stadtzentrum und opernmässig noch weiter ab von der Bayerischen Staatsoper. Dabei handelt es sich um ein altes aufgelassenes Betonwerk, in dessen Umgebung die dortige Jugend Fuß- und Basketball spielt und sich so richtig austoben kann.

Die Bühne im alten Betonwerk

Die Bühne im alten Betonwerk

Die “Opera Incognita” wird geleitet von Ernst Bartmann (Komposition und musikalische Leitung), die er auch für „Das Liebesverbot“ hatte, und von Andreas Wiedermann, der für die Inszenierungen zuständig ist und also auch Wagners Frühwerk in Szene setzte.

Isabella mit Mariana

Isabella mit Mariana

Ziel und Leitidee von Opera Incognita ist es, außergewöhnliche Opern auszuwählen und diese einem etablierten als auch jungen Publikum zugänglich zu machen. Die gespielten Werke sollen eine szenische und musikalische Herausforderung darstellen und folgen einer chronologischen Reihenfolge. Der Einstieg erfolgte 2005 mit der „Armide“ von Chr. W. Gluck. Das Besondere an den Inszenierungen ist die enge Zusammenarbeit des musikalischen Leiters und des Regisseurs: beide sind bei den Proben anwesend und studieren die Stücke gemeinsam ein. Dies führt zu einer stärkeren Symbiose zwischen Musik und Inszenierung und stellt eine Vorgehensweise dar, die an den etablierten Häusern nicht zu realisieren wäre. Die größtenteils noch recht jungen und unbekannten Akteure sind meist Absolventen der Musikhochschulen. Sie bekommen die Möglichkeit, Erfahrungen mit großen Bühnenwerken zu sammeln und sich dadurch die Tür zu weiteren namhaften Projekten zu öffnen.

Brighella mit Friedrich

Brighella mit Friedrich

Und genauso kam auch die Regie von Wiedermann und die musikalische Leitung & Arrangement der Oper „Das Liebesverbot“ durch Bartmann auf die riesige Bühne des Betonwerks. Mit einigen wenigen Requisiten, darunter ein großes hängendes Netz, und einem Metallzaun um die Spielfläche, wurde der Eindruck eines begrenzten Raumes geschaffen, in dem das Liebeverbot Friedrichs, des Statthalters von Sizilien, unter der Androhung der Todesstrafe greifen sollte. Und dort scheiterte es so kläglich daran, dass er selbst dagegen verstößt und somit das Gesetz am Ende aufgehoben wird und der Karneval mit all seinen Lusteffekten den gewohnten Lauf nehmen kann.

Friedrich, der Statthalter von Sizilien

Friedrich, der Statthalter von Sizilien

Wagner wurde ja im Wesentlichen von zwei Quellen inspiriert, diese Oper zu schreiben. Einmal las er „Ardinghello und die glückseligen Inseln“ von Wilhelm Heinse (1787). Da ersann der Autor einen Staat auf griechischen Inseln, in dem die Männer sich frei und zwanglos in einer zügellosen Sinnlichkeit entfalten können. Später las er „Das junge Europa“, einen Roman in drei Bänden von Heinrich Laube (1806-1884), der der Bewegung junger, liberal gesinnter Dichter in der Zeit des Vormärz (1830) angehörte, die eine völlig neue, liberale Gesellschaft anstrebte, in der keine Autorität mehr ohne weiteres akzeptiert werden sollte.

Die protestierenden Karnevalisten

Die protestierenden Karnevalisten

Und genau das schien auch ein Aufhänger für diese facettenreiche, fantasievolle und auf das gegenwärtige Pandemie-Geschehen mit seinem „Querdenkertum“ und die Klimawandel-Diskussion mit der Bewegung Fridays for Future humoristisch-zynisch abstellende Inszenierung gewesen zu sein. Es geht schon gleich damit los, dass man nach der 3G-Prüfung von drei schwarz gekleideten armierten Polizisten gestoppt wird, die man von den Demonstrationen her kennt und die einen dann zum Platz führen. Dann tritt nach Bekanntgabe des Liebesverbots eine ganze Schar junger Leute lautstark mit Transparenten auf, die mit der „Querdenker“-Szene und fff assoziiert werden können. Die eigentliche Handlung vollzieht sich dramaturgisch akzentuiert und nachvollziehbar um ein paar wenige Möbel in der Bühnernmitte herum.

Schlussapplaus

Schlussapplaus

Stimmlich fällt mit Abstand Ekaterina Isachenko als Isabella, Claudios Schwester, aus Murmansk auf. Sie hat an erstklassigen Konservatorien studiert und auch Meisterklassen bei Dietrich Fischer-Dieskau, Julia Varady und Hilde Zadek absolviert. Ihr klangvoller Sopran überstrahlt mit seinem Nuancenreichtum die vokalen Mittel der meisten Kollegen, und sie agierte auch sehr pointiert. Auch Lyriel Benameur aus Salzburg, die die Mariana, Novizin im Kloster, spielte, konnte stimmlich voll überzeugen. Beide gaben sich einmal ein sehr schönes Duett. Bei den Damen konnte ferner die Schweizerin Larissa Angelini als Dorella, das Kammermädchen, beeindrucken. Karo Khachatryan als junger Edelmann Luzio, ist mit seiner stimmlichen Entwicklung noch nicht zu Ende gekommen. Sein Tenor hat noch wenig Resonanz und weist auch einige Höhenprobleme auf. Auch Rodrigo Trosino als junger Edelmann Claudio und Bruder Isabellas sollte noch weiter technisch an seinem Tenor arbeiten. Florian Dengler ist ein Brighella mit einem farbigen und technisch gut geführten Bassbariton, während der Bariton von Robson Bueno Tavares aus Brasilien als Statthalter Friedrich etwas hohl klingt und er noch mehr an der Klanggebung und -fülle arbeiten sollte. Herfinnur Árnafjall von den Färöer Inseln und Konstantin Riedl als Angelo vervollkommnen das junge und weitgehend im Weiterbildungsprozess befindliche Ensemble.

Das begeisterte Ensemble am Schluss

Das begeisterte Ensemble am Schluss

Das Orchester unter Ernst Bartmann war zu weit vom Geschehen entfernt, um starke musikalische Akzente setzen zu können. Man hätte es um etwa zehn Meter weiter nach vorn platzieren können und wäre damit auch näher am Geschehen gewesen. Dennoch war diese Produktion ein großer Erfolg und wurde nicht nur von den Wagner-Delegierten des Kongresses sondern auch vom übrigen Publikum mit großer Begeisterung aufgenommen. Vielleicht nimmt sich Opera Incongnita eines Tages mal Wagners „Feen“ an. Wer weiß?

Fotos: Aiylin Keip 1-4; K. Billand 5-7

Klaus Billand