Bukarest/Nationaloper: Lohengrin Premiere - 8. Dezember 2021
Fragwürdigkeit der Verdoppelung von Protagonisten
Nationaloper Bukarest am Premierenabend "Lohengrin"
Am 8. Dezember 1921, also auf den Tag genau vor 100 Jahren, hob der später bedeutendste Komponist Rumäniens, George Enescu, den Taktstock in der Nationaloper Bukarest zur rumänischen Erstaufführung von Richard Wagners romantischer Oper „Lohengrin“. Das war natürlich in der Geschichte des Hauses ein Meilenstein und Anlass, genau 100 Jahre danach wieder eine Neuinszenierung der Oper durch den rumänischen Regisseur Silviu Purcarete auf den Spielplan zu setzen. Vor Beginn des Stücks gedachten mehrere Honoratioren der Bedeutung des Abends. So hielt zunächst Daniel Jinga, der Interim General Manager, eine einführende kurze Rede, der eine des Kultusministers folgte. Und schließlich trat auch der ehemalige Direktor der Wiener Staatsoper, Ioan Holender, auf das Podium und hielt eine längere Rede zum feierlichen Anlass. Leider konnte ich keinen Inhalt entnehmen, da niemand wenigstens auch nur eine kurze Zusammenfassung der Reden für mögliche ausländische Besucher lieferte. Das war bedauerlich.
Das Foyer
Silviu Purcarete ist als Regisseur in den letzten Jahren vor allem mit Puccini und der „Carmen“ von Bizet unterwegs, noch etwas Mozart. Wagner steht aber sicher nicht an der Spitze seiner Erfahrung. Gemeinsam mit seinem Bühnenbildner und Lichtdesigner Dragos Buhagiar war man sich einig, dass es unzählige Möglichkeiten gibt, den „Lohengrin“ zu inszenieren. Er ist ja wegen des Aufeinanderprallens von Märchen und Realität wohl auch das am schwersten sinnvoll in Szene zu setzendes Werk des Komponisten. Man wollte das Stück nicht in eine bestimmte Epoche einbinden und schon gar nicht an einen schnellen Publikumserfolg denken. Stattdessen Neues entdecken in der Erwartung, dass auch das Publikum sich die Zeit ließe, Neues zu entdecken.
König Heinrich mit Heerrufer und den Brabantern
So kam man auf die gar nicht neue Idee, die vier Hauptrollen zu verdoppeln, also ein Schatten oder Alter-Ego, und die Figur selbst. Einer soll die Rolle singen und der andere die Figur körperlich darstellen. Man war sich im Klaren, dass das nicht unbedingt schön anzusehende romantische Bilder ergeben würde, aber es ging ihnen mehr um „Theater im Theater“, eigentlich im Sinne eines Kommentars… Das Publikum sollte sich ohne genauere Erklärungen vorab von der Handlung inspirieren lassen und so einen eigenen Eindruck vom Stück bekommen.
Die Brabanter
Das sind im Prinzip hehre Absichten. Nur ist es mit der Verdoppelung der Hauptsänger, ein Konzept, das in Westeuropa schon mehr um sich gegriffen hat, als Purcarete im Detail vielleicht weiß, nicht allzu weit her, was eine sinnvolle und auch emotional eingängige Gestaltung der von Wagner konzipierten Protagonisten angeht. Die Delegation von Körperlichkeit und Schauspielkunst mit allen emotionalen Elementen vom Sänger auf einen Schauspieler oder eine Schauspielerin wurde in den letzten Jahren unter anderen von Katharina Wagner bei ihrem „Walküre“-Gastspiel in Abu Dhabi versucht, in „Tristan und Isolde“ in der Regie von Stephen Langridge an der Staatsoper Hannover, sowie zuletzt im neuen „Parsifal“ an der Wiener Staatsoper in der Inszenierung von Dimitri Serebrennikov. In all diesen Fällen konnte die Verdoppelung zumindest mich als Opernbesucher nicht überzeugen, da die ganze Thematik des Stücks bereits in den von Wagner geschaffenen Figuren selbst angelegt ist und meines Erachtens auch in ihnen entstehen und sich darstellen sollte, um die gewünschte Authentizität zu erreichen. Auch die Sänger sind mit solchen Verdoppelungen des Öfteren unglücklich. Es geht doch letztlich auch um ein direktes Mitgehen oder gar Mitfühlen mit dem Schicksal der Protagonisten, was bei einer Entfernung der schauspielerischen Komponente kaum noch möglich ist, wie es sich im Übrigen nun auch wieder in Bukarest gezeigt hat. Neues wagen um des neuen Willen heißt noch lange nicht, dass es auch gut ist. Vielleicht ist das Arbeiten mit den eigentlichen Charakteren auch schwerer als jenes mit jungen Schauspielern, zumal wenn der Regisseur vor allem mit dem Schauspiel befasst ist und da seine Erfahrungen gemacht hat. Aber hier sprechen wir von Musiktheater.
Elsa und Lohengrin mit ihren Alter Egos
An der Nationaloper Bukarest sehen wir einen „Lohengrin“ in einem vornehmlich rostbraunen und depressiv wirkenden Bühnenkasten, wenn nicht gleich die Brandmauern mit all ihrer Technik selbst zu sehen sind. Es geht natürlich wieder während des Vorspiels, das gerade im „Lohengrin“ doch einen so hohen musikalischen Eigenwert hat, dass es nicht gleich szenisch bespielt werden muss, damit los, dass das Alter Ego von Lohengrin, ein meist weitgehend unbekleideter junger Mann, mit einem ebenso jungen Alter Ego der Elsa zusammen ist. Ein Kinderwagen aus den 1950er Jahren wird hinausgeschoben. Später wissen wir, dass Gottfried darin gelegen hat… Wenig später kommt schon das blutjunge Alter Ego Ortruds und mischt sich engagiert in die Handlung ein.
Lohengrin mit Alter Ego
Etwas „werkgetreuer“ wird es dann, wenn der prägnante Dan Indricau als Heerrufer auftritt und Marta Sandu Ofrim, wohl in ihrem Rollendebut als Elsa, „Einsam in trüben Tagen…“ singt. Sie stellt die Elsa mit großer Persönlichkeit und auch Attraktivität dar. Einige Höhen sind noch nicht ganz sattelfest. Die nicht nur als Ortrud weltbekannte Petra Lang als Gast unterstreicht gerade in dieser boshaften Rolle schon im 1. Akt, in dem sie wenig zu singen hat, ihre großen stimmlichen Qualitäten, ja und auch ihre darstellerischen, obwohl sie das ja der Schatten-Ortrud überlassen sollte. Aber da kommen wir eben an die Grenzen des Verdoppelungskonzepts. Es funktioniert umso weniger, je intensiver sich die Sänger als Sängerdarsteller, oder ich würde lieber sagen, als Sängergestalter verstehen und diese Kunst auch voll beherrschen. Und das ist bei Petra Lang in Bukarest ebenso der Fall wie bei Catherine Foster als Brünnhilde und Egils Silins als Wotan in Abu Dhabi, die sich ebenfalls darstellerisch nicht vom Regisseur an die Kette legen und zum Sängerstatisten degradieren ließen. Und wenn so etwas geschieht, ist das Konzept sofort aufgeweicht, weil nun nicht mehr klar ist, wer denn der eigentliche Protagonist ist.
Ortrud mit Elsa
Das zeigt insbesondere der 2. Akt, in dem zunächst einmal eine Gruppe von gasmaskenbestückten Statisten, die mit wüsten Perücken und Kostümen wie braune Zombies wirken, über die Bühne wuseln und die Schatten-Ortrud mit Schatten-Telramund sowie den beiden eigentlichen Sängern an einem Tisch sitzen. Die Schatten-Ortrud steigt kurz darauf ebenfalls in den Rollstuhl und fährt den Schatten-Telramund ziellos durch die Gegend. Was aber noch mehr überraschte, insbesondere durch ihre Sinnfreiheit, war die Tatsache, dass Lohengrin und Elsa an einem Tisch auf der anderen Bühnenseite sitzen und gemütlich einen Pudding zu sich nehmen, während links doch die gespenstische Verschwörung zwischen Ortrud und Telramund stattfinden sollte. Der Telramund von Valentin Vasiliu wirkt etwas grobschlächtig, meistert die Rolle aber stimmlich recht gut. Daniel Magdal als Lohengrin hat einen durchaus wohlklingenden und ausreichend kraftvollen Tenor für die Titelrolle, ist aber leider vollkommen uncharismatisch. Aber das wäre bei diesem Regiekonzept ja im Prinzip durchaus gewollt, nur, dass man sich damit einfach nicht abfinden kann. Marius Bolos ist ein respektabler König Heinrich.
Elsas und Lohengrins Alter Ego
Im 3. Akt kommt es dann zu einer wilden Begattungsszene im Kissenberg des Ehebetts, ja eigentlich final zu einer knallharten Vergewaltigung der Schatten-Elsa durch den Schatten- Lohengrin auf dem Bühnenboden. Im Finale spricht Lohengrin dann die fast halbnackte vergewaltigte Schatten-Elsa an, gibt ihr Ring, Horn und Schwert, und zieht schnurstracks von dannen, während Elsa mit ihrem zerstörten Alter Ego auf einem Bett sitzt, mit dem Rücken zu ihm. Damit möchte ich es an Beispielen für die durch dieses Konzept offenbar zwangsläufig entstehenden Entbehrlichkeiten, um es diplomatisch auszudrucken, bewenden lassen. Einzig die gespenstischen Riesengestalten, die im 3. Akt aus den Verschiebewänden auftauchen, sollen als dräuend beeindruckend und damit irgendwie schicksalhaft noch erwähnt werden.
Das Finale: "Mein lieber Schwan..."
Musikalisch gibt es hingegen mehr Erfreuliches zu berichten. Tiberiu Soare dirigierte das Orchester der Nationaloper Bukarest mit viel Verve und Verständnis für die Wagnerschen Tempi, die Emotionen und auch die großen Höhepunkte, zumal des Chores. Dieser wurde von Daniel Jinga und Adrian Ionescu einstudiert und sang kraftvoll sowie mit exzellentem Ausdruck, ein echter Pluspunkt dieses neuen „Lohengrin“. Nicht immer gingen Musik und Szene Hand in Hand, was aber nicht Soares Schuld war, sondern an der zeitweiligen Konfusion auf der Bühne aufgrund der unklaren Rollenverteilung zwischen den Alter Egos und den Protagonisten war.
Schlussapplaus
Anda Saltelechi als Alter Ego Elsas, Alina Petrica als Alter Ego Ortruds, Istvan Tegals als Alter Ego Lohengrins und Rares Florin Stoica als Alter Ego Telramunds gingen, zumal als ganz junge Schauspieler, körperlich an ihre Grenzen. Sie bekamen den meisten Applaus! Aber auch alle anderen ernteten Zustimmung, auch das Regieteam. In meinen Augen jedoch für eine nicht überzeugende „Lohengrin“-Produktion. Als ich beim Hinausgehen einen jungen Besucher fragte, was er von der Verdoppelung der Sänger halte, meinte er: „Oh, this is quite fashionable in the West, I like it…“. Nun gut. Dieser junge Mann hat also Neues entdeckt. Ich frage aber: Quo vadis, opera?!
Fotos: Andrei Grigore/ Opera Națională București 2-9; K. Billand 1-2,10
Klaus Billand