Toulouse: Parsifal NI - 28. Januar 2020
Hohe Abstraktion und gezielte Bewegung
Poster
Am Théatre du Capitole de Toulouse inszenierte der französische Regisseur Aurélien Bory den „Parsifal“ nahezu diametral entgegensetzt zu Amon Miyamoto in Straßburg. Gemeinsam mit Pierre Dequivre auch für das Bühnenbild verantwortlich, und insbesondere mit einem fundamentalen Einsatz des Lichts von Arno Veyrat, erleben wir ein Höchstmaß an Abstraktion von konkreter Handlung, die ästhetisch an Wieland Wagner und Robert Wilson erinnert. Aber auch an Achim Freyer und Olivier Py, was den bedeutenden Einsatz von weißen Leuchtstoffröhren angeht. Bory will demonstrieren, dass sich seit dem mittelalterlichen Epos „Parsifal“ die metaphysischen Bedingungen des Menschen zwischen Himmel und Erde kaum verändert haben. Dabei stellt er auf die Bedeutung der Kunst ab, frei nach Dostojewskis Aussage „Die Schönheit wird die Welt retten.“ Wenn dem nur so wäre…
Théatre du Capitole
Ausgangspunkt ist für den Regisseur der persische Prophet Mani, der die Welt in zwei Bereiche teilte, das Reich des Lichts, also des göttlichen Lebens, verbunden mit dem Begriff der Ewigkeit; und das Reich der Dunkelheit, also der Materie, der Toten, von Raum und Zeit. Parsifal kommt mit beiden Reichen in Verbindung, wobei es Bory aber darauf ankommt, das Stück vornehmlich als ein Theater der Schatten zu zeigen sowie den beständigen Wandel im Einklang mit Wagners Musik und Leitmotivik.
Das gelingt ihm auch eindrucksvoll, alles ist optisch ständig im Fluss, wenn man in Kauf nimmt, dass sich die Figuren und auch der Chor kaum bewegen, dafür aber die wenigen Bewegungen nahezu metaphysische Bedeutung erlangen. Damit will Bory dem Werk eine mythische und universale Dimension geben.
Der Saal
Schon beim Vorspiel geht es los. Auf einem leicht transparenten Bühnen-Sreen werden zunächst diffus, dann immer klarer werdende 12 Leuchtstoffröhren sichtbar, die sich während der unter Frank Beermann herrlich getragen erklingenden Musik Wagners zu immer neuen Formationen zusammenfinden, meist aus drei Röhren bestehend, die damit oft wie Runen aussehen. Auf diese Weise wird schon ein mystischer Einstieg in das Geschehen sichergestellt, obwohl das Beobachten der immer neuen Formationen und die Gedanken daran, was sie bedeuten könnten, von der Musik ablenkt. Aber es gibt bei Wagner ja heute kaum noch ein Vorspiel ohne Bühnengeschehen – so war das hier sehr angenehm. Mit den grellweißen Leuchtstoffröhren des Vorspiels wird jedenfalls ein erster Bezug zu dem von Mani postulierten göttlichen Reich des Lichts hergestellt.
Gurnemanz und Amfortas mit den Gralsrittern und Knappen
Wenige Exquisiten gestalten den 1. Aufzug. Wir sehen Gurnemanz aus einem großen Metallquadrat hervorschauen, dass mit grünem Blattwerk verkleidet ist – der Heilige Wald ist angedeutet! Gurnemanz, die Gralsritter und die Knappen befinden sich mitten in ihm. Wer singt, schaut hervor, auch Kundry, die ruhiger als gewohnt herbeikommt. Amfortas wird von einer Gruppe Rittern herangetragen, alles mehr oder weniger im Dunkeln. Sein Kopf hell erleuchtet. Parsifal erscheint schließlich ganz in Weiß, erinnert an einen Tennisspieler – ein Kontrast! Passend zur Figur und zum Regiekonzept. Wieder wenig Bewegung. Im weiteren Verlauf wird von Requisiten abgesehen und optisch weitestgehend abstrahiert. Kein Speer, kein Gral, keine Gralserhebung, nur Licht, geruhsame Choreografie und Musik, und auf die kann man sich konzentrieren – wie schön ist das! Zu dem herrlichen Crescendo baut sich aus den Bögen des Waldgitters eine Art abstrakter heller Lichtdom auf, der den Grastempel andeutet – wieder ein Verweis auf den o.g. Manichäismus. Das Bild beeindruckt besonders als eindrucksvoller Kontrast zu dem stoisch im dunklen Vordergrund stehenden kahlköpfigen Chor. Mit Licht lässt sich überhaupt ja so viel machen, wenn es nur gekonnt, dramaturgisch sinnvoll und beweglich eingesetzt wird. Es müssen nicht immer Video und Film sein…
Amfortas mit den Gralsrittern und Knappen
Im 2. Aufzug sehen wir einen mit schneeweißem Gala-Anzug gekleideten Klingsor, die ganze Zeit sich nicht von der Stelle bewegend. Hinter ihm eine breite braune Stele, auf die sein Helfer mit einer Leuchtstoffröhre diverse Figuren ablichtet, darunter auch ein großes Kreuz sowie die Runen, die wir zu Beginn schon sahen. Magie ist also symbolisch im Spiel. Kundry irrt wie ein wildes Tier (also doch…) vor dieser Stele hin und her, bis sie ihre „Arbeit“ aufnimmt. Auch hier macht das Wenige starken Ausdruck, da die Personenregie stimmt. Auch fast völlige Statik bei den Zaubermädchen. Nur die zwei Dreiergruppen zeigen überhaupt ihre Gesichter für ein paar Minuten. Alle anderen stehen dahinter und singen unter Schleiern. Gedecktes Rosa in den Kostümen von Manuela Agnesini, die aber auch sonst perfekt auf die allgemeine Ästhetik abgestimmt sind. Erotik sieht allerdings anders aus… Stéphanie Fuster ist Assistentin bei der Choreografie.
Sophie Koch als Kundry
Nun wird es spannend! Nachdem Kundry, ohne sich vom Fleck zu bewegen, die ganze Herzeleide-Geschichte gesungen hat, setzt sie sich zum ersten Mal für den Kuss auf Parsifal zu in Bewegung. Nach ihrer Zurückweisung beginnt sodann eine intensive Auseinandersetzung beider am Boden, aussagekräftige Mimik, starker physischer Ausdruck von Emotionen. Es wird klar, dass Bory hier die zentrale Szene des Stücks klar herausgearbeitet hat. Und das funktioniert. Gleichzeitig werden auf der Stele, die auch als gute akustische Rückendeckung fungiert, immer mehr nackte Figuren sichtbar – man denkt an das Altarbild der Sixtinischen Kapelle und was es sagen will… Der Zusammenbruch des Klingsor-Reiches ist wieder zurückhaltend, es ist ja schon mit dem abgewiesenen Kuss untergegangen. Der Helfer trägt den Leblosen einfach weg. Das passt in seiner Symbolik und Metaphysik alles zusammen. In diesem Aufzug herrschen nun die dunklen Töne vor, eben die Schatten (ténèbres) im Sinne von Mani, denn es ist das Reich Klingsors. Kundry ist dunkelbraun gewandet, und die Figuren auf der Stele sind wie aus dem Dunkel kommend kaum zu erkennen. Selbst die Zaubermädchenszene wird in dunklen Tönen gehalten. Ein Widerspruch ist hier allerdings das weiße Gewand von Klingsor und seinem Helfer.
Kundry mit Parsifal
Im 3. Aufzug kommt von der Bühnendecke ein Art Labyrinth aus Drähten mit Leuchtkugeln an den Schnittstellen vor schwarzem Hintergrund herunter. Es dient für die Bewegungen Kundrys und Parsifals aber auch einer kaum erkennbaren Tanzgruppe, die sich mal kriechend, mal gehend durch dieses Labyrinth bewegt. Auch Parsifal kommt hier aus dem Dunkel, Kundry geht später dahin zurück – wieder Licht und Schatten. Verwunderlich ist hier allerdings, dass Gurnemanz nun die ganze Zeit Kaugummi kaut und wie der Chor auf einmal lange Haare hat. Das ist man chronologisch immer anders herum gewohnt. Aber bei Bory „soll es so sein“…
Schlussapplaus
Gerade bei einer so statisch zurückgenommenen Produktion bedarf es guter Sänger. Das war schon bei Wieland Wagner so. Eine exzellente, zum Teil auf Weltlasse-Niveau singende und agierende Besetzung machte diese Interpretation dann auch zu einem Erlebnis. Die französische Mezzosopranistin Sophie Koch gab ihr Rollendebut als Kundry und stellte alle in den Schatten, die ich bisher hörte, bis auf Waltraud Meier. Mit ihrem leuchtenden Mezzo-Timbre sang sie klangvoll auf jeder Note, und sei sie noch so tief und noch so hoch und dramatisch. Ich kann mich nicht erinnern, die berüchtigten „Irre, irre“-Rufe im Finale des 2. Aufzugs so schön ausgesungen gehört zu haben und das „La——chte“ in Perfektion im Kontrast zwischen hochdramatischer Höhe und dunkelster Tiefe. Damit hat Koch eine ganze große neue Rolle. Ein Riesenerfolg!
Matthias Goerne als Amfortas war reiner Wohlklang. Der Sänger wirkt stets nobel, um jede Silbe und Ton bedacht und damit wortdeutlich. Auch mit den Ausbrüchen des Amfortas im Finale des zweiten Monologs kam er gut zurecht, ohne je die Gesangslinie zu verlassen. Peter Rose war ein wie immer balsamischer Gurnemanz mit gutem Rollenverständnis und ebenfalls perfekter Diktion, etwas unauffällig im Spiel. Nikolai Schukoff fiel als Parsifal vokal etwas gegen dieses Niveau wegen des doch mangelnden tenoralen Glanzes ab. Seine Stimme hat ein stark baritonal gefärbtes Timbre, was an sich kein Problem ist, aber sie klingt einfach nicht wirklich schön für einen Tenor. Dabei ist er vokal sehr kraftvoll. Pierre-Yves Pruvot sang den Klingsor zu eindimensional, um irgendeine Gefährlichkeit ausstrahlen zu können. Man hatte den Eindruck, dass er sich mit seinem doch recht guten Material der Bewegungslosigkeit seiner Position angepasst hatte. Julien Véronèse war ein unauffälliger Titurel, selbstredend aus dem Off – und in Straßburg trank er noch das Blut des Amfortas…
Place du Capitole nach der Aufführung
Der Chor du Capitole und der Chor de l’Opéra national de Montpellier-Occitaine sangen auf höchstem Niveau. Das gilt insbesondere auch für die Blumenmädchen, die wie alle anderen Nebenrollen sehr gut besetzt waren. Am Schluss gingen alle von der Bühne und ließen Parsifal allein zurück. Der Schluss blieb offen, naheliegend nach solcher Abstraktion.
Frank Beermann dirigierte mit großer Wagner-Erfahrung das Orchestre national du Capitole der Inszenierung gemäß mit getragenen und ausdrucksstarken Tempi sowie mystisch orientierter Farbgebung. Er machte damit diesen „Parsifal“ zu einer Aufführung aus einem Guss, auch wenn manchem hier und da die Augen zufielen. Man kann nicht alles haben… Riesenapplaus für Sophie Koch, danach für Matthias Goerne, Peter Rose, Nikolai Schukoff sowie Frank Beermann und das Orchester.
Fotos: Cosimo Mirco Magliotta 4-7; K. Billand 1-3, 8
Klaus Billand