Maestro MANFRED HONECK & Prof. STEPHAN BRAUNFELS - Pressegespräch Frankfurt/M. 12. September 2011

Kleopatra Sofroniou, Manfred Honeck, Stephan Braunfels

Kleopatra Sofroniou, Manfred Honeck, Stephan Braunfels

Anlässlich der bevorstehenden Vergabe des Deutschen Musikpreises Echo Klassik 2011 in der Kategorie „Welt-Ersteinspielung des Jahres“ für die Aufnahme der „Jeanne D’Arc, Szenen aus dem Leben der Heiligen Johanna“ von Walter Braunfels mit dem Swedish Radio Symphony Orchestra unter Manfred Honeck (Decca) lud der Enkel des Komponisten und Architekt PROF. STEPHAN BRAUNFELS am Morgen nach einem Gedenk-Konzert des Pittsburgh Symphony Orchestra an den 11. September 2001 unter Leitung von MANFRED HONECK in der Berliner Philharmonie (u.a. eine exzellente Interpretation der Symphonie Nr. 5 cis-Moll von G. Mahler) zu einem Pressegespräch in einem Berliner Hotel ein. Der Echo Klassik ist der renommierteste Klassikpreis der Welt und wird seit 1994 verliehen. Mit der Auszeichnung ehrt die Deutsche Phono-Akademie, das Kulturinstitut des Bundesverbandes der Musikindustrie e.V., jährlich die herausragenden und erfolgreichsten Leistungen nationaler und internationaler Klassikkünstler. Wie in den vergangenen Jahren werden auch in diesem Jahr zahlreiche Größen der Klassikwelt bei der Verleihung des Echo Klassik in Berlin erwartet.

Zu Beginn des Pressegesprächs geht Stephan Braunfels, der sich seit Jahren um die Wiederbelebung der Opern, Orchester-, Chor- und konzertanten Werke sowie der Kammermusik von Walter Braunfels kümmert, etwas auf das Werk seines Großvaters ein. Nach der Verfemung seiner Musik durch die Nationalsozialisten (nach 12 Jahren der Verbannung im Dritten Reich folgten nahezu 60 Jahre künstlerischer Ächtung und Ausgrenzung), war das Werk des Spätromantikers Walter Braunfels lange in Vergessenheit geraten – zusammen mit Komponisten wie Zemlinksi, Schreker, F. Schmidt, Korngold u.a. Aber selbst Gustav Mahler wurde bis weit in die 1960er Jahre in Deutschland kaum aufgeführt. Albert Einstein charakterisierte 1930 die Musik von Walter Braunfels als „zeitlos unzeitgemäß“…

Im Jahre 1996 kam eine CD-Aufnahme der „Vögel“ bei Decca mit dem Deutschen Symphonie-Orchester Berlin unter Lothar Zagrosek heraus. Diese Aufnahme begründete die Wiederbelebung des Werkes von Walter Braunfels. Im Jahre 2001 folgte die musikalische UA von „Jeanne D’Arc, Szenen aus dem Leben der Heiligen Johanna“ in Stockholm, die an der Deutschen Oper Berlin (DOB) vor drei Jahren in einer viel beachteten Inszenierung von Christoph Schlingensief auch erstmals szenisch aufgeführt wurde.

Manfred Honeck

Manfred Honeck

Stephan Braunfels traf Manfred Honeck vor zehn Jahren in Stockholm, als die UA der „Heiligen Johanna“ dort schon lange geplant war. Das Stück wurde konzertant später auch in München aufgeführt, und die Münchner Aufführung wurde die Basis für die nun erschienene CD-Aufnahme. Es dauerte aber noch ganze neun Jahre, bis die Decca spontan mit dem Angebot kam, die Aufnahme herauszubringen, die nun den Echo Klassik Preis für die „Welt-Ersteinspielung des Jahres“ erhält. Kleopatra Sofroniou, Direktorin für Klassik bei Universal Music Classics & Jazz, einer Abteilung von Universal Music GmbH, nahm an dem Pressegespräch teil. Sie sagt, dass trotz ihrer angelsächsischen Scherpunktsetzung immer wieder Akzente auf das deutsche Musikschaffen gesetzt werden, und besonders im Hinblick auf die Wiederentdeckung vergessener Komponisten. So hatte Decca bereits von 15 Jahren die „Vögel“ heraus gebracht, eine CD-Aufnahme, die sich extrem gut verkaufte und einer der Highlights der Serie „Entartete Musik“ wurde. Der Weg zur Aufnahme der „Heiligen Johanna“ führte nun über die szenische Aufführung an der DOB. Sofroniou betont, dass unter Hintanstellung wirtschaftlicher Aspekte die Aufnahme der „Heiligen Johanna“ sich zu einem Lieblingswerk ihres Hauses entwickelte und mit großer Begeisterung aufgenommen wurde. Die Verleihung des Echo Klassik Preises sei nun die Krönung dieser Arbeit.

Dann ergriff Manfred Honeck das Wort und schilderte einige interessante Details zur Entstehung des Projekts. Man wusste erst nicht, auch im Hinblick auf die Gesangsstimmen, was auf einen zukäme. Es gab noch keine Noten, sie mussten erst hergestellt werden. Der Vorteil für ihn als Chef eines Rundfunk-Orchesters war jedoch, dass man soviel proben konnte, wie man wollte. Und es folgte dann auch eine sehr zufrieden stellende Probenzeit. Honeck, der zugegebenermaßen Braunfels kaum kannte, als er die Anfrage bekam, erkannte dabei die Leidenschaft, die der Komponist in seine Musik gesetzt hatte – das sei mit jeder Note zu spüren. Es wurde ihm schnell klar, dass der Komponist die Prozessakten sehr gut gekannt haben musste. Als die Anfrage für die musikalische UA in Stockholm kam, war von einer Aufnahme noch keine Rede. „Es passierte dann aber Großes! Alle waren begeistert, die SängerInnen, die MusikerInnen und das Publikum gleichermaßen.“ Daraufhin entschied sich Honeck, später auch das „Te Deum“ op. 32 aufzuführen, zu dem es bereits eine CD-Aufnahme gibt. Die Sängerbesetzung der „Heiligen Johanna“ geschah unter Mitwirkung von Stephan Braunfels, der Juliane Banse für eine hervorragende Interpretin der Titelrolle hält. Für Honeck hat sie die Schlichtheit, die Johanna braucht, und sie bringt im 3. Teil auch die nötige Leidenschaft mit. Und Banse singt mühelos die geforderten Höhen. Terje Stensvold, der Wotan des neuen Frankfurter „Ring des Nibelungen“, ist die zweite große Rollenbesetzung. „Er singt diese nahezu dämonische Partie hinreißend.“ Die kleineren Rollen wurden aus dem Schwedischen Rundfunkchor besetzt. Daraufhin meint Stephan Braunfels, dass Christoph Schlingensief das Werk mit seiner Inszenierung in Berlin quer wie kongenial treffend darstellte. „Das Stück wirkt wie ein Oratorium, ist aber Welttheater, wie Schlingensief es zeigte.“ Im Jahre 2012 soll es evtl. an der DOB wieder aufgenommen werden. Die Kölner Oper plant wohl auch eine Neuinszenierung der „Heiligen Johanna“ in der Direktion Laufenberg/Stenz. Etwas scherzhaft meint Braunfels, dass man mit einer guten Tonanlage doppelt so viel auf der CD-Aufnahme der „Heiligen Johanna“ hört wie normal…

Manfred Honeck

Manfred Honeck

Wir erfahren auch, dass die UA von „Mathis der Maler“ in der Schweiz war für Walter Braunfels der Auslöser war, die „Heilige Johanna“ zu schreiben. Er lebte damals an der Grenze zu Deutschland in Überlingen und wurde von einer befreundeten Familie 12 Jahre lang, also von 1933-45, während seines Exils versorgt, in denen er wegen des Berufsverbots keine Einkünfte hatte. Bei der Aufführung von „Mathis“ kam ihm der Gedanke, ebenfalls ein Werk über eine große Figur der Geschichte zu schaffen…

Honeck wurde nach eigener Angabe durch die Arbeit mit der „Heiligen Johanna“ zum Braunfels-Fan und führte so das „Te Deum“ in Berlin auf, später hier auch die „Große Messe“ op. 37, die 1927 uraufgeführt wurde. Er findet, dass die „Große Messe“ als eines der größten Oratorien/Chorwerke des 20. Jahrhunderts auch auf CD heraus kommen sollte. „Die Partitur hat schöne Farben, es gibt großes Orchester, gemischten Chor, Knabenchor, Orgel und vier Solisten. Man spürt an diesem Werk die tiefe Liebe und Gläubigkeit von Walter Braunfels – erkennt, dass er leidenschaftlich gläubig war.“ Stephan Braunfels stellt die „Große Messe“ und das „Te Deum“ in eine Reihe mit dem „Buch mit den sieben Siegeln“ von Franz Schmidt, was ihre Größe und musikalische Bedeutung betrifft. „Die „Große Messe“ toppt das „Te Deum“ noch einmal“ meint er. Sie wurde 1927 uraufgeführt, und Braufels kündigt eine CD-Aufnahme für 2012 an, wohl ein Mitschnitt einer Stuttgarter Aufführung.

Manfred Honeck ist überzeugt, dass sich das Werk von Walter Braunfels in der Zukunft durchsetzen wird. „Die Zeit für ihn ist da. Man merkt, wie sehr Braunfels aus seinem Inneren heraus komponierte.“ Nach 1933 durfte er ja nicht mehr aufgeführt werden, nach 1945 sollten seine Werke dann nicht mehr progressiv gewesen sein, was ihn sehr verletzt und verbittert hat. „Lieber verbannt als verkannt“ meinte er, als er feststellen musste, dass seine Musik total ausgegrenzt wurde.

Wie sieht Manfred Honeck Walter Braunfels in der Musikgeschichte? Er war ja ein deutscher Komponist, während die meisten „Wiederentdeckten“ Österreicher und oft Wiener waren. Viele Komponisten der 1920er Jahre suchten neue Wege über die Zweite Wiener Schule. Braunfels wollte auf andere Art und Weise Neues finden, nicht so radikal wie jene. Er hat eine eigene Tonsprache gefunden. „Man hat immer das Gefühl, jetzt löst sich etwas auf in die Tonika – aber kurz vor dem Ziel dreht er die Kurve und geht woanders hin. Braunfels war ein Meister der Orchestrierung“, meint Honeck – er verlangte den Musikern viel ab. In einigen höheren Lagen, ähnlich wie bei Richard Strauss, sei er kaum noch spielbar. Walter Braunfels brach nicht mit der Tradition. Er hat Bruckner sehr geliebt, und Beethoven bedeutete ihm ebenfalls sehr viel. Braunfels’ Interesse an der Struktur war gepaart mit seinem tiefen Glauben („Te Deum“). „Auch die „Heilige Johanna“ hat drei Teile, die man mit dem Leben Jesu Christi vergleichen könnte, 1. „Die Berufung“ 2. „Der Triumph“, und 3. „Das Leiden“. Er hat diese neuen Strukturen aus dem Text heraus gelesen, war aber dennoch ein Opernkomponist.“ Die Berlioz-Variationen („Phantastische Erscheinungen eines Themas von Berlioz“ op. 25) weisen bereits auf die „Heilige Johanna“ hin und ebneten auch den Weg für Manfred Honeck zu Braunfels. Stephan Braunfels meint, sie sollten einmal ganz eingespielt werden. Die beste Aufnahme stammt wohl von Günter Wand, einem Schüler von Walter Braunfels. Sie ist aber noch nicht erschienen. So hat Stephan Braunfels vorgeschlagen, die Berlioz-Variationen in der New Yorker Carnegie Hall aufzuführen, wo sie u.a. Bruno Walter schon gespielt hat. Das Projekt liegt derzeit auf dem Tisch der Direktion der Carnegie Hall…

Manfred Honeck versichert, sich weiter um das Werk Walter Braunfels’ zu kümmern. Er hat ja bereits in Stuttgart einige Werke aufgeführt. Für Stephan Braunfels ist die „Verkündigung” op. 50, ein Mysterium nach Paul Claudel, nach der „Heiligen Johanna“ die schönste Oper seines Großvaters. Sie wurde bereits 1911 in Dresden uraufgeführt, auf Deutsch und nicht Französisch. Es war ein großes Opernereignis. Am 18. Dezember diesen Jahres wird die „Verkündigung“ in München konzertant wieder aufgeführt werden, in einer szenischen Inszenierung in Kaiserslautern im April 2012. Braunfels hofft, dass München daraufhin auch wieder Gefallen an dem Werk von Walter Braunfels findet, war doch die UA der „Vögel“ der größte UA-Erfolg in der bayerischen Metropole in den 1920er Jahren…

Auf meine Frage an Manfred Honeck, wie er Braunfels’ Verhältnis zu Richard Wagner sehe angesichts der vielen musikalischen Referenzen, die ich u.a. in „Die Vögel“ vor Jahren an der Volksoper Wien und zuletzt in seinem „Ulenspiegel“ in einer Produktion der Bühnen der Stadt Gera im Februar 2011 hören konnte, meint Honeck: „Braunfels hat Wagner sehr geliebt. Man merkt an seiner Musik, dass er sich mit Wagners Leitmotivtechnik auseindergesetzt hat. Das kann man auch bei der „Heiligen Johanna“ feststellen. Braunfels steht tief in der Nachfolge Richard Wagners.“ Er wollte auch ein Zeichen setzen, ging wie Richard Wagner eigene Wege, auch in der Instrumentierung. Es gibt lang gezogene Phrasen wie bei Wagner und auch klar strukturierte Teile, die miteinander verwoben sind. Es sind aber auch Beziehungen zum Werk Bruckners festzustellen. Für Stephan Braunfels spielt Richard Wagner im Leben seines Großvaters eine überragende Rolle. Er war offenbar in einer Aufführung von „Tristan und Isolde“ und sagte danach: „Ich werde Komponist!“ Es gibt in der Braunfels-Familie aber auch Anti-Wagnerianer.

Dieses Pressegespräch war sehr erhellend in Bezug auf die jüngere und laufende Wiederentdeckung des Werkes von Walter Braunfels. Insbesondere ist mit Freude festzuhalten, dass es schon bald weitere Einspielungen und Aufführungen von einigen seiner Opern und Chorwerke geben wird. Es ist sehr zu wünschen, dass die offenbar auf einem guten Weg befindliche Braunfels-Renaissance sich verstärkt und weiter anhält.

Am 2. Oktober 2011 ab 16:45h findet die Verleihung des Echo Klassik Preises für die „Heilige Johanna“ im Konzerthaus Berlin statt. Sie wird ab 22h im ZDF gesendet.

Fotos: Klaus Billand

Klaus Billand