Stefan Mickisch lebt nicht mehr…. September 2021

Ein persönlicher Nachruf

Stefan Mickisch beim Vortrag (Foto privat)

Stefan Mickisch beim Vortrag (Foto privat)

Wer kennt ihn nicht, Stefan Mickisch, den Oberpfälzer Pianisten, der mit nur 58 Jahren am 17. Februar 2021 in seinem Wohnort Schwandorf viel zu früh aus dem Leben geschieden ist. Seit 1998 hat er in Bayreuth die Einführungsvorträge zu den Festspielaufführungen gehalten und mit seinem breiten Wissen über Richard Wagner und sein Werk sowie mit seinen pianistischen Qualitäten auch eingefleischte Freunde des Wagnerschen Oeuvres begeistert und auch ihnen Neues erschlossen. Stefan Mickisch überzeugte zudem durch eine gehörige Portion fränkischen Humor, mit der er sein Publikum in fast immer gefüllten Sälen oft zum Schmunzeln oder gar Lachen brachte. So kamen auch „Kartenlose“ auf ihre Rechnung. Als Wolfgang Wagner noch Festspielleiter war und es noch jahrelange Wartezeiten für Festspielkarten gab, kam für seine Vorträge der Begriff „Festspiele der Kartenlosen“ auf… Die Vorträge wurde fast zum Ritual.

Innerhalb von vier Jahren nahmen die Besucherzahlen der 30 Vorträge während der Bayreuther Festspiele von gut 3.000 auf über 10.000 zu. Immer waren ihm sein Vater und seine Lebensgefährtinnen dabei behilflich. Stefan Mickisch weitete die Vorträge später auf die Wiener Staatsoper, die Festspiele Baden-Baden, die Richard-Strauss-Tage in Garmisch, das Beethoven-Fest in Bonn und noch weiter international aus. Er hat in 36 Ländern 2.500 Konzerte gespielt und 130 CDs und DVDs veröffentlicht.

So kam er zu den Bayreuther Festspielen 2004 mit einer Neu-Edition seiner Bayreuther Einführungen zum „Ring des Nibelungen“ heraus. Er dokumentierte mit ihr ein intensives Studium der Bedeutung der Tonarten im „Ring“, die er mit Recht für entscheidend zum Verständnis des musikalischen Geschehens hielt. Der Pianist erklärte sie schlüssig und auch Laien leicht verständlich in Verbindung mit den jeweiligen Figuren und Stimmungen. Dabei legte er viel Wert auf psychologische Zusammenhänge und ihre Reflexion in der Musik. Immer wieder begeisterte Mickischs ausgeprägte Lust an der Suche nach – ständig neuen und auch pianistisch gut einstudierten – Vergleichen mit anderen Komponisten, vor und nach Richard Wagner. Gleichwohl war auch hier immer für viel Witz und Humor gesorgt.

Im Rahmen seiner Gesprächskonzerte stellte Stefan Mickisch 2006 auch seine CD „Tonarten und Sternzeichen“ vor. Sie entstand nach über fünf Jahren intensiver Beschäftigung mit der Tonartencharakteristik im Werk des Bayreuther Meisters und dem Versuch einer Assoziation der Tonarten mit den Sternzeichen des Zodiaks. In diesen Kontext stellte der Mickisch oft seine Vorträge und dokumentierte durch neue Querverweise in der Musikliteratur einmal mehr, dass er seine Arbeit als work in progress auffasste. Ich möchte seine CD zu den „Tonarten und Sternzeichen“ als einen bis heute unerreichten Weitwurf in der Geschichte der musikalischen Analyse des Wagnerschen Oeuvres bezeichnen, der ganz neue Facetten aufdeckte.

So avancierte Stefan Mickisch über 22 Jahre seiner musikalischen Kommentierung des Oeuvres Richard Wagners, dann auch jenes von Richard Strauss und wichtiger Werke anderer Komponisten zu einem auch international bedeutenden Vermittler des Musiktheaters mit Schwerpunkt Richard Wagner. Auf dem Gebiet seiner Kunst, der Musik im Allgeneinen und der Oper im Besonderen, war Stefan Mickisch eine unangefochtene Kompetenz und weithin geschätzt.

In den letzten Jahren seines zu kurzen Lebens hat er – aus welchem Grunde auch immer – den sicheren Boden seiner Begabung und wohl auch den seiner künstlerischen Berufung gelegentlich verlassen und politische Statements abgegeben, die nicht in allen Kreisen – auch in denen seiner Bewunderer – gut ankamen und in der Tat für viele überraschend waren, um es diplomatisch auszudrücken. In gewisser Weise wollte er eine ideale Welt nach seinen Vorstellungen und konnte Mangelerscheinungen nicht akzeptieren oder gar verkraften. Diese sind aber nun mal die Regel im menschlichen und erst recht im gesellschaftlichen Zusammensein. Dass er hier mit seinen Ansichten nicht durchdringen konnte, hat ihm sehr zu schaffen gemacht. Er hätte sich bestimmt auch eine größere Wahrnehmung oder Anerkennung der Wagner-Gemeinde, insbesondere in Bayreuth, gewünscht.

Lieber Stefan,

nun, da Du nicht mehr da bist, ist allen, die Deine Vorträge besucht und Deine Begeisterungsfähigkeit für das Oeuvre Richard Wagners und auch Deine kompetente Darstellung der Werke anderer Komponisten besucht haben, das große Vakuum bewusst geworden, das Du hinterlassen hast.

Von Dir habe ich vieles über Richard Wagner und sein Werk sowie dessen Einzigartigkeit erfahren dürfen, was ich sonst wohl kaum erfahren hätte, zumal ich bei meinem Beruf nicht die Zeit und Muße hatte, alle relevanten Bücher zu lesen. Ich erinnere mich an folgende, allerdings bei weitem nicht vollständigen Erkenntnisse:

- Was Alberich im „Rheingold“ mit seinem kryptischen Spruch meint, als er sagt „Wie gut, dass ihr eine nicht seid! Von vielen gefall' ich wohl einer: bei einer kieste mich keine!“;

- Was Wotan im „Rheingold“ genau mit dem „einen Auge“ meint, das er „aufs Spiel setzte“, um Fricka „als Weib zu gewinnen“;

- Was Wotan im „Siegfried“ mit dem ebenfalls kryptisch anmutenden Satz meint: „Mit dem Auge, das als andres mir fehlt, erblickst du selber das eine, das mir zum Sehen verblieb.“

- Wie man die Anzahl der Walküren musikalisch im „Walküren-Ritt“ erkennt;

- Wie viele Personen de facto zum Einsatz und zur Nennung im „Ring des Nibelungen“ kommen;

- Warum der erste Takt des „Parsifal“-Vorspiels ein Leertakt ist;

- Warum Herodes in der „Salome“ von Richard Strauss ein Tetrarch ist;

- Wie wichtig, zutreffend und nachvollziehbar bestimmte Tonarten zu bestimmten Figuren und Orchesterzwischenspielen in den Wagner-Werken gehören;

- Ein genaueres Studium der Leitmotive im „Ring“, wie sie zu interpretieren sind und wie sie sich aus der jeweiligen Figur oder Situation ableiten lassen;

- Wie stark die Verbindungen der Wagnerschen Musik zu jener anderer Komponisten seiner Zeit bzw. Vorzeit sind und was das für sein Werk zu bedeuten hat;

- Die Bedeutung von Friedrich Nietzsche für Wagner und sein Oeuvre;

- Die große und oft unterschätzte Relevanz der Musik von Franz Liszt für Richard Wagner und sein Oeuvre;

- Und vieles mehr…

Nie werde ich vergessen, wenn Du zum Schluss Deines Vortrags zum „Ring“ das Finale der „Götterdämmerung“ im Bayreuther Evangelischen Gemeindezentrum an einem Stück, fast wie in Trance, gespielt hast und nach seinem Ende beim ersten Schlussapplaus in eine abgelegene Ecke des Saales gegangen bist, um verschämt ein paar heimliche Tränen abzuwischen – Dokumente Deiner authentischen emotionalen Begeisterung. Die hatte auch ich da immer in den Augen und dachte stets: Das ist größere Emotion als oben im Festspielhaus während einer Aufführung!

Stefan, ruhe in Frieden, Du wirst unvergessen bleiben. Dein großes Werk bleibt der Nachwelt erhalten – ein wunderbares Vermächtnis!

Klaus Billand