Berlin/Philharmonie: ‚Große Messe’ op. 37 von W. Braunfels - 1. Mai 2013

Frithjof Haas

Frithjof Haas

In immer dichterer Folge werden nun große Werke des Komponisten Walter Braunfels (1882-1954) zur Aufführung gebracht. Er erlebte mit seiner Oper „Die Vögel“ in München seinen Durchbruch und war in den 1920er Jahren neben Richard Strauss und Franz Schreker einer der meistgespielten deutschen Komponisten. Nach der Verleihung des Deutschen Musikpreises Echo Klassik 2011 in der Kategorie „Welt-Ersteinspielung des Jahres“ für die Aufnahme der „Heiligen Johanna“ im Oktober 2011 ging die Renaissance seiner Werke, um die sich sein Enkel Prof. Stephan Braunfels, weltbekannter Architekt, besonders bemüht, mit einer konzertanten Wiedergabe der „Verkündigung“ am Münchner Prinzregententheater im Dezember 2011 weiter.

Die Solisten

Die Solisten

Nun stand in der Berliner Philharmonie die ‚Grosse Messe’ auf dem Programm, als Gemeinschaftskonzert von credo mit der Berliner Singakademie unter Leitung von Jörg-Peter Weigle. Der einzige noch lebende Braunfels-Schüler, Frithjof Haas, bereits über 90 Jahre alt, gab einen hochinteressanten Einführungsvortrag im aus allen Nähten platzenden Foyer der Philharmonie und schrieb auch einen detaillierten Aufsatz im Programmheft. Anfang der 1920er Jahre übersiedelte Braunfels mit seiner Frau Bertel, Tochter des Bildhauers Adolf von Hildebrand, in das Isartal nahe bei München und schuf dort eine Reihe bedeutender Orchester- und Chorwerke. Darunter entstand von 1923-1925 die ‚Grosse Messe’. Braunfels war unter dem Eindruck erschütternder Erlebnisse im I. Weltkrieg zum katholischen Glauben konvertiert, und die religiöse Gedankenwelt inspirierte ihn neben dem ‚Te Deum’ auch zur Komposition der ‚Grossen Messe’. Laut Frithjof Haas erkennt man in der Bewältigung des Formalen die klassisch-romantischen Vorbilder der Messekompositionen von Beethoven bis Bruckner.

Der Kinderchor

Der Kinderchor

Die UA der „Grossen Messe’ fand 1927 in Köln unter der Leitung von Hermann Abendroth statt. Für Braunfels war es eine besondere Herausforderung, die Messeliturgie aus dem Geist seiner Gegenwart zu deuten und dennoch die große liturgische Tradition zu berücksichtigen. Nach dem sensationellen Erfolg des ‚Te Deum’ entschloss er sich, bei der ‚Grossen Messe’ die repräsentative Oratorienform konsequent fortzuführen. Zur Unterstützung des festlichen Ranges seiner Messekomposition entschied er sich für eine große instrumentale Besetzung: neben einem großen Streichkörper, dreifache Holzbläser, vier Hörner, drei Trompeten, drei Posaunen, Tuba und Harfe. In der vokal-instrumentalen Erfindung erkennt Haas Braunfels’ Zuwendung zur religiösen Zeremonie, die er bei seinen regelmäßigen Kirchenbesuchen erlebte. Neben dem gemischten Chor singen ein Solo-Quartett (Sopran, Alt, Tenor, Bass) und ein Knabenchor. Das Stück besteht aus dem Kyrie, Gloria, Credo, Offertorium, Sanctus, Benedictus und dem Agnus Dei.

Die Philharmonie am Abend

Die Philharmonie am Abend

Das Kyrie beginnt mit dem sehr zart in den Altstimmen formulierten Thema „Kyrie eleison“, auf das der Solo-Sopran bald darauf hymnisch eine Variation folgen lässt. Nacheinander übernehmen die übrigen Solisten mit dem Chor die Kyrie-Thematik. Im folgenden Gloria gibt es nach einiger Dynamik mit dem vierstimmigen Chorsatz „Domine Deus, rex coelestis Deus“ ein sehr tragendes Altsolo mit „Qui tollis peccata mundi, miserere nobis“, wundervoll untermalt vom Chor im Hintergrund. Das Credo setzt mit einem prachtvollen Posaunensolo ein. Darauf entsteht ein tiefgründiges Klangbild, welches der Knabenchor und schließlich der ganze Chor, von Jörg-Peter Weigle einstudiert, sehr dynamisch aufgreifen. Am Ende ersteht ein zarter zweistimmiger Knabenchor mit dem Solo-Sopran, unterbrochen vom Aufschrei des Chores „Crucifixus“. Mit größter Ruhe und Zartheit folgt das Offertorium aus der Messe des „Hl. Namens Jesu“ und könnte nach Haas auch als Titel über dem gesamten Werk stehen.

Das Publikum in der Philharmonie schien bei diesem Stück den Atem anzuhalten und zu merken, dass es sich dabei um den Mittel- und Ruhepunkt der Komposition handelt. Sehr zart beginnt der Chor sodann das Sanctus und steigert die Dynamik überwältigend zu einem mehrmaligen „Sanctus-Ruf“ in strahlendem Forte. Das wirkt im Saal wie eine Entladung nach der Ruhe des Offertoriums. Ein Interludium als Orgelsolo „sub consecratione“ überbrückt musikalisch die Stille während der Wandlung und leitet unmittelbar in das Benedictus über. Solisten und Chor steigern den Ausdruck bis zu dem im Fortissimo gesungenen Höhepunkt „Hosanna, qui venit in nomine Domini!“ Das Agnus Dei stimmt die Solo-Altistin, ganz hervorragend Gerhild Romberger, zunächst nach einem tiefen Flötensolo als Ausdruck großer Demut an. Nach dem Chor mit „Miserere nobis“ übernimmt der Solo-Tenor Christian Elsner mit seiner kultiviert geführten Stimme und sicherer Höhe. Mit dem Pacem des Solo-Soprans Simone Schneider, die ihre Stimme während des ganzen Stücks in bester Harmonie zum orchestralen Part eingesetzt hatte, klingt die ‚Grosse Messe’ in zartestem Pianissimo in einer Stimmung transzendentaler Verklärung aus. Leider war Robert Holl nach seiner Erkrankung noch nicht wieder ganz bei Stimme, fügte sich aber dennoch bestens in die Gruppe der Solisten ein. Heiko Holtmeier spielte ausdrucksstark die Orgel. Lange dauerte es, bis sich das Publikum zu einem Applaus entschloss, der dann größte und lang anhaltende Begeisterung für die SolistInnen und die MusikerInnen unter Weigle dokumentierte. Man war sich offenbar bewusst geworden, dass man ein zu Unrecht viel zu selten gespieltes großes Werk gehört hatte.

Fotos: Klaus Billand

Klaus Billand