Linz/Brucknerfest 2014: Ulenspiegel - 14. und 16. September 2014
Martialischer Realismus pur…
Christa Ratzenböck als Nele
Nach einer sehr erfolgreichen Aufführung der Oper „Der Schatzgräber“ von Franz Schreker im vergangenen Jahr setzte EntArteOpera, von Martin Sieghart, Susanne Thomasberger und Philipp Harnoncourt ins Leben gerufen, mit dem „Ulenspiegel“ von Walter Braunfels in der Tabakfabrik Linz sein interessantes und bedeutsames Projekt fort, in Kooperation mit dem internationalen Brucknerfest. Die kürzlich verstorbene österreichische Nationalratspräsidentin Barbara Prammer hatte das Projekt von Beginn an unterstützt.
Christa Ratzenböck und Marc Horus
Für Regisseur und Lichtgestalter Roland Schwab kommt die österreichische Erstaufführung des „Ulenspiegel“ in Linz 100 Jahre nach Ausbruch des 1. Weltkriegs als Mahnung, wozu apolitisches Draufgängertum, hier von Ulenspiegel dargestellt, führen kann, wenn glühende Freiheitskämpfer durch das Erleben eigener Schicksalsschläge (Ulenspiegels Vater Klas wird von der spanischen Inquisition ermordet) durch Selbstjustiz und Mangel an Empathie selbst zu Tyrannen werden.
Nele und Ulenspiegels Vater Klas
Die Uraufführung des „Ulenspiegel“ fand am 4. November 1913 in Stuttgart statt, also ein Jahr vor Ausbruch des 1. Weltkriegs. Walter Braunfels konvertierte aufgrund seiner traumatischen Kriegserlebnisse, die auch zu einer schweren Verletzung führten, zum Katholizismus und wandte sich infolgedessen von dem Werk ab. Der antikatholische „Ulenspiegel“, wie es Dramaturg Volkmar Putz im interessanten Programmheft formuliert, passte aufgrund seiner Nähe zur Kriegsbegeisterung der Vorkriegsjahre nicht mehr in sein Weltbild. Erst 2011 wurde die Oper in Gera zum ersten Mal wieder gespielt.
Nele und Ulenspiegel
Sie basiert auf dem 1867 erschienen Roman von Charles de Coster „Thyl Ulenspiegel – Die Legende und die heldenhaften, fröhlichen und ruhmreichen Abenteuer von Ulenspiegel und Lamme Goedzak im flandrischen Lande und anderswo“. Der belgische Autor, 1827 in München geboren, verlegt das Geschehen in die Zeit des Spanisch-Niederländischen Kriegs im 16. und 17. Jahrhundert. Till Eulenspiegel wird allerdings hier vom anfänglichen Narren zur tragischen Figur. Er verspottet zunächst die spanischen Besatzer und hält den Genter Handwerkern den Spiegel vor. Zwar kann er sich ihrem Zugriff durch Flucht entziehen und sich auf die Seite der Geusen, gleichgesinnten Widerstandskämpfern, schlagen, verliert aber seinen Vater Klas, dessen Ziehtochter Nele er liebt, durch die Inquisition. In großer Verbitterung überredet er die Geusen, gegen die Spanier aufzustehen, gerät aber in Gefangenschaft, verliert auch noch Nele und endet als tragisch Gescheiterter.
Nele und Ulenspiegel
Der martialische Charakter des „Ulenspiegel“ wird sofort erkennbar, wenn man in den völlig abgedunkelten riesigen Bühnenraum der Tabakfabrik schreitet, um auf die Sitztribünen zu gelangen. Man könnte meinen, auf die Absturzstelle des Fluges MH 17 geraten zu sein. Aber nicht nur diesbezüglich schreit das Bühnenbild von Susanne Thomasberger nur so vor trauriger Aktualität, angesichts der zu den Aufführungstagen noch heftig tobenden Kämpfe in der Ostukraine, aber auch im Gazastreifen. Überall liegen Trümmer von alten Autos und Maschinenteilen herum, wie man sie aus der TV-Berichterstattung von beiden Konfliktherden und anderen Ländern kennt. Im Hintergrund sind auch Barrikadenverschläge zu erkennen, die im 3. Akt wichtig werden.
Nele und Ulenspiegel
Ein paar verängstigte flandrische Handwerker haben sich verängstigt in einem alten Wohnwagen verkrochen. Schon kommen die Schergen der spanischen Besatzer und knüppeln mit Eisenstangen auf den Wagen, während andere auf Nebenschauplätzen drei vermeintliche oder tatsächliche Widerständler erschlagen. Ulenspiegel erscheint und verhöhnt den leeren Protest der Handwerker und bringt kurz darauf in theatralisch eindrucksvoller Form eine Ablassprozession zum Erliegen. Die Ablasspriester ähneln in den auch sonst absolut stilsicheren und situationsgerechten Kostümen von Susanne Thomasberger dem Ku-Klux-Klan, nur mit rotschwarzem Ornat. Berührend in diesem Toben ist die Szene mit Ulenspiegels Vater Klas und Nele, die Ulenspiegel „bis zum Tode“ liebt. Umso grausamer inszeniert Schwab dann den Auftritt des Profoss mit seinen Schergen, die Klas gefangen nehmen und zur Folter bringen.
Nele und Ulenspiegel
Zum emotionalen und dramatischen Drehpunkt des Geschehens wird Neles Auftritt im 2. Akt mit der Kunde, dass Ulenspiegels Vater Klas der Folter zum Opfer gefallen ist. Zum Beweis trägt sie einen Häuflein seiner Asche mit sich. Der wehvolle Ausspruch Ulenspiegels, später wiederholt, „Wie brennt die Asche meine Brust“ dokumentiert in dieser Inszenierung eindrucksvoll des Startpunkt des nun beginnenden Rachefeldzug mit den Geusen. Diese werden in der dunklen und damit nahezu unergründlichen Weite des Raumes in kleinen Chören singend theaterwirksam choreografiert.
Nach der Dernière
Der 3. Akt beginnt mit einer ungemein berührenden und optisch entsetzenden Jagd auf die Frauen in Damme, die von den Schergen der Besatzer auf einen Scheiterhaufen aus Holzpaletten zur Verbrennung zusammen getrieben werden. Das alles wirkte ungemein realistisch und beängstigend. Die Grenzen zwischen Theater und Realität schienen hier manchmal zu verschwimmen – eine inszenatorische Meisterleistung, die wohl nur in diesem eschatologisch anmutenden Raum der Tabakfabrik entstehen konnte. Die Befreiung durch Ulenspiegel mit den Geusen wirkt wie eine Erlösung, so hat man mitgelitten. Das Ende ist die Folter Ulenspiegels, seine Befreiung durch Nele und das Schlimmste: Seine tauben Ohren für ihre Liebe und Flehen nach einem Ende der Gewalt. Stattdessen stirbt sie als menschlicher Schutzschild in seinen Armen von der finalen Kugel des sterbenden Profoss – mehr Tragik ist kaum denkbar. Im Finale steht Ulenspiegel mit seinen letzten Getreuen auf der Barrikade und schwört weiter „heiligen Kampf“ – wie vertraut…!
Die gesamte Truppe
Marc Horus verkörpert den Ulenspiegel mit einer wahrlich beeindruckenden Charakterstudie in all seinen Facetten. Schade, dass die große schauspielerische Leitung nicht von entsprechender stimmlicher Qualität begleitet war. Sein bisweilen heldisch klingender Tenor – und der Ulenspiegel sollte eigentlich von einem Heldentenor gesungen werden – ließ an Volumen, Resonanz und auch Höhensicherheit missen. Einiges davon konnte er darstellerisch auch angesichts der Zerrissenheit der Figur wettmachen. Die Sensation dieses „Ulenspiegel“ war aber die oberösterreichische Mezzosopranistin Christa Ratzenböck, die mit der Nele das Publikum durch ihre stets authentisch wirkende Emotionalität und Empathie begeisterte. Dazu kam ein stimmlicher Ausdruck mit bestechender Dramatik, Höhensicherheit und Klangschönheit, die Ratzenböck wohl zu einer Topbesetzung für die schwierige Partie machen. Bisher kannte der Rezensent sie nur in relativ kleinen Rollen. Hier ist einiges Potenzial für mehr… Auch der Profoss von Joachim Goltz war eine erstklassige Besetzung für die unsympathische Rolle. Goltz, den der Rezensent 2009 in Detmold schon als eindrucksvollen Alberich in Wagners „Rheingold“ erleben konnte, wartete mit einem klangvollen Bassbariton auf, bei guter Phrasierung und bester Diktion. Man muss sich fragen, warum er nicht mehr im Wagnerfach zu hören ist. Hans Peter Scheidegger sang einen balsamisch klingenden Klas. Andreas Jankowitsch war ein stimmlich kultivierter Jost und Schuster. In den Nebenrollen konnten Tomas Kovacic, Martin Summer, Saeyoung Park, Dimitrij Leonov, Neven Crnic, Mario Lerchenberger und Laszlo Kiss voll überzeugen. Der Chor von EntArteOpera spielte eine bedeutende dramaturgische Rolle und wurde bei großer stimmlicher Intensität in der Einstudierung von Franz Jochum exzellent geführt.
Bühnenbild nach Schluss der Vorstellung
Werner Steinmetz hatte wie schon im Vorjahr den „Schatzgräber“ nun auch den „Ulenspiegel“ für Kammerorchester bearbeitet. Dabei fasziniert ihn bei der Oper von Walter Braunfels insbesondere ihre „klare Klangsprache“, die vom Israel Chamber Orchestra unter der Leitung von Martin Sieghart in der Tat bestechend umgesetzt wurde. Die intensive, leidenschaftliche und oftmals gerade in diesem Stück aufwühlende Musik von Walter Braunfels verdichtete sich an diesem Abend mit der Intensität des theatralischen Geschehens gewissermaßen zu einem Gesamtkunstwerk im Sinne Richard Wagners, trotz eines ganz eigenständigen Klangbildes. Die Musik des hinter die Hauptspielfläche zurückgesetzten Orchesters, dem man die kammermusikalische Besetzung kaum anmerkte, war völlig in den Handlungsablauf eingebunden. Im „Ulenspiegel“ sind kaum klar definierbare Leitmotive und längere Melodien auszumachen. Das Klanggemälde wirkt bisweilen eher wie ein Seelenspiegel der Geschicke der Handelnden und vermag so deren Ausdruck enorm zu steigern. Natürlich klingen spätromantische Elemente an. Die Musik von Walter Braunfels ist oft rhythmisch vorantreibend, dann wieder filigran, fast kammermusikalisch verinnerlichend, und sie hat eine ganz eigenständige musikalische Ästhetik. Die Renaissance der Werke des lange vergessenen Komponisten sollte durch diese großartige Arbeit von EntArteOpera weiter befruchtet werden. Glücklicherweise wird von der Produktion eine DVD erscheinen.
Fotos: Julia Fuchs 1-7
Klaus Billand: 8-10
Klaus Billand