Achim Freyer, Regisseur des Ring des Nibelungen - Los Angeles Juni 2010
Achim Freyer an der LA Opera
Von Achim Freyers Neuinszenierung des „Ring des Nibelungen“ von Richard Wagner an der Los Angeles Opera ist im Juliheft des Neuen Merker ausführlich berichtet worden. Es war nicht leicht, den umworbenen Maler, Ausstatter und Regisseur zu einem Interview zu bekommen, aber dank der Vermittlung von Christina Baitzel, Spezialassistentin des Regisseurs für das „Ring“-Projekt an der LA Opera, wurde das kurze Interview dann doch noch 30 Minuten vor der „Götterdämmerung“ möglich. Das muss gesagt werden, es gibt nicht viele „Ring“-Regisseure, die mit Interviewterminen so großzügig sind…
So beschränkte ich mich gleich auf fünf Fragen und erlebte ein Interview, das an Eindeutigkeit und Überzeugungskraft des Interviewten trotz und vielleicht auch gerade wegen seiner Kürze ein Erlebnis der besonderen Art wurde. In Abwandlung an „Siegfried“ 1. Aufzug, Wissenswette, begann ich also mit: „Herr Freyer, die erste Frage nun droht!“
1. Worin besteht für Sie die Hauptaussage des „Ring“?
Die Hauptaussage des „Ring“ ist ganz Wagners Aussage. Er schildert die Welt von ihrer Entstehung bis zu ihrem Untergang. Dieser Untergang ist motiviert von Besitz, Macht und Reichtum. Und diese sollen gesichert werden durch das Machen von Verträgen, die immer Betrug sein müssen und niemals aufgehen. Nach Freyer ist für Wagner jede Art von Konvention ein Verrat an der Progressivität und der Zeit. Der „Ring“-Regisseur, der bekanntlich Brecht-Schüler war und stark von Bert Brecht geprägt wurde, sieht hier sogar Parallelen zwischen Wagner und Brecht.
LA Opera
2. Was erwarten die Opernbesucher von Los Angeles, die zum ersten Mal die Tetralogie sehen, vom „Ring des Nibelungen“?
Das ist Achim Freyer egal. Und zwar weil alle Probleme auf der Welt dieselben sind: „Ich schlafe und besitze…“
3. Wie stehen Sie zur relativen Bedeutung von Inszenierung und Optik einerseits und der Musik im „Ring“ andererseits?
Freyer will die Musik hörbar und sichtbar machen. „Herumrennende Sänger sind eine Doppelung der Handlung.“ Für ihn muss die Musik frei bleiben, und der Text muss hörbar werden, sonst könnte sie zur Filmmusik degradieren. Die Szenen sind für Achim Freyer ein eigenes Gefäß, den Text und die Musik sowie die Gedanken freizusetzen; sie dürfen nicht einfach auf der Szene „mitreiten“. Nur dann glaubt er, dass die Geschichte authentisch entsteht.
Pausengespräch
4. Was bedeutet für Sie der Mythos im „Ring“?
„Das ist ein privater Mythos von Richard Wagner.“ Er hat sich alles aus anderen Mythen geholt. So ist Achim Freyer auch der Meinung, dass die Nibelungensage nichts mit dem Stück zu tun hat. „Es ist wie bei Woyzeck.“
Nach der Götterdämmerung mit den SängerInnen
5. Nach so vielen Inszenierungen, wie kann man den „Ring“ noch machen…?
Dazu hat Achim Freyer eine verblüffend anmutende Antwort parat, und ich gebe sie hier wieder, nachdem ich mich ihrer Ernsthaftigkeit nochmals versichert habe: „Meine Inszenierung ist der Anfang der Wagner-Rezeption, von hier aus kann es losgehen…“ Auch meine zaghafte Erinnerung an die Bedeutung des Neu-Bayreuth von Wieland und Wolfgang Wagner und die in mancher Hinsicht positiven Entwicklungen des sog. Wagnerschen Regietheaters der letzen 35 Jahre kann ihn nicht von dieser Überzeugung abbringen, also bitte! „Bisher war noch nichts!“ In seiner Sicht des „Ring“ bezieht Freyer sich mit größter Wertschätzung auf die These des „rasenden Stillstands“ des französischen Philosophen und Kritikers der Mediengesellschaft PAUL VIRILIO, der dazu 1989 einen Essay verfasste. Virilio beschäftigte sich seinerzeit mit Raum- und Zeiterfahrungen, die die Menschheit mit der Überschreitung von damals noch für unüberwindbar geltenden Grenzen (Raumfahrt etc.) machte. Räumliche Bezüge gehen nach Virilio damit verloren – ein Phänomen, das mit dem Internet in unserer Zeit eine noch weit bedeutendere Dimension erhalten hat. Durch das Internet geht der Bezug zur äußeren, körperlichen Welt verloren. In einem Akt der Egozentrierung zieht sich der Akteur aus der körperlichen Welt zurück. Da diese sich als überwindbares Hindernis herausgestellt hat, ist die logische Folge, dass der menschliche Körper als Teil derselben überflüssig geworden ist (Franziska Sorgenfrei). Die Assoziation zu Alberichs Tarnhelm drängt sich hier unmittelbar auf! Die reale Welt erliegt nach Virilio so dem vollkommenen Stillstand. Das Internet bietet durch die Eliminierung jeglicher körperlicher Begrenzung die ständige Veränderung von Bedingungen und führt zu einer Beschleunigung des Lebenswandels. Deshalb spricht Virilio vom „rasenden Stillstand“. Und dieses Phänomen versuchte Freyer mit seiner Produktion in Los Angeles optisch, und m.E. ebenso schlüssig wie neuartig umzusetzen. Dabei bestand für ihn die große Herausforderung, wie man die mit diesem Stillstand verbundene Bewegungslosigkeit auf der Bühne darstellen kann, die doch im Prinzip Bewegung verlangt. Die Figuren bewegen sich in seiner Inszenierung also kaum noch, vollführen esoterisch anmutende Bewegungen. Das pantomimenhafte und bewegungsarme Spiel wird durch starke Farbgebung (der Maler Freyer ist in jedem Bild klar erkennbar) und eine ebenso eindringliche wie fantasievolle Symbolik auf der Bühne und in den Kostümen akzentuiert, bzw. kompensiert. Wie der Regisseur in unserem Interview schließlich meinte, führt Virilios rasender Stillstand letztlich zur Explosion bzw. Weltkatastrophe, also in die „Götterdämmerung“.
Dass diese Schlussfolgerung nicht von der Hand zu weisen ist, scheint die jüngste Enthüllungsarbeit von Wikileaks zu belegen. Davon war zum Zeitpunkt dieses Interviews noch nicht die Rede! Rasender Stillstand durchs Internet als „Götterdämmerung“ einer (vermeintlichen) Geheim-Diplomatie…
Fotos: Klaus Billand
KlausBilland