Olivier Py - Autor, Schauspieler, Dramatiker und Bühnenbildner aus Frankreich – 28. Oktober 2006

„I am sick for beauty!”

Olivier Py - Foto: Emile Zeizig Wikipedia

Olivier Py - Foto: Emile Zeizig Wikipedia

Oivier Py wurde 1965 in Grasse, Südfrankreich, geboren. Seit 1988 schrieb und inszenierte der etwas an den jungen Patrice Chéreau erinnernde Künstler eine Reihe von Theaterstücken, u.a. “Les Aventures de Paco Goliard”; “La Servante – Histoire sans fin”; “Le Visage d’Orphée”; “L´Apocalypse joyeuse”, “Le Vase de parfums” und “L´Exaltation du labyrinthe”.

1998 wurde er zum Direktor des Centre Dramatique National (CDN) d´Orléans-Loiret-Centre ernannt und inszenierte daraufhin am CDN und für eine europäische Tournee Le Soulier de satin von Paul Claudel. Am CDN sowie beim Festival von Avignon präsentierte er seine Trilogie “Les Vainqueurs”. Für seine Soulier-Inszenierung und andere Inszenierungen wurde er Lauréat der Fondation Beaumarchais und erhielt den Prix Nouveau Talent Théâtre/SACD 1996 sowie den Prix Jeune Théâtre de l´Académie Francaise 2002. Py wurde mit “Paradis de tristesse” auch Romanautor.

1999 machte er mit dem “Freischütz” seine erste Operninszenierung, und zwar unter dem damaligen Direktor der Oper von Nancy, Jean-Marie Blanchard, dem heutigen Generaldirektor des Grand Théâtre de Genève. Diese Liaison war sicher auch die Grundlage für mehrere bedeutende Operinszenierungen im Schaffen Pys am Grand Théâtre, wie “Hoffmanns Erzählungen” 2001, “Fausts Verdammnis” 2003, “Tristan und Isolde” 2004, sowie “Tannhäuser” 2005. Seine Inszenierung des “Tristan” wurde mit dem Prix du Syndicat de la critique (Frankreich) ausgezeichnet.

Im Neuen Merker berichtete ich über den “Tristan” und die Neuproduktion des “Tannhäuser”. Anlässlich dieser Wagner-Inszenierungen, die man durchaus als spektakulär bezeichnen kann, führte ich mit Olivier Py das folgende Telefon-Interview.

Herr Py, wie kommen Sie als Autor und Dramatiker zur Oper?

Ich war immer ein Mann der Bühne, der die Musik liebt. Ich wollte um die 20 sogar einmal Opernsänger werden, habe eine gewisse Passion für Gesang und Musik. Nach meinem “Freischütz” machte ich mit Jean-Marie Blanchard den “Hoffmann”, der eigentlich zuerst geplant war. Daraufhin habe ich mich dann auf die romantische Oper spezialisiert und studierte insbesondere die Deutsche Romantik sowie die Musik des 19. Jahrhunderts. Berlioz und Wagner wurden daraufhin für mich immer interessanter. Ich las Novalis, später Schopenhauer, vor allem um mich in die Gedanken und Auffassungen der jeweiligen Zeit hinein versetzen zu können.

Wie kommen Sie speziell zu Richard Wagner?

Seine Musik ist endlos, man kann ihr ununterbrochen zuhören. Ich liebe auch Verdi, er ist mediterran, wie ich. Aber da werde ich bisweilen müde. Wagner war allerdings in meinen Augen kein guter Denker, kein guter Schreiber und kein guter Philosoph. Er dachte durch die Musik. Mit Worten, in Musik gefasst, macht er Menschen, projiziert Ideen, nimmt er den Zuhörer gefangen, die Idee wird zu Musik. Wagner ist in seiner Gesamtbedeutung der einzige Opernkomponist, der mit Shakespeare, Aischylos, Proust und Dante verglichen werden kann…

Wie sehen sie die Rolle der Dramaturgie und das Regietheater auf der Opernbühne?

Ich hasse Transpositionen. Ich will das Sujet nicht in die Gegenwart übersetzen, die ist ohnehin da. Aber es gab auch damals eine Zeit. Manchmal war es die gleiche Gedankenwelt wie heute. Ich suche abstrakte Schauplätze, durchaus auch gegenwärtige, aber immer in abstrakter Form. So versuche ich, neue Wege zwischen Theater und Oper zu finden. Dabei habe ich habe keine Angst vor Schönheit. Sie hat ihre Berechtigung auf der Bühne. Sicher ist aber auch: ich liebe die spektakuläre Show. Als Mann der Bühne fühle ich mich gewissermaßen als Showmacher. Das Theater steht dabei im Vordergrund. Die Regie sollte das Feuer machen, must make it happen. Ich brauche die Dramaturgie, aber sie soll kein Übergewicht bekommen. Es ist wichtig zu sehen, was der Schöpfer des Werkes dachte, nicht was ich als Regisseur denke. Wagner denkt mit Noten, ich denke mit Licht, Farben und Abstraktion. Ich fliehe vor dem Regietheater, will nicht zurückgehen, um den bereits bekannten noch eine weitere Transposition hinzuzufügen. Ich versuche, das Stück aus verschiedenen Blickwinkeln zu sehen. Das kann unter Umständen mehr sein als der Autor im Auge hatte. Dabei versuche ich, einen Abstraktionsgrad zu erreichen, der es jedem erlaubt, sich eine eigene Idee zu machen. Das Publikum soll selbst wählen.

Ihre Inszenierungen zeichnen sich durch eine dezidierte Lichtregie bei tiefschwarzer Grundstimung aus. Warum?

Die Dunkelheit ist gut, um das Licht selbst als Charakter darzustellen, sozusagen als einen weiteren Mitwirkenden. Die Idee beim Tristan war nur Licht, Reflektion. Mit Schwarz kann man mehr Lichteffekte darstellen. Und zwar liebe ich das pure Licht, nicht in der Art, wie es Robert Wilson verwendet. Licht ist für mich ein Prozess der Bühnenarbeit.

Wie sehen Sie die Zusammenarbeit zwischen Regisseur und Dirigent?

Die Zusammenarbeit mit dem Dirigenten muss so eng wie eben möglich sein. Alles muss genau besprochen und erarbeitet werden. Ich bin ein großer Musikliebhaber. So diskutiere ich auch mit den Dirigenten die Regie im Hinblick auf die Partitur im allgemeinen und die Tonarten im besonderen. In unserer “Tristan”-Produktion wollte Pierre-André Weitz, der Bühnenbildner, die Partitur mit der Bewegung des “Tristan”-Schiffes visualisieren (es bewegt sich über den ganzen Akt in einem Zug langsam von rechts nach links über die Bühne und offenbart immer wieder neue Schauplätze und Elemente der Handlung). Das Schiff war optischer Ausdruck der Partitur. Der Bühnendirektor der Genfer Oper war sehr ruhig…

Ihre Produktionen können auch provozieren. Ich denke beispielsweise an den “Tannhäuser” in Genf. Wie stehen Sie zu Buhrufen nach der Premiere?

Es gibt immer einige Buhs nach Premieren. Das ist normal, und es kümmert mich nicht. Buhs bedeuten weder, dass man Talent hat noch dass man keines hat. Einen Skandal zu machen heißt nicht, dass man Kunst macht.

Wie kann man vermehrt die Jugend in die Opernhäuser bringen?

Durch preiswertere Tickets!

Und was sind Ihre Opern-Pläne für die Zukunft?

Ich will einige weitere Opern mit Jean-Marie Blanchard machen, so einen neuen “Freischütz”, Wiederaufnahmen von “Hoffmanns Erzählungen” und “Fausts Verdammnis” und diese Werke in einer Saison gemeinsam bringen. Vielleicht einmal “Ariodante” beim Edinburgh-Festival, wo er 2005 “Curlew River” von B. Britten inszenierte. “Pelléas et Mélisande” in Moskau vielleicht 2007. Einen “Ring des Nibelungen”? Ich würde wahnsinnig gern einen “Ring” inszenieren. Aber ich bin noch jung, und das hat Zeit… (Ich bin mir sicher, dass ein Ring von Olivier Py sehr sehenswert sein wird!).

Herr Py, ich danke Ihnen für dieses interessante Gespräch und wünsche Ihnen für weitere unkonventionelle Projekte alles Gute.

Klaus Billand