MARSEILLE: "Les Troyens" konz. - 15. Juli 2013
Opéra Municipal de Marseille
Zum letzten Mal hat die Opéra de Marseille im Juni 1989 die fünfaktige Grand Opéra „Les Troyens“ von Hector Berlioz, der auch das Libretto nach Virgil schrieb, aufgeführt. In diesem Jahr ist Marseille europäische Kulturhauptstadt, und so brachte die Opéra in Koproduktion mit dem Projekt „Marseille Provence 2013“ das riesige Werk unter der musikalischen Leitung von Lawrence Foster zweimal konzertant im wunderschön renovierten Haus zur Aufführung. „Les Troyens“ haben in der Aufführungsgeschichte der Oper von Marseille durchaus große Bedeutung erlangt, was nicht zuletzt aufgrund der Länge des Werkes nicht immer der Fall war. Unter dem damaligen Operndirektor Jacques Karpo soll nach einem Kommentar des Kritikers Edmeé Santy im Le Provencal die integrale, also die lange Version der „Troyens“ wieder auferstanden sein. Guy Chauvet war hier der erste Énée, Nadine Denize die Cassandre und Robert Massard Chorèbe, im Jahre 1978. Eine Wiederaufnahme 1980 wurde mit solcher Begeisterung vom Marseiller Publikum aufgenommen, dass eine zusätzliche Aufführung angesetzt wurde, wieder mit Chauvet und Denize. Zwei Jahre vor seinem Tod nahm Karpo 1989 die Produktion nochmals auf, mit den impressionistischen Bühnenbildern von Wolfram Skalicki, der ein gewaltiges trojanisches Pferd aus Holz auf die Bühne stellte. Henry Lewis hatte die musikalische Leitung. Livia Budai als Cassandere und Grace Bumbry als Didon waren damals die Stars, die enthusiastische Kritiken erhielten. Gilbert Py war Énée mit einer schönen Stimme, konnte aber Chauvet nicht vergessen machen. „Etwa 7.000 Marseiller (in vier Vorstellungen) akklamierten dieses als unerträglich bekannte Werk“ schrieb damals Jacques Lonchampt in Le Monde…
Das Bühnenportal
Diesmal, allerdings eben nur in einer konzertanten Aufführung, standen auch zwei Stars auf der Marseiller Bühne, wohl die wesentlichen Magneten der beiden langen Abende von jeweils fünf Stunden: Roberto Alagna als Énée und Béatrice Uria-Monzon als Didon, Cassandre und Spectre de Cassandre. Alagna hatte einen ganz großen Abend mit seinem klangschönen, geschmeidigen und absolut höhensicheren Tenor, dem diese Rolle wie auf den Leib geschrieben scheint. Dazu kommt auch konzertant ein starker Ausdruck in der Mimik. Wie forsch und selbstsicher er seinen großen Auftrittsmonolog „Du peuple et des soldats, ô roi!“ angeht, sollte seinesgleichen suchen. Béatrice Uria-Monzon bringt den für die Rolle passenden dramatischen und farbigen Mezzosopran mit, den sie mit ausdrucksvoller Phrasierung vorträgt, der aber bisweilen etwas guttural und geschlossen klingt. Sie besticht aber mit guter Attacke und einer stabilen Höhe. Auch Uria-Monzon spielt die verschiedenen Facetten ihrer Rollen mit starkem Ausdruck.
Béatrice Uria-Monzon und Roberto Alegna
Die junge Mezzosopranistin Marie Kalinine ist Ascagne mit ausgezeichneter Phrasierung und guter Intonation, ebenso wie die ebenfalls noch junge Clementine Margaine mit ihrem klangschönen Mezzo als Anna besticht und auch sehr ausdrucksvoll singt. Marc Barrard singt einen guten Chorèbe und Spectre de Chorèbe, Alexandre Duhamel einen intensiven Panthée und Mercure. Nicolas Courjal überzeugt mit seinem profunden und prophetisch intonierenden Bass als Narbal, Priam, Schatten des Hector und Spectre de Priam. Das exzellente Ensemble wird komplettiert durch Anne-Marguerite Werster als Hécube und Polyxène, Gregory Warren als Iopas und Hylas sowie Bernard Imbert, Antoine Garcin und Wilfried Tissot in Nebenrollen. Der starke Chor wurde von Pierre Iodice bestens einstudiert.
Solisten und Orchester
Lawrence Foster findet den ganzen Abend über mit dem Orchester und Chor der Opéra de Marseille zu beeindrucknder Dynamik, zumal in den großen Tableaus. Stets gibt er den Solisten Vorrang vor Chor und Orchester, sodass die Balance niemals verloren geht. Diese Aufführung hat sicher eindrucksvoll an die große Tradition der „Trojaner“ in Marseille angeschlossen.
Fotos: Klaus Billand (1,2); Christian Dresse (2,3)
Klaus Billand