Rom/Teatro dell’Opera - Terme di Caracalla: Schwanensee am 15. Juli 2014

“Schwanensee” statt “La Bohème”

Die Terme di Caracalla

Die Terme di Caracalla

Nachdem am Vorabend des Balletts „Schwanensee“ von Peter I. Tschaikowsky der Superintendent der Römischen Oper, Carlo Fuortes, vor Beginn der Premiere von „La Bohème“ vor das bereits vollständig erschienene Publikum getreten war und verkündet hatte, dass wegen des Streiks zweier kleinerer Orchester-Gewerkschaften die Premiere der Puccini-Oper nur mit Klavierbegleitung stattfinden könne (Karten wurden erstattet), verlief der Ballett-Abend bei auch besserem Wetter vor der zauberhaften Kulisse der Ruinen der unter Kaiser Caracalla zu Beginn des 3. Jahrhunderts fertig gestellten antiken Badeanlage mit vollem Orchester zu aller Zufriedenheit. Die Enttäuschung über die gescheiterte „Bohème“-Premiere am 14.7. war gerade unter den vielen ausländischen Besuchern groß, die auch nicht gleich verstanden, was eigentlich los war, da die Ansage nur auf italienisch erfolgte. Gern hätte der Rezensent auch eine Besprechung der sehr interessant wirkenden Neuinszenierung dieser Oper gebracht, für deren Regie, Bühnenbild, Kostüme und Lichtregie Davide Livermore verantwortlich zeichnete und Daniele Rustioni an diesem Abend die musikalische Leitung gehabt hätte.

1. Akt Il lago dei cigni

1. Akt Il lago dei cigni

Unter der musikalischen Leitung von Nir Kabaretti und der Regie und Choreographie von Patrice Bart (2. Akt von Marius Petipa und Lev Ivanov) sorgen die einfachen Bühnenbilder von Luisa Spinatelli zum „Schwanensee“, die umso mehr die im Hintergrund dezent und Stimmungen verstärkend erleuchteten Stelen der antiken Thermen in Szene setzen, für eine Betonung der tänzerischen Aktion auf der weitflächigen Bühne. Das Ballett von Tschaikowsky ist in den Termen di Caracalla offenbar sehr beliebt, denn seit 1980 wurde es bereits zehn Mal hier angesetzt, in verschiedenen Inszenierungen, diesmal in einer bereits im Teatro dell’Opera in der Stadt gespielten Neuinszenierung. Für den Regisseur Bart ist die Handlung eine konkrete Umsetzung von Situationen und psychologischen Gefühlen, und das wird sofort zu Beginn des 1. Aktes offenbar. Drei Mal kommt die Königsmutter mit dem erst kindlichen, dann jugendlichen und dem schließlich jungen Mann in Uniform- ihrem Sohn Siegfried – über die Bühne. Damit setzt Bart gleich den entscheidenden Akzent auf die ganze Problematik des jungen Siegfried, die schließlich in die Katastrophe führt: Die Fremdbestimmung des Sohnes durch die allzu ehrgeizige Mutter. Ein immer wiederkehrendes und somit stets aktuelles Thema…

2. Akt Le Villi

2. Akt Le Villi

Aktuell wie die Aussage des Stückes wirken auch die elegant modisch geschnittenen und hell gehaltenen Kostüme (Luisa Spinatelli) der jungen Ballgesellschaft zu Siegfrieds 21. Geburtstag, die Schwäne natürlich in klassischem Weiß. Die Choreographie wird nach den erst zurückhaltend beginnenden Tänzen des Balletts immer dynamischer mit attraktiven Hebefiguren und großem emotionalem Ausdruck auch in der Mimik der Tänzer. Walzer und Polonaise gelingen mit bemerkenswerter Harmonie in Rhythmik und Bewegung und zeigen auch von Bart eingebaute moderne Elemente, während der noch von Petipa und Ivanov choreographierte 2. Akt eindeutig auf die Ausdruckformen des klassischen Tanzes setzt. Der Ball zum 21. Geburtstag wird schließlich in seiner Fröhlichkeit und Überschwänglichkeit von der Intervention der Mutter Siegfrieds mit Übergabe eines Gewehres als Geschenk und einer Auszeichnung zum Anlass seiner Volljährigkeit sowie der dunkel kontrastierten Figur des Baron von Rotbart überschattet.

Le Villi

Le Villi

Alle Solisten zeigen neben großer tänzerischer Qualität auch bemerkenswerte darstellerische Qualitäten. So ist Gaia Straccamore als Königsmutter zunächst ganz die große, elegante und gesellschaftlich über allen stehende, nahezu unnahbare Dame, kann aber im traurigen Finale – denn ihr Sohn Siegfried stirbt in dieser Version in den Fluten des Sees, nachdem er Rotbart umgebracht hat – die verzweifelte und da zum ersten Mal wahre Menschlichkeit zeigende Mutter überzeugend verkörpern. Paulo Arrais ist ein sehr engagierter Siegfried, ebenso dynamisch und perfekt in seiner tänzerischen Darbietung wie berührend in der Melancholie seiner Regungen für Odette in der Szene am See und im 2. Akt. Seine Soli und die Pas de deux mit ihr gehören zu den tänzerischen Höhepunkten des Abends, lautstark vom Publikum akklamiert. Liudmila Konovalova ist ihm als Odette und Odile eine ebenbürtige Partnerin. Auch sie verbindet tänzerische Qualität mit persönlicher Anmut sowie emotional betontem Spiel und bekommt für ihre sehr guten Soli ebenso starken Applaus. Irgendwie merkt der Zuseher an der nicht nur tänzerischen sondern auch schauspielerischen Gestaltung der Protagonisten, dass Tschaikowsky auch ein guter Opernkomponist war. Riccardo Di Cosmo setzt als düsterer Rotbart zu den beiden Liebenden scharfe negative Akzente, die umso mehr die Spannung der Handlung aufbauen. Claudio Cocino als Siegfrieds Freund Benno von Sommerstein agiert hingegen etwas unauffällig, kann aber ebenfalls tänzerisch voll überzeugen. Alessia Gay tanzt im 2. Akt eindringlich die Vision von Odette und verkörpert gemeinsam mit Giovanna Pisani die beiden Freundinnen.

Die Thermen bei Nacht

Die Thermen bei Nacht

Immer wieder besticht die facettenreiche und phantasievolle Choreographie der großen Gruppen des Corps de Ballet des Teatro dell’Opera, insbesondere des Schwanenballetts in Weiß im nachtdunklen Blau der Lichtregie von Patrice Bart und Mario De Amicis, die eine wundersame Symbiose mit den Ruinen der Caracalla-Thermen eingeht. Das hat schon eine gewisse Einzigartigkeit und lässt verstehen, warum der „Schwanensee“ hier so beliebt ist. Hervorzuheben sind noch die Nationaltänze auf dem großen Ball im 3. Akt, die neben der vorherrschenden Dunkelblau-Hellgrau-Ästhetik nicht nur für tänzerische Kontrapunkte sondern auch für ansprechende farbliche Kontraste sorgen.

Ebenfalls

Ebenfalls

Nir Kabaretti sorgte am Pult des Orchesters des Teatro dell’Opera für einfühlsame musikalische Stimmungen in den melancholischen Szenen um die Schwanenwelt und Siegfried, verstand es aber auch, die Ballszenen symphonisch ausdrucksvoll zu gestalten und stets für nötige Steigerungen zu sorgen. Spätestens hier wurde einem nochmals der Entgang der „Bohème“ am Vorabend schmerzlich bewusst…

Fotos: Francesco Squeglia 2-4; K. Billand 1, 5-6

Klaus Billand