Leipzig: Das Liebesverbot bei WAGNER 22 der Oper Leipzig – 21. Juni 2022

Ein einzigartiger Wagner-Marathon

Tuomas Pursio als Friedrich

Tuomas Pursio als Friedrich

Unter dem Motto „3 Wochen Unendlichkeit, Schwelgen und Rausch“ begannen am 20. Juni die lange erwarteten Richard Wagner Wochen der Oper Leipzig „WAGNER 22“, mit denen Intendant und GMD Ulf Schirmer seine Amtszeit am Leipziger Haus seit der Saison 2009/10 abschließen möchte. Wohl nirgendwo anders bekommt man die Möglichkeit, nicht nur alle 13 Opern und Musikdramen des Bayreuther Meisters in so kurzer Zeit szenisch hintereinander zu erleben, sondern auch seine drei Frühwerke, die nicht in den sog. „Bayreuther Kanon“ eingingen. Und diese Frühwerke, insbesondere „Die Feen“ und „Das Liebesverbot“, dokumentieren eindrucksvoll, welches Talent Wagner in jungen Jahren zwar schon hatte, wie sehr er es aber erst über den langen Zeitraum seines künstlerischen Schaffens ausbaute und perfektionierte. Immerhin hatten sogar Friedrich Nietzsche und Thomas Mann Richard Wagner einmal als einen genialen Dilettanten bezeichnet. Ganz anders also als sein bis zum Tode schon 1847 ebenfalls in Leipzig aktiver Antipode Felix Mendelssohn Bartholdy, der schon mit 12 Jahren seine erste Komposition drucken ließ, mit 15 seine 1. Symphonie fertigstellte und mit 17 schon Meisterwerke wie das Streichoktett in Es-Dur op. 20 sowie die Ouverture zu Shakespeares „Ein Sommernachtstraum“ komponierte. Ganz anders als Wagner also ein Meister gleich schon zu Beginn seines kurzen Lebens! Unter dem Titel „Mendelssohn und Wagner. Zwei Leitfiguren der Leipziger Musikgeschichte“ thematisierte ein hochkarätiges Internationales Symposium des Instituts für Musikwissenschaft der Universität Leipzig in Kooperation mit dem Richard-Wagner-Verband Leipzig vom 23.-25. Juni das Wirken beider Komponisten in der Bürgerstadt. Namhafte Referenten aus Leipzig, Deutschland, Großbritannien und den USA waren mit interessanten multidisziplinären Betrachtungen beider Komponisten mit speziellem Bezug zu Leipzig zu hören.

Nina-Maria Fischer als Mariana

Nina-Maria Fischer als Mariana

Nach den „Feen“ folgte „Das Liebesverbot“ und damit Wagners erste selbst erlebte Uraufführung, die 1836 in Magdeburg unter chaotischen Umständen zustande kam. Diese Oper weist aber schon viel mehr als „Die Feen“ auf die kommende Entwicklung des Komponisten hin. Wenn auch noch ganz „Un-Wagnerisch“, dabei aber doch immer wieder schön herauszuhören, ist die musikalische Referenz an große italienischen Opern-Komponisten der damaligen Zeit. Die Art und Weise, wie Wagner sie vertont und in das dramaturgische Geschehen einbaute, deutet immer wieder auf sein revolutionäres Kompositionskonzept für die Oper an.

Der Chor im Protest gegen das Liebesverbot

Der Chor im Protest gegen das Liebesverbot

Es geht gleich mit der mitreißenden Ouvertüre los, die musikalisch perfekt das Karnevalstreiben im hitzigen Palermo dokumentiert. Hier zeigt Wagner bereits ein viel größeres Maß an musikalischer Geschlossenheit. Man könnte sie in ihrer konsistenten Dynamik und Ausdruckskraft mit dem Vorspiel zum 1. Aufzug der „Walküre“ vergleichen, freilich in total gegensätzlicher inhaltlicher Konnotation. Wieder ersetzte Matthias Foremny den erkrankten Christoph Gedschold am Pult des Gewandhausorchesters und brachte diesmal sehr viele schöne Facetten der schon viel reiferen Partitur des „Liebesverbot“ zum Klingen. Dass Orchester erwies sich als sehr vertraut mit dem Stück, das der jetzige Intendant des Stadttheaters Klagenfurt, Aron Stiehl, ebenfalls im Jubiläumsjahr 2013 in Leipzig inzensierte.

Der Chor - das Verbot ist weg!

Der Chor - das Verbot ist weg!

Stiehl stellt mit Bühnenbildner Jürgen Kirner, Kostümbildner Sven Bindseil und dem Lichtdesigner Christian Schatz auf das Thema dieser Oper, die Unvereinbarkeit des Geistigen mit dem Triebhaften im Menschen ab. Übrigens ein Leitmotiv, wie wir es bei Wagner des Öfteren antreffen, wie Stiehl im Gespräch mit Christan Geltinger im Programmheft sagt. Das prominenteste Beispiel dafür ist wohl Alberich im „Ring“. Statthalter Friedrich versucht, das Triebhafte in den Italienern in Palermo zu unterdrücken, nicht zuletzt zur Erhaltung seiner Macht, übt also Machtmissbrauch. Weil das auf Dauer nicht durchzuhalten ist, denn das Triebhafte im Menschen, was letztlich auch ein Trieb nach Freiheit ist, bahnt sich immer wieder seinen Weg, letztlich auch bei Friedrich selbst. Also muss er an dieser Politik scheitern.

Schlussaplaus Chor

Schlussaplaus Chor

Das leading team hat diesen Ansatz sehr gut herausgearbeitet mit einer exzellenten und frisch anmutenden Personenregie, obwohl die Inszenierung schon 13 Jahre alt ist. Hinzu kommt das sehr geschmackvolle, abstrakt gehaltene Bühnenbild, welches mit grünen Dschungel-Assoziationen den Drang des wilden Tieres im Menschen nach Freiheit zeigt und in einer streng arithmetischen, mit Nummern belegten Wand den Kontroll- und Verbotswahn Friedrichs widerspiegelt. Beide Wände können schwingen und somit in schneller Folge die entsprechenden Szenen und Stimmungen herstellen.

Schlussapplaus mit Dirigent Foremny

Schlussapplaus mit Dirigent Foremny

Manuela Uhl ist eine sehr agile und dezidiert auftretende Isabella, also „Die Novize von Palermo“ nach Shakespeares Komödie „Maß für Maß“. Sie ließ wegen eines Infekts zwar ansagen, was sich aber nur im weiteren Verlauf des Abends etwas andeutete. Generell war sie auch stimmlich voll überzeugend. Der Finne Tuomas Pursio, auch „Rheingold“-Wotan und Alberich in Leipzig, spielte einen starken Statthalter Friedrich, der in allen Facetten durch diese problematische Figur ging und lieh ihm seinen klangvollen Bassbariton. Mirko Roschkowski sang den Luzio mit seinem schön timbrierten Tenor, aber etwas kleiner Stimme, ähnlich wie Dan Karlström den Luzio.

Schlussapplaus Protagonisten

Schlussapplaus Protagonisten

Stefan Sevenich gab eine köstliche Charakterstudie des Brighella. Franz Xaver Schlecht sang einen kraftvollen Angelo. Die weiteren Nebenrollen waren mit Herfinnur Árnafjall als Antonio, Padraic Rowan als Danieli, Martin Petzold als Pontio Pilato, Nina-Maria Fischer als Mariana und Magdalena Hinterdobler als Dorella ansprechend besetzt. Wieder war der Chor der Oper Leipzig, einstudiert von Thomas Eitler-de-Lint, eine tragende Säule der Produktion und wartete mit geschmackvoll aufeinander abgestimmten Kostümen auf, eine Augenweide im Vergleich zu den Karnevalskostümen des Abends zuvor, die aber gar keine sein sollten…

Fotos: Kirsten Nijhof 1-4; K. Billand 5-7

Klaus Billand