Zach Granit, Generaldirektor der Israeli Opera Tel-Aviv-Yafo – 2. Mai 2019

Man braucht keinen Mut für das, was man tun muss

Zach Granit

Zach Granit

Anlässlich meines Besuches der israelischen Erstaufführung der Oper „Die Passagierin“ des polnisch-russischen Komponisten Mieczyslaw Weinberg konnte ich ein Interview mit dem Generaldirektor der Israeli Opera Tel-Aviv-Yafo, Zach Granit, machen. Er hatte mich beim Opera Europa Meeting in Zürich 2018 gefragt, ob ich nach Tel Aviv kommen würde, um „Die Passagierin“ zu besprechen und von meiner Rezension der russischen EA in Jekaterinburg 2016 Kenntnis bekommen. Granit sagte mir damals, man würde die Bregenzer Pountney-Produktion von 2010 nach Israel holen, die ich noch nicht kannte. Vor dem Interview drückte er seinen Wunsch aus, speziell über diese Oper, und wie sie in Tel Aviv zustande kam, zu sprechen.

1. Warum haben Sie die Oper „Die Passagierin“ nach Israel gebracht? War das nicht sehr mutig angesichts des Holocaust?

Ich fand das überhaupt nicht mutig. Man braucht keinen Mut für das, was man tun muss. Ja, es war ein finanzielles Risiko, denn das Stück ist nicht ganz ausverkauft. Das wäre mit einer „Tosca“ oder einer „Bohème“ leichter gewesen. Aber ich empfand es als meine Pflicht, dieses Werk nach Israel zu bringen. Unserer Tage ist es leider wichtiger denn je, eine solche Geschichte zu zeigen. Überall auf der Welt gibt es derzeit Wellen von Hass, gegen die Juden, die LGBT, Ausländer, Flüchtlinge etc. Es braucht nicht einmal einen ausgesprochen triftigen Grund um zu hassen. Es ist ein allgemeines Phänomen geworden in unseren Tagen. Die Juden waren die größten Opfer von Hass in den letzten eintausend Jahren. Deshalb haben gerade wir eine legitime Stimme, die Menschen daran zu erinnern. In einer Situation von Hass gibt es keine Sieger, nur Leid. Zu viele junge Leute haben heute vergessen oder wissen es nicht einmal genau, dass es in Deutschland ein Regime gab, das darauf abzielte, dass alle und jeder seiner Ideologie folgen.

In diesem Sinne halte ich es für die Pflicht einer kulturellen Organisation wie unserer Oper und ihrer Künstler, ein klares Zeichen zu geben, dass es größter Aufmerksamkeit bedarf sicherzustellen, dass so etwas niemals wieder passiert. Die Künstler müssen hier eine klare Stimme dazu erheben, woran sich die Leute nicht mehr erinnern, weil es schon zu weit in der Vergangenheit liegt. Insofern ist es einfach ein ganz menschliches Anliegen. Es geht mir nicht um die Nazizeit und ihre Folgen für die Juden an sich. Sie steht hier stellvertretend für das allgemeine Phänomen.

2. Wie, glauben Sie, wirkt die „Passagierin“ auf die Besucher, die mit ihren Familien selbst noch Opfer des Holocaust waren und jene, also die jüngeren, die davon nicht mehr betroffen waren?

Wir haben 1.300 Gymnasiasten im Alter von 16 bis 18 Jahren motiviert, sich die Produktion anzusehen, sie in den Schulen landesweit darauf vorbereitet und dann etwa 200 bis 250 von ihnen in jede Vorstellung eingeladen. Und sie kamen alle in die Premiere, und heute auch wieder. Ich konnte mit vielen, die sie gesehen haben, und das ist bis heute ja erst die Premiere gewesen, sprechen und stieß auf sehr positive Reaktionen. Manche sagten: „Wir sind glücklich, dass wir das gesehen haben.“ Auch ältere Besucher kamen nachher zu mir und stellten fest, wie wichtig es sei, so etwas auch in der Oper zu zeigen. Einer ließ mich wissen: „Wir sind stolz auf Sie!“ Und ich darf sagen, dass ich auch etwas stolz auf mich war.

Tel Aviv Performing Arts Center

Tel Aviv Performing Arts Center

3. Wie waren die Proben zur „Passagierin“ angesichts dieser so speziellen, menschlich berührenden Problematik?

Dazu möchte ich zwei Beispiele geben. Die Großmutter einer Sängerin trägt immer noch die KZ-Häftlingsnummer auf dem Unterarm. Die Sängerin bat darum, dieselbe Nummer für die Aufführungen auf ihrem Unterarm tragen zu können. Man kann das während der Aufführung sehen – und ich sah es in der Tat! In den Proben gaben es immer wieder emotionale Momente. Einige weinten, wenn sie von den Proben kamen. (Ich glaube, damit ist alles gesagt… Anm. d. Verf.)

4. Wie sehen Sie persönlich die Rollen von Lisa und Martha?

„They could be everyone of us. Everyone could be in such a group and be prosecuted.“ Also, diese Rollen sind uns näher als wir glauben. Jeder von uns kann unter bestimmten Bedingungen in sie hinein kommen. Auch Lisa war ein junges Mädchen als man ihr sagte, sie solle Dienst in einem KZ machen. Sie mag am Anfang überhaupt nicht gewusst haben, was das bedeutet. Sie nahm diese Tätigkeit sicher nicht auf, um gezielt Juden zu töten oder dabei mitzuhelfen. Aber auf einmal war sie eben voll dabei – und dann gab es kein Zurück mehr.

5. Haben Sie die Pountney-Produktion eins zu eins übernommen oder gab es Änderungen?

Nein, wir haben sie voll übernommen, aber ganz neue Besetzungen gebracht. Nur einige Protagonisten der Premiere hatten ihre Rollen schon gesungen. Alle israelischen Künstler mussten sie ganz neu einstudieren, also ihre Rollendebuts geben. Es wird auch in den Originalsprachen Deutsch, Polnisch, Tschechisch, Russisch, Französisch, Englisch, Jiddisch und Hebräisch gesungen.

6. Können Sie schon etwas sagen über die Pläne in näherer Zukunft?

Ja, da Sie Richard Strauß so interessiert: Im Januar 2021 wird es eine neue „Elektra“ geben und im Mai/Juni 2022 eine neue „Ariadne auf Naxos“.

Nach der Salome-Premiere im Jan. 2019

Nach der Salome-Premiere im Jan. 2019

Herr Granit, ich danke Ihnen für das aufschlussreiche Gespräch und wünsche Ihnen weiterhin viel Erfolg für Ihr Haus, das mich im Januar schon mit einer eindrucksvollen „Salome“ begeistert hat.

(Das Interview wurde auf Englisch geführt. Meine Rezensionen von „Salome“ und der „Passagierin“ sind zu lesen in jüngsten Merker-Heften).

Fotos: 1. Yossi Zwecker; 2. u. 3. K. Billand