Wrocław/Polen: Così fan tutte NI – 12. Juni 2021
Klassisch oder modern – phantasievoll gelöst!
Opera Wrocław
Auf diese Opern-Premiere hatte sich die Opera Wrocław besonders gefreut, wegen dcr Pandemie die erste seit 2019. Der nicht nur in Südamerika sondern auch interkontinental aktive brasilianische Regisseur André Heller-Lopes kam hierzu in das Land seines Großvaters zurück. Abgesehen von seinen regelmäßigen Arbeiten in Brasilien hat der Regisseur schon in Argentinien, Uruguay, Deutschland, Großbritannien, Portugal, Polen, Österreich, Malaysia und den USA inszeniert. Er erhielt den Britten 100 Award, war Finalist der besten Opernproduktion der 2014 Opera Awards und dreimal Träger des Carlos Gomez Preises 2009, 2010 und 2011. Heller-Lopes leitete mehrmals die Oper von Rio den Janeiro und baute unter anderem das Jugendprogramm der Oper von Lissabon auf. Seine Opernregie umfasst die Klassik wie die Romantik, den Verismo und die Moderne.
Opera Wrocław Saal
Einige seiner Arbeiten in Brasilien konnte ich schon sehen und rezensieren. Besonders gefiel mir seine „Tosca“ am Landestheater Salzburg im Haus für Mozart unter der musikalischen Leitung von Leo Hussein im Jahre 2010. In São Paulo hat er sich Heller-Lopes auch durch eine Produktion von Wagners „Ring des Nibelungen“ hervorgetan. Stets zeichnen sich die Produktionen dieses außerordentlich begabten und fantasievollen Opern-Regisseurs durch eine aus dem Werk und seiner Aussage heraus entwickelten Ästhetik aus, wobei immer wieder ebenso interessante wie sinnvolle neue Regieeinfälle zu beobachten sind. Hinzu kommt stets ein guter Geschmack in der Abstimmung der Bühnenbilder und Kostüme bei sorgsamer und bühnenwirksamer Nutzung der Farbpalette.
In Wrocław inszenierte er nun „Così fan tutte“ auf eine Weise, die auch den jungen Sängern des Young Opera Project des Hauses zu kompletten Aufführungen verhalf und ihnen damit die Gelegenheit gab, sich vor großem Publikum vorzustellen. Sie durften jede zweite Reprise spielen.
Und wie machte Heller-Lopes das?! Er ließ von Sofia di Nunzio zwei Kostümsätze erstellen, einen für eine klassische Version in Barock-Ästhetik und ein zweites modernes oder zeitgenössisches Outfit. Zur Ouvertüre wird von Dorabella, Fiordiligi und Despina eine Münze geworfen und so entschieden, welche Fassung am Abend gespielt wird – ein zusätzlicher Spannungskick! Dann zieht man sich die entsprechenden Roben an. Bei der zeitgenössischen Version kommen freilich auch beduinische Kostüme und Burkas vor, während Don Alfonso als Karl Lagerfeld auftritt und der Modeberater der Damen sein könnte.
Entscheidender als die Kostüme selbst sind dem Regisseur aber die Fragen: Was ist eine moderne Inszenierung? Sind es lediglich die Kostüme und das Bühnenbild, oder ist die Modernität nicht versteckt in den Beziehungen zwischen den Charakteren? Inwieweit hat sich die Menschheit über die Jahrhunderte verändert? Antworten darauf hat er subtil in die beiden Versionen des Stücks eingearbeitet. Während in der klassischen Version die Bühnenbilder weiß und die Kostüme in kräftigen Farben und fast stereotyp gehalten sind, erscheinen sie in der modernen Version schwarz oder weiß und die Bühnenbilder farbenfroh. Und eine großartige dramaturgische Idee: In der modernen Versionen bleibt Fiordiligi tatsächlich bei Ferrando und Dorabella bei Guglielmo, während in der klassischen Version die ursprünglichen Paare wieder zusammenkommen…
Am 12. Juni fiel das Los auf die klassische Version. Das durch die Drehbühne stets szenengerecht variierende Bühnenbild von Renato Theobaldo schafft eine lebhafte Atmosphäre im perfekt abgestimmten Lichtdesign von Gonzalo Córdova. Die lebhafte und dramaturgisch stets überzeugende Personenregie von Heller-Lopes ist bestens auf die jeweilige Optik ausgerichtet. Sonia Warzyńska-Dettlaff singt und spielt eine glänzende Fiordiligi, und Elwira Janasik meistert die Dorabella mit herrlichem Mozart-Mezzo. Pawel Trojak ist ein sehr guter Guglielmo und Adrian Domarecki ein Ferrando mit einem noch etwas zu kleinen Tenor. Zu diesen Gästen kamen noch zwei Ensemble-Mitglieder: Maria Rozynek-Banaszak als erstklassige Despina mit großer Klangschönheit und darstellerischer Spritzigkeit sowie Tomasz Rudnicki als klangvoller und souveräner Don Alfonso. Der Chor der Wrocław Opera singt stimmstark, und der gerade aus dem finalen Examen gekommene Dirigent Oskar Kucharski hält mit seinem engagierten Debut am Pult des Orchesters der Wrocław Opera die Spannung ständig aufrecht.
Diese „Così“ hat gezeigt, was Internationalität in der Opernregie bei Würdigung des Werkes und seiner Grundaussagen bewirken kann, wenn die Opern-Kompagnie ganz neuen Ideen gegenüber aufgeschlossen ist wie die Opera Wrocław. Mit der Direktorin Halina Oldakowska und dem Künstlerischen Direktor Mariusz Kwiecien wird sie ohnehin von einem jungen und dynamischen Team geleitet. Hier ist in Zukunft noch viel Interessantes zu erwarten.
Fotos: J.K. Żurek klassische Version 3-4/ Maria Niedziałkowska moderne Version 5-7; K. Billand 1-2
Klaus Billand