Brasilien: Recife und Riberão Preto: Meisterklassen Gesang - 25.09.-4.10. und 14.-19.10.2018

Meisterklasse im Theater Alvaro de Oliveira

Meisterklasse im Theater Alvaro de Oliveira

Nach der ersten Reise nach Recife im nordöstlichen Bundesstaat Pernambuco im Januar/Februar diesen Jahres (Merker 04/2018) mit dem Ziel, in Gesprächen mit den drei Musikschulen der Stadt die Möglichkeiten einer Verbesserung des klassischen Musikangebots zu eruieren und dazu entsprechende Vorschläge zu machen, reiste ich Ende September bis Ende Oktober wieder nach Brasilien, diesmal aber mit einem anderen Schwerpunkt. Da die Musikschulen ihren starken Wunsch zum Ausdruck gebracht hatten, dass u.a. Meisterklassen in Gesang für ihr Leistungsangebot wünschenswert wären, sprach ich den Dirigenten, Organisten und Klavierbegleiter Radu Pantea aus Luxemburg an, diesmal mitzukommen und solche Meisterklassen nicht nur in Recife, sondern auch in Riberão Preto im Hinterland des Bundesstaates São Paulo, zu halten. Ich hatte ihn als äußerst kompetenten Begleiter beim Gesangswettbewerb „Competizione dell’Opera“ 2014 in Tashkent/Usbekistan kennen gelernt. Radu ist der Sohn des bekannten rumänischen Baritons Ionel Pantea, der sich insbesondere im Mozartfach einen Namen machte.

Vor dem Konzert am HCP; v.r.n.l. Dr. Marcelo Goncalves de Souza, Radu Pantea

Vor dem Konzert am HCP; v.r.n.l. Dr. Marcelo Goncalves de Souza, Radu Pantea

Da die Musikschulen ihren starken Wunsch zum Ausdruck gebracht hatten, dass u.a. Meisterklassen in Gesang für ihr Leistungsangebot wünschenswert wären, sprach ich den Dirigenten, Organisten und Klavierbegleiter Radu Pantea aus Luxemburg an, diesmal mitzukommen und solche Meisterklassen nicht nur in Recife, sondern auch in Riberão Preto im Hinterland des Bundesstaates São Paulo, zu halten. Ich hatte ihn als äußerst kompetenten Begleiter beim Gesangswettbewerb „Competizione dell’Opera“ 2014 in Tashkent/Usbekistan kennen gelernt. Radu ist der Sohn des bekannten rumänischen Baritons Ionel Pantea, der sich insbesondere im Mozartfach einen Namen machte.

Konzert am HCP

Konzert am HCP

Den Anstoß zu Meisterklassen auch in Riberão Preto gab mein ehemaliger brasilianischer Arbeitskollege Sérgio Miranda da Cruz, der dort aufgewachsen war und in Gesprächen mit der Fakultät der Universität von São Paulo, Campus Riberão Preto, auf entsprechendes Interesse stieß. Die direkte künstlerische Arbeit mit den Gesangsstudenten durch die Meisterklassen würde auch weitere Erkenntnisse hinsichtlich der Art und des Ausmaßes der Verbesserung des klassischen Curriculums der Musikschulen geben. In Recife erhielten wir wieder die umfangreiche Unterstützung des Rechtsanwalts und Sponsors der Musikschulen ETECM und CEMO (Escola Técnica de Criatividade Musical, Centro de Educação Musical de Olinda) Tiago Carneiro Lima, dem besonders an der Intensivierung des klassischen Musiklebens in Recife gelegen ist. Dazu plant er ein längerfristiges Projekt.

Ankündigungsplakat Meisterklassen

Ankündigungsplakat Meisterklassen

Obwohl in der Zeit unseres Aufenthalts in Recife wichtige Prüfungen stattfanden, waren die Sänger und Pianisten stark an den angebotenen Meisterklassen interessiert, wofür Lima Carneiro im Übrigen ein Theater angemietet hatte, das Teatro Valdemar de Oliveira. Vier Pianisten, 16 Gesangsstudenten und drei Gesanglehrerinnen machten vom Angebot Gebrauch und wurden von Pantea in der Interpretation der von ihnen einstudierten Stücke im Hinblick auf Sprache und musikalische Gestaltung in mehreren halbstündigen aulas unterwiesen.

Einladung zum Schlusskonzert

Einladung zum Schlusskonzert

Die Meisterklassen wurden mit einem beeindruckenden Abschlusskonzert in der barocken Basilika Madre de Deus im Zentrum von Reife abgeschlossen, zu dem über 120 Besucher kamen und den jungen Sängern begeisterten Applaus spendeten. Neben Barock-Arien von Händel und Bach wurden vor allem Opernarien und -duette sowie Ensembles von Mozart, Verdi, Puccini, Bizet und Offenbach, aber auch Lieder von Schubert, Gounod, César Franck, Reynaldo Hahn und Richard Strauss gesungen. Als Zugabe sangen alle den Gefangenenchor aus „Nabucco“, der nicht einmal einstudiert worden war – ein großer Erfolg! Zuvor hatte Radu Pantea, der das Konzert am Flügel begleitete, auf der Empore der Basilika eine Merklin-Orgel um das Jahr 1860 entdeckt, die über 10 Jahre lang nicht mehr gespielt worden war. Er stimmte sie neu und gab zu Beginn des Konzerts Stücke von Bach und Händel sowie Giordani, mit der erst 19jährigen Sopranistin Yanne Cordeiro, der charismatischen Vanessa de Melo und den strahlenden Barock-Bariton Matheus Alvarenga.

Basilika Madre de Deus

Basilika Madre de Deus

Insbesondere die am von Roseane Hazin geleiteten Conservatório Pernambucano de Música-CPM beschäftigte Gesangslehrerin Rosemary Carlos war mit den meisten ihrer Studenten vertreten. Gesanglich ragten bei den Damen besonders heraus: Elizete Félix, Gesangslehrerin mit dramatischem Sopran; Vanessa de Melo, kraftvoller Koloratursopran; Gleyce Melo mit exzellentem Spinto Sopran; Giovana Restrepo mit technisch perfekt geführtem Koloratursopran und Jessica Soares mit einem klangvollen Mezzo. Auch Dayanne Torres ist mit einem voluminösen dramatischen Sopran – trotz ihres noch sehr jungen Alters – hervorzuheben. Unter den Männern beeindruckten besonders Elias Marques und Bruno José als sehr gute lyrische Tenöre sowie der exzellente Bass Fernando Almeida. Die Sängerin und Gesangslehrerin Amarílis de Rebuá aus João Pessoa im Bundesstaat Paraíba wirkte bei einigen Meisterklassen mit und gab wertvolle Ratschläge.

Idem

Idem

Auf Anregung des Chefonkologen des Krebskrankenhauses von Pernambuco (Hospital de Cancer de Pernambuco – HCP), Dr. Marcelo Gonçalves de Sousa, fand mit den Gesangsstudenten dort ein weiteres Konzert statt, und zwar im Patio des alten Krankenhauses unter freiem Himmel bei herrlichem Sonnenschein – das erste seiner Art! Es war menschlich eine ganz starke Erfahrung, zumal einige der Patienten mit großer Rührung und gar Tränen in den Augen das Konzert verfolgten.

Radu Pantea an der Orgel in Recife

Radu Pantea an der Orgel in Recife

Radu Pantea saß am Klavier, und ein Stück wurde auch von dem talentierten jungen pernambucanischen Pianisten Luis Felipe Oliveira dargebracht. Er hatte im Übrigen maßgeblich bei der Vorbereitung unserer Mission gewirkt, unter anderem auch die ganze Logistik inkl. der Anmietung der Klaviere und des Theaters Teatro Valdemar de Oliveira bewerkstelligt. Das Konzert am HCP zeigte klar auf, dass man klassische Musik auch bestens zur Therapie von schwerwiegend erkrankten Patienten einsetzen kann. Man will solche Konzerte in diesem Sinne am Krebs-Krankenhaus fortsetzen. Auch der von Maestro Jadson Oliveira geleitete Madrigal-Chor Lindbergh Pires von Recife, dessen Konzert zum 75jährigen Bestand der Katholischen Universität von Pernambuco wir im Teatro Santa Isabel erleben konnten, ist auf diesem philanthropischen Gebiet aktiv und will das HCP nun in sein Programm einbeziehen.

Riberao Preto: Petite Messe solenelle

Riberao Preto: Petite Messe solenelle

Die Erfahrung dieser Woche mit den Gesangsstudenten in Recife zeigte, dass Investitionen in die Musikschulen des Nordostens Brasiliens nicht ausreichen, wenn nicht auch die künstlerische Ausbildung der Musiker in Form von regelmäßigen Proben erfolgt. Dabei können Meisterklassen oder gar die Vorbereitung einer Oper eine bedeutende, auch motivationale Rolle spielen. So ist geplant, dass wir im März/April 2019 wieder kommen, um „Le nozze di Figaro“ vom W. A. Mozart mit den Studenten szenisch aufzuführen. Sie arbeiten bereits seit einiger Zeit daran. Die Aufführung ist im Teatro Valdemar de Oliveira in Recife mit Orchester unter der Leitung von Radu Pantea geplant.

Pianistin, Sänger und Pianist/Organist vor dem Konzert

Pianistin, Sänger und Pianist/Organist vor dem Konzert

Mit einem Zwischenstopp beim luxemburgischen Botschafter Carlo Krieger in Brasília, D.F., der Hauptstadt Brasiliens, der großes Interesse für das Projekt bekundete, ging die Reise weiter nach Riberão Preto. Der Besuch an der Fakultät für Musik wurde durch deren Leiter Rubens Russomanno Ricciardi angebahnt. Während der Meisterklassen dort mit etwa 15 Gesangsstudenten wurden wir aber ausschließlich von der Gesangslehrerin Yuka Almeida betreut, die sich nach all ihren Kräften um das Gelingen der Unterrichtsstunden und des Abschlusskonzertes kümmerte, für das Radu Pantea die „Petite Messe solenelle“ vom G. Rossini vorbereitete.

Radu Pantea dirigiert die Gesangsstudenten der Fakultät für Musik der Universität Riberao Preto

Radu Pantea dirigiert die Gesangsstudenten der Fakultät für Musik der Universität Riberao Preto

Obwohl die Studenten das Stück teils noch nie gehört hatten, waren sie in der Lage, nach den individuellen Meisterklassen und den speziellen Proben dazu, die „Petite Messe Solennelle“, die alles andere als petite (klein), sondern ein hochkomplexes 90 Minuten langes Stück ist, in nur fünf Tagen einzustudieren. Das finale Konzert am 19. Oktober wurde so zu einem großen Erfolg für die Studenten und Radu Pantea, sowie den dänischen Prof. Bo Lyngby Jaeger, der das 2. Klavier übernommen hatte. Marcos Vinícius Pessoa saß an der Orgel. Der Chor wurde auch von den Sängern gestellt. Unter den Sängerinnen ragten gesanglich heraus: Janaina Lemos mit nur 19 Jahren als heller lyrischer Sopran und Lilian Giovanini mit einem dramatischen virtuosen, auch barocken Spinto-Sopran (sie hat momentan ein Engagement in Leipzig). Bei den Männern beeindruckten gesanglich besonders: Rafael Stein als junger Tenor; Luis Felipe Sousa als für ein Alter mit 20 außergewöhnlicher Bass-Bariton. Als Sensation könnte man Felipe Rissatti mit seinem glänzenden Countertenor bezeichnen. Die Sänger wurden am 1. Klavier von der hervorragenden Pianistin und Cembalistin Giovana Ceranto begleitet.

Die Soprangruppe

Die Soprangruppe

Bei entsprechender Weiterentwicklung und Unterstützung könnten sich hier einige internationale Karrieren entwickeln. Etwa 50 Personen kamen zu diesem Konzert. Bei entsprechender Vorankündigung am Campus der Universität von São Paulo in Riberão Preto, im Übrigen wunderschön in einer tropisch bewachsenen und denkmalgeschützten ehemaligen Kaffee-Fazenda gelegen, hätte das Publikum sicher zahlreicher sein können. Das trifft auch für den Minicurso de Ópera zu, ein Kurz-Kurs zur Oper, den ich wie schon in Recife im Februar, nun auch hier hielt. Er umfasste die gesamte Geschichte der Oper mit all ihren Untergattungen und zehn szenischen Beispielen anhand von YouTube cuts.

Radu Pantea beim Prélude Religieux (pendant L'Offertoire)

Radu Pantea beim Prélude Religieux (pendant L'Offertoire)

Auf dem Rückweg über Rio de Janeiro besuchten wir schließlich noch Myrian Dauelsberg, die hier seit langer Zeit Dell'Arte, eine der bedeutendsten Musikagenturen Brasiliens, führt. Wenn es in Recife und Riberão Preto weiter geht, ist mit ihr auch eine Zusammenarbeit angedacht. Sie interessierte sich sehr für das Thema und die jungen Künstler.

Radu Pantea und Klaus Billand

Radu Pantea und Klaus Billand

Unabhängig von institutionellen Aspekten wurde auf dieser Reise wieder klar, wie interessiert und engagiert die jungen Studenten für ihre Liebe zu Gesang und Musik LEBEN. Leider ist der Markt für Opernsänger in Brasilien allzu begrenzt und im Prinzip nur auf den Südosten und Süden des riesigen Landes beschränkt. Vielleicht gelingt es aber dem einen oder der anderen, den Sprung nach Europa oder in die USA zu schaffen. Die Qualität und Reife dazu hätten sie eines Tages sicher! Es wäre zu hoffen, dass der Sektor der klassischen Musik im Lande unter dem neuen Präsidenten Jair Bolsonaro wieder mehr Mittel bekommt, nicht zuletzt unter einer besseren Anwendung des sog. Lei Rouanet, das schon seit 1992 besteht. Dass eines der schönsten und sogar größten Opernhäuser der Welt, das prachtvolle Theatro Municipal do Rio de Janeiro, dem Palais Grand Garnier – also der Grand Opéra von Paris nachempfunden – seit einiger Zeit wieder einmal wegen Geldmangels geschlossen ist, scheint für einen europäischen Opernliebhaber kaum fassbar. Es hat mit etwa 2.300 weit mehr Sitzplätze als die Wiener Staatsoper und ein Keller-Cafe, welches das Alte Ägypten auferstehen und „Aida“ ganz nahe kommen lässt… Jedes europäische Opernhaus würde es darum beneiden!

Fotos: Klaus Billand

Klaus Billand