München/Prinzregententheater: Semele Neuinszenierung – 18. Juli 2023
Händel-Barock in frischem Antlitz
Semele mit der ganzen Gesellschaft
Im Rahmen der Münchner Opernfestspiele 2023 brachte das Nationaltheater München eine Neuinszenierung der Oper „Semele“ von Georg Friedrich Händel im Prinzregententheater München heraus und erreichte mit der Regie von Claus Guth unter der musikalischen Leitung vom Gianluca Capuano, der das Bayerische Staatsorchester und den Chor der Bayerischen Staatsoper dirigierte, einen großen Erfolg. Das bewies nicht zuletzt, dass das Haus bei allen Aufführungen dieser Koproduktion mit der Metropolitan Opera New York restlos ausverkauft war.
Händel hatte die Oper mit einem Stoff aus der griechischen Sagenwelt eigentlich als Oratorium mit dem Libretto von William Congreve auf der Basis des dritten Buches der „Metamorphosen“ von Ovid in recht kurzer Zeit 1743 komponiert. Sie wurde 1744 in London uraufgeführt. Semele soll eigentlich den Königssohn von Böotien, Athamas, heiraten, ist als Sterbliche aber dem Gott Jupiter verfallen, der ihr als Vogel erschienen ist und der sie in seinen Palast entführt, wo er ihr, von einem Drachen bewacht, ein lustvolles Leben mit Cupido, Pasithea, Adonis und Pan bereitet. Das passt der Gattin Jupiters, Juno, natürlich nicht. Sie erscheint Semele in Person ihrer Schwester Ino und rät ihr, Jupiter zu überreden, sich mit seiner wahren Authentizität zu zeigen.
Die Adler-Assoziation
Auch noch so viele Versuche Jupiters prallen an ihrem Wunsche ab, ihn so zu sehen, wie er ist – ein Topos, den Richard Wagner fast genauso in seinem „Lohengrin“ etwas über 100 Jahre später zwischen Elsa und dem Schwanenritter thematisierte. Beim Angesicht des wahren Jupiter verbrennt Semele. Ihr Wunsch, als Sterbliche Göttlichkeit zu erlangen, bleibt unerfüllt. Aber nach der Verheißung durch Apollo gebiert sie den unsterblichen Sohn Dionysos. Ino und Athamas gehen sodann die ursprünglich für sie vorgesehene Ehe ein.
Claus Guth geht hier einmal von seinem allzu oft stereotypisch wirkenden Konzept der Verdoppelung und Überpsychologisierung der Personen ab. Er erzählt das Stück unglaublich heiter und abwechslungsreich, jede barocke Schwere der ja relativ langen Handlung vermeidend, in einer eindrucksvollen Schwarz-Weiß-Ästhetik des Bühnenbilds von Michael Levine. Dazu passen die Kostüme unserer Tage von Gesine Völlm ebenso perfekt wie das stets situationsgerecht abgestimmte Licht von Michael Bauer und einige unaufdringliche und die Welt Jupiters als schwarzem Adler kontrastiv zeigenden Videos von rocafilm.
Brenda Rae
Über den ganzen Abend hinweg zeigt Guth nachvollziehbar, wie Semele, physisch zwar stets anwesend, psychisch den Weg in die Realität aber nicht zurückfindet. Sie hatte sich von der mit plakativer Optik, vor allem gleich zu Beginn in der von Ramses Sigl auch exzellent choreografierten Hochzeits-Szene mit einer übertrieben jubelnden, äußerst bourgeoisen jungen Hochzeitsgesellschaft vor überbordenden rot-rosa Rosen-Gestecken mit den Riesen-Lettern LOVE einfach zu weit entfernt. Ihre starren Erwartungen an sich als Individuum deckten sich nicht genug mit ihrem eigenen Willen. Guth sieht in dem Stück deshalb auch die möglicherweise einengende Macht des bürgerlichen Korsetts.
Gegen diese vordergründige Ästhetik des jungen Hochzeitsglücks kontrastiert der Regisseur die Szenen immer wieder mit schwarzen Adler-Assoziationen bis hin zu Hunderten von schwarzen Federn, die am Ende vom Bühnenplafond auf Semele fallen. Verzweifelt und entgeistert stochert sie in ihnen herum, um noch ein Teil von Jupiter zu finden, der nun für sie für immer unerreichbar geworden ist.
Brenda Rae gestaltet die Semele mit enormer Authentizität in den vielen emotional wechselnden Ausdrucksformen der zweigesichtigen Partie. Ihren kraftvollen und ausdrucksstarken Sopran setzt sie dabei bis zum Grenzbereich ein und hat auch einige vokal beängstigende Schreie zu vollziehen. Schon auf der Hochzeitsfeier zu Beginn lässt sie in einem sublimen Schauspiel ihre ganze Abneigung gegen Athamas und ihre geheime Liebe zu Jupiter erkennen. Michel Spyres singt mit seinem ebenso kraftvollen Tenor einen Jupiter, der das Ganze eher auf die leichtere Schulter nimmt und immer wieder in Schwarz als Adler-Assoziation auftritt. Ein besonderes Erlebnis ist Jakub Józef Orliński als Athamas mit einen prachtvollen Countertenor und facetenreichen Spiel.
Schlussapplaus der Protagonisten
Emily d’Angelo vermag als Juno mit einem herrlichen und perfekt geführten Mezzosopran zu beeindrucken, und Nadezhda Karyazina singt die Ino ebenfalls mit einem guten Mezzo. Jessica Niles ist eine umtriebige Iris. Witzige Züge trägt Philippe Sly als leidender Cadmus und Traumgott Somnus, der nur durch das Versprechen lustvoller Erwartungen im Hinblick auf Pasithea in Gang zu setzen ist – eine Prise Humor, die hier sehr gut passt. Milan Siljanov gibt den Hohepriester, und Jonas Hacker verkündet als Apollo die Geburt des Dionysos.
Der Chor von LauschWerk singt und agiert festspielreif. Denn Gianluca Capuano versteht es, dieses nicht unbedingt dem Hauptwerken Händels zuzuordnende Werk in gutem Einklang mit dem Bühnengeschehen locker und kurzweilig zu musizieren, mit viel Gefühl für die richtigen Tempi und passenden Rhythmen sowie für den Farbenreichtum der Partitur des großen Komponisten. Festspielreif war also diese Produktion, auf die sich die Met nun freuen kann, auch wenn sie bei ihr nicht als Festspiel kommen wird.
Fotos: Monika Rittershaus 1-2; K. Billand 3-4
Klaus Billand