Zur Zweitklassigkeit des deutschen Fußballs und warum eine Verteidigung des WM-Titers (nahezu) unmöglich ist – 14. März 2019

Nun ist es also soweit! Gestern Abend wurde die zumindest vorläufige europäische Zweitklassigkeit des deutschen Fußballs mit dem Ausscheiden aller drei Vereine aus der Championsleague auch formal bestätigt. Zum ersten Mal seit 13 Jahren (!) steht keine deutsche Mannschaft im Viertelfinale der Championsleague, und zum ersten Mal seit acht Jahren steht der einzige Verein, der aufgrund seiner finanziellen Potenz sowie guter wirtschaftlicher Führung, und leider weitgehend deshalb, noch in der ersten Liga der europäischen Mannschaften mitspielen konnte, nicht im Achtelfinale dieses Wettbewerbs. Diese Tatsachen reihen sich nachvollziehbar ein in den jüngeren Weg der deutschen Nationalmannschaft, einmal als „Die Mannschaft“ tituliert, bis Entwicklungen vor der WM in Russland diesem Anspruch ein Ende setzten. Sie können aber für das Scheitern der Nationalmannschaft bei der WM 2018 keineswegs verantwortlich gemacht werden. Man hat sich m.E. auch zu sehr im sensationellen Abschneiden bei der WM-Qualifikation gesonnt, obwohl jedem Wissenden hätte klar sein müssen, dass die Gruppengegner nicht vom Format ernsthafter WM-Gegner waren und man in den zwei Jahren seit der EM kein einziges Pflichtspiel zu absolvieren hatte, erst recht nicht gegen einen ehemaligen Weltmeister. Die Deutsche Bundesliga ist einfach kein Maßstab mehr gegen die ersten Ligen Spaniens, Englands und Frankreichs – schon seit längerem nicht.

Es kommt nicht von ungefähr, dass Bundestrainer Joachim Löw ausgerechnet mit einer total neuen und natürlich jungen sowie für den Erfolg nur so brennenden Mannschaft den Confed-Cup 2017 gewann, die „Mannschaft“ mit den Nationalspielern von 2014 aber nacheinander nicht nur die WM 2018 als letzter einer der Vorgruppen abschloss, ein seit Fußballgedenken nie dagewesenes Ereignis, sondern auch noch aus dem Nations-Cup abstieg, so redundant dieser Wettbewerb auch erscheinen mag.

Der deutsche Fußball steht also nun am Nullpunkt, es sein denn, Eintracht Frankfurt holt heute Abend wenigstens noch einige Kohlen aus dem Feuer, wenngleich diese die deutsche Fußballseele kaum längerfristig erwärmen können.

Und das bringt mich zu der seit Tagen in der Presse kursierenden Debatte um die vermeintlich ungerechte „Ausmusterung“ der Weltmeister Thomas Müller, Jérome Boateng und Mats Hummels aus der Nationalmannschaft, unmittelbar vor Beginn der Qualifikation zur EM 2020 dieser Tage, und deren Entrüstung darüber. Diese Ausmusterung war längst überfällig.

Wenn man alle Fußballweltmeisterschaften seit Gründung des Wettbewerbs 1934 durchgeht, sieht man, das nur zweimal ein Land den Titel verteidigen konnte, 1938 Italien und 1962 Brasilien. Im Falle von Italien, es liegt in der Tat recht weit zurück und ist auch „eine andere Zeit“, habe ich keine Erklärung. Aber im Falle von Brasilien wird ganz sicher das 1958 in Schweden mit 18 Jahren noch blutjunge Talent Pelé und seine Blüte vier Jahre später in Chile sowie darüber hinaus zur Verteidigung des Titels ausschlaggebend gewesen sein. Ein Ausnahmefall! In allen anderen Fällen konnte der WM-Titel nicht verteidigt werden. Ja, schlimmer noch, die Weltmeister wurden bisweilen in der Vorrunde beschämend abgefertigt, zumindest in den letzten Jahren. Immerhin gelang Deutschland, Frankeich und Spanien der Gewinn der WM nach der EM, Spanien sogar – eine Ausnahme – nach der WM auch nochmal der Gewinn der EM. Aber allen gelang nicht mehr die Verteidigung ihres WM-Titels. Der Abstand zwischen WM und EM ist bekanntermaßen nur zwei Jahre. Bei der WM ist er aber vier Jahre.

Und somit wage ich hiermit die Hypothese aufzustellen, dass es heutzutage nahezu unmöglich ist, zweimal hintereinander Weltmeister zu werden, aus folgenden Gründen:

1. Die Periode von vier Jahren ist in Hinblick auf die für die WM-Titelverteidigung erforderliche Formerhaltung der Weltmeister, zumal auch aufgrund der heutzutage an sie gestellten Anforderungen (Englische Wochen, oft drei parallele Wettbewerbe und mehr, etc.), offenbar zu lang, abgesehen vom normalen „Alterungsprozess“.

2. Die Spieler, die bereits Weltmeister vor vier Jahren wurden, haben nicht mehr den unbedingten Willen, oder besser den „totalen Drive“, Weltmeister zu werden, da sie es ja schon sind. Eine gewisse Sattheit scheint unvermeidlich, selbst wenn man dagegen kämpft. Im Falle einer Niederlage ist man ja dennoch schon Weltmeister. Es muss nicht unbedingt nochmal sein. Zu 1. und 2. könnte man in gewisser Weise auch sagen: Die Nationalmannschaft ist keine Walhalla für weiterhin in ihr aktiv bleiben wollende ehemalige Weltmeister.

3. Das Zusammenspiel der notwendigerweise vom Bundestrainer in die Mannschaft hinein genommenen jungen Spieler, die natürlich für den Titel als ihren ersten WM-Titel brennen, und den „alten“ Weltmeistern kann aus bestimmten Gründen mangeln:

a) Den „Alten“ ist das Zusammenspiel unter sich wichtiger als mit den „Jungen“.
b) Die „Alten“ lassen die „Jungen“ gar nicht so ins Spiel kommen, da sie sich für etwas Besseres halten, es fehlt ihnen an Selbstlosigkeit und Mannschaftsdienlichkeit, unabhängig von der Qualität des Mitspielers, ob Weltmeister oder Neuling. Eine etwas gewagte Annahme, die aber selbst ungewollt in der Psyche mancher Spieler ihre Bestätigung finden kann. Es könnte sogar so etwas wie ein negatives Konkurrenzdenken entstehen, wenn sich die „Jungen“ als viel schneller erweisen als die Weltmeister. Und auf Schnelligkeit kommt es im modernen Fußball besonders an.
c) Als Ergebnis mangelt es der Mannschaft aus Weltmeistern und „Jungen“ an spielerischer Homogenität und damit an Durchschlagskraft.

4. Aber nun kommt ein ganz entscheidender Faktor, warum eine Verteidigung des WM-Titels, de facto, unmöglich erscheint:

a) Eigentlich müsste der Bundestrainer im Wissen darum, dass die Weltmeister in vier Jahren für eine Titelverteidigung zu alt sein werden und angesichts der Faktoren unter 3 a) – c) nach der WM eine komplett neue Mannschaft aus jungen Spielern bilden, allenfalls noch den Torhüter behalten. Er könnte zwar mit den meisten der Weltmeister (denn einige treten nach der WM immer zurück, wie z.B. drei Spieler 2014) und einigen Neuzugängen noch die EM angehen und evtl. auch gewinnen, ziemlich sicher aber nicht die WM nochmals zwei Jahre danach, wie die Geschichte seit 1962 zeigt.

b) Und für einen Bundestrainer wie Joachim Löw, der bereits einmal die WM gewonnen hat, kann nur wieder ein Gewinn der WM als ultimatives Ziel gelten, wenngleich ein Gewinn der EM 2020 natürlich wünschenswert erscheint. Das Ziel für ihn kann aber nur eine Wiederholung des WM-Titels sein, und damit wird für ihn eine umgehende Neuformierung der Nationalmannschaft mit Spielern, die bis 2022 ihre volle Reife erlangen werden, unumgänglich. M.E. hätte er das schon nach der WM 2014 machen sollen. Aber das wäre aus systemischen Gründen nicht gegangen.

c) Diese systemischen Gründe liegen darin, dass ein Bundestrainer, der nach einer gewonnenen WM oder zumindest unmittelbar nach der darauf folgenden EM weitestgehend auf die Weltmeister verzichtet und für die nächste WM einen neuen Spielerstamm aufbaut, sich vor der deutschen Öffentlichkeit, dem DFB und wahrscheinlich auch den Medien nicht im Amt halten könnte. Man denke nur an den Fall Götze, Weltmeister und Schütze des entscheidenden Tores in Rio, der zur Zeit der Kaderbenennung nicht in Form war und den Löw also nicht für die WM in Russland nominierte. Ein Aufschrei ging durch die Presse! Was wäre gewesen, hätte er damals gleich Spieler wie Müller, Boateng, Hummels und andere Weltmeister ebenfalls nicht benannt – schlicht ein Ding der Unmöglichkeit! Hätte er sich damit durchgesetzt und mehr Spieler aus der Confed-Cup-Mannschaft mitgenommen, wäre die WM-Pleite 2018 vermutlich verhindert worden, siehe 3. a) – c). Gleichzeitig hätte er Kopf und Kragen riskiert, wenn diese WM trotzdem so klanglos verloren gegangen wäre, wie es dann passierte. Aber ein Rückzug vom Amt des Bundestrainers wäre dann ohnehin angezeigt gewesen.

FAZIT:
Aus oben genannten Gründen, die dem Bundestrainer einen unmittelbaren, umfänglichen und erforderlichen Aufbau einer neuen Mannschaft nach gewonnener WM und spätestens nach der darauf folgenden EM unmöglich machen, ist eine Verteidigung eines WM-Titels nahezu unmöglich.

Und nun noch zu den drei Spielern, von denen dieser Tage so viel die Rede ist. Niemand macht ihnen ihre großen Verdienste um die WM 2014 streitig. Aber wo waren sie, als der Confed-Cup gewonnen, die WM 2018 kläglich verloren wurde und man aus der Nations-League abstieg?! Bis auf den Confed-Cup waren sie meist dabei…

Es ist vielleicht kein Zufall, dass gerade jener Spieler, der das Hoffnungstor bei der WM 2018 in Russland schoss, (noch) nicht „ausgemustert“ wurde. Es ist im Hinblick auf 2022 höchste Zeit, dass Löw die Mannschaft neu aufstellt, zumindest zu Beginn noch mit ein paar „alten“ und erfahrenen Leistungsträgern, dann aber die Verantwortung der nächsten Generation übergibt. Wenn der deutsche Fußball das nicht leisten kann, sollte er auch nicht auf den nächsten WM-Titel aus sein.

Klaus Billand