Bergamo: Herbstkonferenz „Elixir of Life“ von Opera Europa - 18. bis 21. November 202

Nicholas Payne und Anna Maria Meo bei der Eröffnung

Nicholas Payne und Anna Maria Meo bei der Eröffnung

Die erste Live-Konferenz von Opera Europa, der Dachorganisation der europäischen Opern-Kompagnien und Festivals, seit über zwei Jahren fand während der Eröffnungstage des Festival Donizetti Opera 2021 statt. Im Rahmen der Tagung mit fast 200 Teilnehmern haben die Gastgeber vier Produktionen zusammengestellt, die in zwei wunderschönen Theatern in der Ober- wie in der Unterstadt der reizvollen Stadt Bergamo gespielt wurden. Im Teatro Sociale* in der Oberstadt gab es eine Opernshow von Bottega Donizetti und Alex Esposito mit Musik von Donizetti, Offenbach, Rossini, Mozart, Boito und Berlioz. Später wurde an diesem Theater noch „Medea in Corinto“ von Giovanni Simone Mayr aufgeführt, während das vollständig renovierte und in alter Pracht erstrahlende Teatro Donizetti in der Unterstadt „L‘elisir d’amore“ von G. Donizetti und am Schlusstag der Konferenz noch „La fille du régiment“ von Donizetti zeigte. Die Rezensionen der drei Opern durch Eva Pleus finden sich im Januarheft des Neuen Merker, allerdings von späteren Aufführungen im Dezember 2021.

Bergamo, das während der Pandemie gleich zu Beginn so sehr gelitten hat, wird als starkes Symbol der Erneuerung, sowohl für seine eigene Gemeinschaft als auch für die internationale Opernwelt gesehen. Deshalb war es Opera Europa ein Herzensanliegen, wie sein Direktor Nicholas Payne in der Eröffnung betonte, die Konferenz in dieser norditalienischen Stadt abzuhalten. Das Thema der Tagung umfasste eine Neubewertung der Art und Weise, wie der Opern-Beruf gemanagt werden sollte, sowie die Verantwortung der Führung, den Beitrag der Künstler und die Frage, wie die nächste Generation von Künstlern und Managern in einem nachhaltigen Kontext gefördert werden kann. Dazu wählte eine Jury 21 junge Mitarbeiter an europäischen Opernhäusern als künftige Opernmanager aus, die am Eröffnungstag kurz vorgestellt wurden. Im Großen und Ganzen ging es um „Erneuerung und Verantwortung“ insbesondere nach der Corona-Krise, aber auch ganz allgemein für die Kunstform Oper, was schon vor der Krise opportun war.

Der Bürgermeister von Bergamo, Giorgio Mori, eröffnete im eindrucksvollen Ambiente des Auditorium Sant’Agostino, einer alten Kirche, die Konferenz und begrüßte die Wahl Italiens zur Präsidentschaft von Opera Europa. Er hob hervor, dass über 200 Mitglieder von Opera Europa hergekommen waren und drückte seine Freude darüber aus, dass man der Lage war, in diesen Tagen im Rahmen des Donizetti-Festivals 21 gleich vier neue Opernproduktionen herausbringen zu können, i.e. „C’erano una volta due bergamaschi…“, „L‘elisir d’amore, „Medea in Corinto“ und „La fille du régiment“, dazu noch im brandneu renovierten Teatro Donizetti in der Unterstadt.

Der künstlerische Direktor der Fondazione Teatro Donizetti, Francesco Micheli, ging dann im Besonderen auf die vielen Toten ein, die Bergamo gleich zu Beginn der Pandemie zu beklagen hatte. Er hob hervor, dass man zu ihren Ehren das Requiem von G. Donizetti gab und es im ganzen Land übertragen wurde. Es folgte eine nicht unbedingt dazu passende allzu fantasieverlorene Videodarstellung von science fiction in der Oper.

Die 21 Jungmanager der Oper

Die 21 Jungmanager der Oper

Die Präsidentin von Opera Europa, Anna Maria Meo, Vizepräsident Aviel Cahn und Direktor Nicholas Payne gingen sodann auf das Thema der Konferenz ein, „Renewal and Responsibility“. Nachdem Meo einige weniger prägnante Ausführungen zu ihrem Verständnis von Erneuerung und Verantwortung gemacht hatte, unterstrich Cahn die Auffassung, dass die Pandemie gezeigt habe, dass es nun schwieriger werden würde, die Häuser wieder wie gewohnt mit Publikum zu füllen. Die Leute seien nachdenklicher geworden. Somit müsse sich die Oper neue Ideen und Wege einfallen lassen, wieder interessant zu werden. Dabei spiele auch das Thema der Diversität eine Rolle, der man sich nun öffnen sollte, insbesondere was die Beteiligung von Frauen in Führungspositionen, aber auch Hierarchien, unangemessene Formen des Management, das Problem des sexual harrassment etc. angeht. Ein Otello könne heute nicht mehr schwarz sein (sagt zumindest Cahn, Anm. d. Verf.). Er erwähnt auch die cancel culture und die witch hunt. Man müsse in der Oper nun selbstkritischer werden, gewisse Gebiete durchforsten und „aufräumen“. Der Existenz der Oper sei nicht gottgegeben. Wenn man das Thema nicht angehe, könnte ein böses Erwachen die Folge sein. So müsse Opera Europa auf diesem Gebiet die leadership übernehmen. Cahn hoffe, dass am Ende der Konferenz alle gestärkt für die Kunstform Oper nach Hause gehen.

Nicholas Payne drückte sodann seine Meinung aus, dass die Oper sich wieder einmal neu erfinden müsse. Als Beispiele führt er Entwicklungen in der Geschichte der Oper als Kunstform an. Willibald Gluck war der erste Reformer im 18. Jahrhundert und machte die Oper klarer, zugänglicher, menschlich authentischer. Richard Wagner entwickelte im 19. Jahrhundert eine neue dramatische Form für die Oper im alten Stil und baute dazu noch das passende Festspielhaus. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts betätigte sich Arturo Toscanini in den 1910-20er Jahren erneuernd an der Mailänder Scala. Walter Felsenstein schuf nach dem II. Weltkrieg Neues an der Komischen Oper Berlin, und Gerard Mortier sorgte für frischen Wind am Theatre de la Monaie in Brüssel und bei den Salzburger Festspielen. Die Oper befinde sich derzeit in einem Moment der Nervosität. Umso mehr hat Opera Europa Interesse, einer neuen Generation von Opernmanagern auf den Weg zu helfen und bot ihnen in Bergamo hierzu den Besuch einen Kurses an. Sie mögen sich auch um mehr Inklusion kümmern.

Lauri Pokkinen, OMC der Helsinki Alumni, führte die 21 jungen Leute auf die Bühne, die sich mit Name und ihrer Kompagnie vorstellen durften. Man hätte sich aber gern von jedem zwei bis drei Sätze zu ihrer Vision der Oper in der Zukunft, die ja ihre sein wird, gewünscht.

Unter der Moderation von Nicholas Payne sprachen Barbara Minguetti, Artistic Programming & Special Projects Manager vom Festival Verdi, Como, und Sebastian Schwarz, General Manager & Artistic Director am Teatro Regio, Turin, über gewandelte Prioritäten für die Oper. Barbara Minguetti drückte die Meinung aus, dass viel mehr für das Interesse des Publikums getan werden müsse. 70 Prozent der Italiener gehen im Jahr zu keinem kulturellen Event, 30 Prozent zu einem bis zwei. Man müsse zurück zur Rolle und zur Arbeit der Künstler, sie wieder viel stärker in den Mittelpunkt rücken, sozusagen „back to the haart of the theatre“. Die Künstler sollten auch eine Mitsprache bei der Programmgestaltung bekommen, was sie letztlich ja umsetzten werden. Und dann solle die Oper mehr in die Gesellschaft eingebunden werden. Opera Europa könnte hier Wege aufzeigen. Sebastian Schwarz, der mit dem Teatro Regio di Torino einer der 12 italienischen Fondazione di Teatro angehört, meinte, dass es immer wieder Fehlleistungen bei der wirtschaftlichen Führung der Kompagnien gebe. Es werde zu viel Geld in den Sektor gepumpt, ohne genau zu wissen, wie effizient und effektiv es angelegt werde. Die neue Generation von Opernmanagern sollte deshalb umso mehr auch eine Art business leaders sein. Dabei sei aber keinesfalls die menschliche, also die personelle Seite zu vernachlässigen. Und man solle sich in Zukunft viel mehr um die stakeholders kümmern, also um jene Gruppen in Wirtschaft und Gesellschaft, die die Oper tragen und mitfinanzieren.

Tetaro Sociale

Tetaro Sociale

Der Aspekt, den Künstler wieder stärker in den Mittelpunkt zu rücken, fand am zweiten Tag der Konferenz gleich seine erste Ausformung. Um „Des Künstlers Stimme“ wiederzugeben, hatte man die Mezzosopranistin und Mitbegründerin der „Black Opera Alliance“, Raehann Bryce-Davis, eingeladen, die sehr emotional zum Thema einer stärkeren Inklusion farbiger Künstler in den Opernbetrieb sprach, und zwar auf allen Ebenen. Sie stellte zunächst ihren Hintergrund vor, stammt aus Jamaica, wuchs in den USA auf und kam schließlich nach Europa zu einer Tour von „Porgy and Bess“. Sie gewann einen Hilde Zadek-Gesangswettbewerb, in dessen Jury auch Christa Ludwig saß, die sie immer noch verehrt. 2020 nahm ihre Karriere Fahrt auf mit Engagements in Palermo, an der Vlanderen Opera, bis die Pandemie begann. Und dann kam die Tötung von George Floyd in den USA. Sie gründeten die „Black Opera Alliance“. Bryce-Davis erwarte nun von Opera Europa die besondere Einbeziehung Schwarzer in die Opernwelt, aber auch aller anderen Menschen im Kontext der Inklusion. Und dazu stellt sie acht konkrete Forderungen auf: 1. Höherer Anteil an schwarzen Künstlern, 2. Schwarze auch in der Administration, also im Management, 3. Höhere Beteiligung von Schwarzen am Programm und an der Setzung von Prioritäten, 4. Höherer Anteil von Schwarzen in creative teams, also bei den Regisseuren, den Kostümbildnern, Bühnenbildnern etc., 5. Training von visual artists, 6. Policy Review, also Überwachung der Einhaltung von aufgestellten Normen, 7. Eine entsprechende recruitment culture, 8. Etablierung eines offiziellen Code of Conduct. Man habe diese Forderungen schon an die meisten Opernkompagnien in den USA übermittelt und breite Zustimmung erhalten. Es herrsche in der europäischen Szene aber das Vorurteil vor, dass schwarze Sänger die Rollen nicht singen können. Und die Intendanten kennten keine schwarzen Regisseure und Sänger. Die „Opera Voices of South Afrika“ habe festgestellt, das es genug Talente gibt, nur befinden sich diese nicht im europäischen network. So schließt Bryce-Davis einen emotionalen Vortrag mit der Forderung, man solle nun beginnen mit Stipendien und dafür sorgen, dass auf allen Ebenen Schwarze integriert und überhaupt viel mehr auf Inklusion gesetzt werde. Gern hätte man einige dieser Thesen und Forderungen im Kontext der europäischen Oper mit ihr diskutiert. Aber sie wurde nach diesem Vortrag nicht mehr auf der Tagung gesehen, und eine Q&A Runde gab es nicht. Mich hätte unter anderem interessiert, warum es mir bis heute noch nicht gelungen ist, eine Oper auf dem südsaharischen Teil Afrikas (wo es abgesehen von Südafrika, die der europäischen Siedlung zuzuschreiben ist, keine gibt) zu erleben, während dies in den USA, in Südamerika, in Sibirien, in China und einigen anderen Ländern Asiens sowie in Australien ohne weiteres möglich ist. Hat die Kunstform Oper also nicht auch unübersehbar viel mit der europäischen Kultur und ihrer Ausstrahlung auf andere Kontinente zu tun?! Nicht zuletzt ist im Jahre 1597 durch das Zusammenkommen einiger beflissener Personen, der Florentiner Camerata in Florenz, mit der Absicht, das antike Drama mit Orchester, Gesang und Chor zu bereichern, die Kunstform Oper aus der Taufe gehoben worden.

Zum Thema „Challenging leaders and creating opportunities” sprach danach Fortunato Ortombina, Intendant des Teatro La Fenice, Venedig, Renata Borowska, General Manager der Oper Posen, Polen und Aviel Cahn, Generaldirektor des Grend Théâtre de Genève, Schweiz, sowie Valérie Chevalier, Direktor des Opéra Orchestre national de Montpellier, Frankreich. Fortunato Ortombina empfahl, das Publikum viel ernster zu nehmen in Bezug auf seine Wahrnehmung der künstlerischen Arbeit der Häuser. Es sei viel tiefer engagiert als man gemeinhin denke.

Renata Borowska meinte, dass für sie die Menschen das Allerwichtigste sind, und zwar aufgeteilt in drei Kategorien: 1. Die Angestellten. Sie verdienen oftmals recht wenig. Und nun sei es auch noch leichter, in der Pandemie, große Künstler zu engagieren. Man sollte aber auf ein gut abgestimmtes Ensemble achten, mit dem sich dann auch eine höhere Kreativität erzielen ließe. 2. Das Publikum. Es bestehe oft eine geringe Neigung, ins Musiktheater zu gehen. Da müsste die Oper auch eine „erzieherische“ Funktion übernehmen. Das sei sozusagen auch eine Gelegenheit, sich sein eigenes Publikum zu schaffen. Nach 10 Jahren Arbeit in dieser Hinsicht hat das in Posen funktioniert. 3. Beziehungen. Man müsse eine kleine „society“ um die Oper herum gründen, also ein aktives Umfeld. Sie werden öfters zu kleinen regionalen Kulturzentren eingeladen. Die erste Oper des großen polnischen Komponisten Moniuszko wurde von Graham Vick inszeniert, der bekanntlich viele, auch junge Leute involvierte. Das könnte ein Weg sein.

Teatro Donizetti in neuem Glanz

Teatro Donizetti in neuem Glanz

Valérie Chevalier berichtete von Montpellier, dass man das ganze Verhalten geändert habe. Da zudem viele langfristige Künstler das Haus verließen, konnte man ein neues Konzept an corporate social responsibiliy aufbauen, was sich als sehr hilfreich erwies. Sie machten diverse workshops mit allen möglichen Partnern, also neben den Künstlern auch mit dem Publikum, mit alten wie jungen Menschen. Daraus ergab sich ein interessantes Bild an künftigen Herausforderungen und Erwartungen.

Aviel Cahn berichtete, dass man am Grand Théâtre de Genève eine Umfrage mit einem externen Partner gemacht hat zu Fragen des interpersollen Umgangs im Haus, in vielen Bereichen. Es kam dabei zum Beispiel heraus, dass keine Fälle von harassment mehr berichtet wurden. Man wolle aber erreichen, dass man durch die Künstler eine sozialen Wandel im Haus bewirkt. So sollen auch bevorzugt Regisseure mit Erfahrung auf dem Gebiet der Diversität angestellt werden. Das Projekt „Opera Lab“ wurde gegründet, mit dem junge Leute eigene Vorstellungen entwickeln können.

Im folgenden Panel „Cultivating the next Generation of Leaders” what should we be seeking? gingen mehrere Redner auf den Bedarf an höherer Dezentralisation innerhalb der Kompagnie ein. Generaldirektoren sollten mehr auf die Angestellten hören, denen auch mehr Einfluss gegeben werden sollte. Das gehe bis hinunter in die Werkstätten. Dabei komme es natürlich ganz entscheidend auf die Kommunikation an. Es sollte einen neuen Rahmen für Respekt geben, ungeachtet der Funktion im Haus. Es komme schließlich immer mehr auf Führungsqualitäten in den Bereichen Diversität, Agilität und Psychologie an.

Fazit
Das waren also in etwa auch die Hauptthemen der Herbstkonferenz von Opera Europa. Die Häuser stehen nach der Pandemie vor ungleich größeren Herausforderungen als zuvor, insbesondere wenn es um die Gewinnung des alten und erst recht neuen Publikums geht. Dazu sind neue Techniken zu entwickeln, die in ihrer Mehrheit in einem stärkeren Austausch mit dem Publikum stehen sollten, bis hin zu einer gewissen Beteiligung, bisweilen auch in Stücken, wie es Graham Vick immer wieder machte. Es geht vor allem darum, die Oper zugänglicher zu machen, sie in ein soziales Umfeld einzubetten, in dem sie als bedeutender kultureller Player wahrgenommen und geschätzt wird. Darum ging es auch schon in der letzten Herbstonfernez von Opera Europa in Straßburg und Karlsruhe 2019.
Intern sollte das Gewicht auf einer bis zu einem gewissen Grade dezentraleren Führungskonzeption liegen, wobei guter Kommunikation zwischen dem Management und allen anderen Abteilungen eine größere Bedeutung eingeräumt werden sollte. Hervorgehoben wurde auch die zentrale Rolle des Künstlers, um den sich letztlich alles dreht und ohne den es keinesfalls geht. Auch hierzu wurde argumentiert, dass eine stärkere Beteiligung der Künstler am künstlerischen Konzept und der entsprechenden Programmatik Vorteile bei der Festigung der künstlerisch-administrativen Strukturen bewirken kann.

Wichtig wäre nun zu verfolgen, inwieweit diese Empfehlungen tatsächlich umgesetzt werden, wo Hemmschwellen liegen und wie man diese behandelt. Wer beobachtet das und referiert darüber? Eine weitgehende Dezentralisierung des Managements einer Opern-Kompagnie erscheint ebenso wie die eines privaten Unternehmens illusorisch und realitätsfern. Irgendwo müssen verbindliche Entscheidungen nun einmal getroffen und die entsprechenden Verträge unterschrieben werden. Eine sinnvolle Kommunikationspolitik intern und auch unter Inbetrachtnahme der Interessen des Publikums sowie externer stakeholder kann deren Substanz aber sicher fördern. Das Führen einer Opernkompagnie nach „Gutsherrenart“ ist auf lange Sicht bestimmt nicht mehr zielführend und ohnehin eher ein Relikt vergangener Tage, obwohl, und dass muss auch gesagt werden, die Oper in jenen vergangenen Tagen eine große Zeit hatte, an die sich heute viele Opernbesucher gern erinnern. Was damals im Vordergrund stand, war Persönlichkeit und Charisma – beides Tugenden, die im Laufe unserer Zeit immer mehr an Bedeutung verlieren, vielleicht auch zu Lasten der Kunstform Oper…

Fotos: Gianfranco Rota 4; K. Billand 1-3

Klaus Billand