Recife/Brasilien: Opern-"Mission" im Nordosten - Februar 2018
Begeisterung für klassische Musik in Nordostbrasilien
Ankündigung des Opern-Minikurses an der ETECM
Von Mitte Januar bis Ende Februar hielt ich mich in Recife auf, einer Küstenstadt mit über vier Millionen Einwohnern (inkl. Vororte) im Bundesstaat Pernambuco im Nordosten Brasiliens. Ziel der „Mission“ war es, die ein guter Freund aus den Zeiten meines Studiums im Nordosten 1980, der Rechtsanwalt Tiago Carneiro Lima, anregte, in Gesprächen mit den drei Musikschulen der Stadt die Möglichkeiten einer Verbesserung des klassischen Musikangebots zu eruieren und dazu entsprechende Vorschläge zu machen. Darunter ist auch das hier führende Conservatório Pernambucano de Música – das Konservatorium von Pernambuco für Musik – CPM.
Die Escola Técnica de Criatividade Musical
In der Tradition des Nordostens spielt die klassische Musik, die música erudíta, nur eine untergeordnete Rolle. Man ist hier in erster Linie an der música popular, also der Volksmusik interessiert, die gerade auch im Nordosten mit immerhin über 50 Millionen Einwohnern äußerst beliebt ist und viele regionale Eigenarten aufweist. Oper wird zudem nur selten geboten. Es gibt in Recife ein sehr schönes Opernhaus, das Teatro Sta. Isabel, mit etwa 700 Plätzen und etwas über 40 Musikerplätzen im Graben, das schon bessere Tage gesehen hat. Etwa zweimal im Jahr spielt eine Gruppe von Opernfreunden hier mit spärlichen szenischen Mitteln eine Oper, zuletzt „Der Liebestrank“ und „Don Giovanni“. Auch „Die Fledermaus“ wurde schon gegeben. Als Dirigent dieser Werke fungierte Maestro José Renato Accioly, der beim Konservatorium ist und das Orchestra Sinfonica do Teatro Sta. Isabel dirigierte, aber auch mit anderen Musikgruppen und -schulen musiziert.
K. Billand
Im Mittelpunkt unserer Bemühungen stand die Escola Técnica de Criatividade Musical – ETECM, die Technische Schule für Musikalische Kreativität von Pernambuco. Hier werden derzeit etwa 530 MusikschülerInnen in den wichtigsten Instrumenten und dem Klavierspiel unterrichtet, welches die größte Nachfrage hat. Dazu kommt der Gesangsunterricht. Die Bedingungen sind aufgrund des Fehlens einer größeren Priorität auf verschiedenen Seiten teilweise prekär, insbesondere durch das Fehlen entsprechender finanzieller Mittel. Aber man versucht mit viel Herzblut und Begeisterung das Beste aus dem zu machen, was man von der Secretaría de Educacao de Pernambuco – dem Bildungssekretariat des Bundesstaates Pernambuco bekommt. Die ETECM unterrichtet in erster Linie brasilianische Volksmusik, aber durchaus auch im klassischen Fach, zumal die Gesangsgruppe.
D. Mendes, V. Cavalcanti, I. Pedro, K. Billand
So lag es nahe, hier einen „Minikurs“ zur Geschichte der Oper zu geben, der mit großem Interesse aufgenommen wurde. Ich nannte ihn „Die Oper als komplexe Kunstgattung“ und spielte nach den Erklärungen der geschichtlichen Entwicklung ab Ende des 16. Jahrhunderts über die wichtigsten Stilrichtungen bis zur Gegenwart der brasilianischen Oper jeweils Opernszenen vor, um das Gehörte anschaulich zu erläutern. Dazu hatten wir das Glück, zwei sehr gute Gesangslehrer der ETECM des klassischen Repertoires singen zu lassen, und zwar die Mezzosopranistin Virgínia Cavalcanti und den Tenor Isaac Pedro. Cavalcanti sang When I am laid in Earth aus „Dido und Äneas“ von Henry Purcell und die Habanera. Pedro sang Vedrommi intorno aus „Idomeneo“ und die Kavatine des Nemorino aus dem „Liebestrank“. Die Chefin der Klaviergruppe Dayse Mendes begleitete äußerst kompetent am Flügel. Sie erhielten begeisterten Beifall, ja standing ovations.
Das Blechbläserquintett bereitet sich vor
Zudem war es möglich, ein hohes Maß an einer mir zuvor von unserer Chefredakteurin Sieglinde Pfabigan empfohlenen Interaktivität mit den Schülern zu erreichen. Ich fragte sie, was denn die jeweilige Opernszene bzw. Arie zum Ausdruck bringen sollte. Die Antworten lagen immer sehr nahe an der jeweiligen Aussage. Am Ende gab es auch noch eine interessante Diskussion über die Thematik klassischer Oper vs. moderne Oper, und man stellte fest, dass trotz aller Vorliebe für die harmonischen Melodien des klassischen Repertoires die moderne Oper inkl. der Zwölftonmusik eine bedeutendere Rolle spielen sollte.
Flötenschülerin Caroline
Der mit einer Pause 3,5 Stunden dauernde „Minikurs“ konnte offenbar einige der etwa 40 Zuhörer davon überzeugen, sich mehr mit der Oper zu befassen. Viele hörten von dieser Kunstgattung zum ersten Mal, und fast alle waren noch nie in einer Oper. Der Event wurde vom Kultursekretariat unter dem link
http://www.educacao.pe.gov.br/portal/?pag=1&cat=37&art=4100
Görkem Berg Agar und Luis Felipe Oliveira
auf dessen Website kommentiert. Der äußerst talentierte, erst 21jährige Pianist Luis Felipe Oliveira, assistierte beim Vortrag. Er hatte zusammen mit dem türkischen, ebenfalls noch sehr jungen gastierenden Pianisten und Komponisten Görkem Berg Agar Ende Januar ein vielseitiges und beeindruckendes Klavierkonzert an der ETECM gegeben.
Violinkonzert von Vivaldi mit Prof. Miquéias und der Streichergruppe
Es war das erste Mal in der 35jährigen Geschichte der ETECM, dass es einen Vortrag über die Oper gab. Die Direktorin, Suely Almeida Barbosa da Rocha, verkündete wenige Tage darauf, dass man einmal im Jahr einen „Tag der Oper“ einrichten werde.
Klavierschülerin Luana Espindola
In einem Abschlusskonzert am 27.2. konnte die ETECM dokumentieren, welch gutes Niveau die MusiklehrerInnen haben und ihre SchülerInnen erreichen. Darunter waren ein Blechbläserquintett, eine Klarinetten- und Gitarrengruppe, die die hier äußerst beliebten und rhythmisch attraktiven choroes spielte, ein Fagottsolo mit Begleitung, eine Flötengruppe, die Pianistin Luana Espindola am Flügel mit einem Walzer von H. Villa-Lobos, die Gesangslehrerin Fernanda Nunes mit Songs von Antonio Carlos Jobim und Luis Bonfá, ein Streichquintett mit dem Gitarrenkonzert RV 93, Allegro, von A. Vivaldi und einem brasilianischen Stück von Mourao, sowie Isaac Pedro mit einem poetischen Song von M. Nobre für Klavier und Gesang, und schließlich Virgínia Cavalcanti mit „Die ihr schwebet“ aus dem Zyklus „Zwei Gesänge“, Op. 91, No. 2 (1884) von J. Brahms mit einer Poesie von Emanuel Geibel.
Wagner-Vortrag im Auditorium des Konservatoriums für Musik von Pernambuco
Am Konservatorium hielt ich dann noch einen Lichtbildvortrag zum Leben und künstlerischen Schaffen Richard Wagners. Das Auditorium war mit etwa 100 BesucherInnen vollständig besetzt, darunter eine Gesangslehrerin mit ihren SchülerInnen, die allesamt das klassische Fach studieren und noch lange nach dem Vortrag mehr über den Operngesang wissen wollten. Auch hier gab es eine lebhafte Diskussion, insbesondere über die Unterschiede der Oper in Europa und den USA einerseits und Lateinamerika andererseits.
Banda Sinfonica do CEMO
Schließlich besuchte ich noch die Musikschule von Olinda, welches nördlich an Recife grenzt und früher einmal – mit heute etwa 250.000 Einwohnern – die Hauptstadt von Pernambuco war. Das Centro de Educacao Musical de Olinda – Zentrum für Musikalische Erziehung von Olinda – CEMO unterrichtet ebenfalls über 500 MusikschülerInnen mit einem klaren Schwerpunkt auf der brasilianischen Volksmusik. Ich konnte tags darauf an einer Probe der Banda Sinfonica do CEMO teilnehmen, einer Blechbläsergruppe von 40 MusikantInnen zum Teil aus einfachsten Verhältnissen. Sie bewiesen großes Können auf ihren, meist eigenen, Instrumenten, darunter auch einige beeindruckende Saxophonisten. Die Banda spielt auf öffentlichen Plätzen und bei gesellschaftlichen Events auf Nachfrage. Man konnte merken, dass das Musizieren zentraler Angelpunkt ihres Lebens ist. Gleichzeitig lief in den Klassenräumen u.a. Blockflöte- und theoretischer Musikunterricht. Auch das CEMO bedarf großer Unterstützung, um seiner Aufgabe nachzukommen. Es hat ein Potenzial für etwa 1.000 SchülerInnen.
Gesangslehrerin Flávia Cristinne
Mit Tiago Carneiro Lima ist geplant, ein längerfristiges Projekt zur Förderung der klassischen Musik an diesen Schulen zu entwickeln. Dazu wird es auch finanzieller Mittel von privater Seite bedürfen. Meisterklassen und Schüleraustausch talentierterer SchülerInnen mit anderen Konservatorien und Musikschulen in Brasilien, auch und gerade aus dem Ausland könnten hier Großes leisten, vor allem an Motivation.
Das CEMO
Fest steht jedenfalls, dass angesichts der hohen Kriminalität im Lande, gerade auch wegen des Drogenhandels, die Musik, und nicht nur die brasilianische Volksmusik sondern auch das klassische Repertoire inkl. der Oper ein gar nicht zu überschätzendes Potenzial für die emotionale Bildung der Jugend und ihr Herausführen aus den Slums (favelas oder comunidades) hat. Ich konnte überall erleben, mit welcher Begeisterung das Angebot aufgenommen wird.
Klaus, Fernando Nunes, Rogério, Suely Almeida Barbosa da Rocha, D. Mendes
Vielleicht findet sich ja eine Musikschule in Österreich oder Deutschland oder anderswo in Europa, die in einen Austausch mit dem Konservatorium und den beiden Musikschulen treten will. Oder ein Pianist oder Dirigent, der Meisterklassen geben könnte, wäre für die Musikschulen schon eine enorme Unterstützung und Bereicherung sowie eine Bestätigung der Bedeutung ihres Bildungsangebots, was hier von großer politischer Relevanz sein kann. Die universale Sprache der Musik wird auch in Nordostbrasilien verstanden, und nicht nur im Karneval!
Fotos: Gil Menezes, Ana Paula Andrade, José Renato Accioly, Klaus Billand
Klaus Billand