BAYREUTH: Donald McIntyre, der legendäre Wotan des Jahrhundert-„Ring“ von Patrice Chéreau 1976

Donald MyIntyre auf dem Sommerfest der Gesellschaft der Freunde von Bayreuth e.V.

Donald MyIntyre auf dem Sommerfest der Gesellschaft der Freunde von Bayreuth e.V.

Auf dem Sommerfest der „Gesellschaft der Freunde von Bayreuth e.V.“ in der Eremitage am 24. Juli, also am Vorabend der mit Spannung erwarteten und dann so enttäuschenden „Tannhäuser“-Premiere, gab es ein Wiedersehen mit vielen alten Wagner-Recken des grünen Hügels. Während auf dem Podium Eva Randová, Manfred Jung, Hans Sotin, Ekkehard Wlaschiha und Uwe Klausenitzer in alten Erinnerungen schwelgten und ihre Meinung zur neueren Wagner-Ästhetik offenbarten, entdeckte ich im Publikum zwei „Alte“ der ganz besonderen Art: Donald McIntyre und Franz Mazura! Sie saßen da mit ihren Damen bei bester Laune – sofort schossen in mir gute alte Erinnerungen des Bayreuths der 1970er Jahre hoch. Was für Aufführungen habe ich damals mit diesen Herren erleben können, unvergesslich! In Anlehnung an Goethes Faust II „Oh Augenblick, verweile doch, Du bist so schön“ fasste ich mir ein Herz, stellte mich den beiden vor und fragte natürlich gleich, ob wir ein Interview für den Neuen Merker machen könnten. Leider reiste Franz Mazura am Folgetag ab, aber Donald McIntyre vereinbarte den Termin zwei Stunden (!) vor der „Meistersinger“-Premiere am 27. Juli in der Bürgerreuth. Pünktlich saß er da um 14 Uhr, im Smoking bereits, wie aus dem Ei gepellt, bei guter Laune. Dabei war gerade sein Auto mit einer Reifenpanne in der Stadt liegen geblieben, und es musste noch vor der Vorstellung, also bis 16 Uhr, ein Abschleppservice organisiert werden. Unglaublich, dass der Neuseeländer Donald McIntyre da noch die Ruhe fand, das folgende interessante Interview zu geben – wohl auch, weil er eben Neuseeländer ist…

Mit Franz Mazura und KB

Mit Franz Mazura und KB

1. Herr McIntyre, bis wann haben Sie gesungen, und was machen Sie zur Zeit in Sachen Oper?

Ich habe bis zu meinem 73. Lebensjahr gesungen und musste eigentlich nur aufgrund gesundheitlicher Probleme aufhören. Bis in die späten 60er Jahre habe ich auch noch den Wotan gesungen. Letzte Rollen waren Boris Ismailov in „Lady Macbeth von Mzensk“, „Cardillac“, Balstrode in „Peter Grimes“, König Marke in „Tristan und Isolde“ sowie Baron Prus in „Die Sache Makropulos“. Dann gab es noch einige kleinere Rollen in Tokio, u.a. den Hunding vor etwa fünf Jahren. Seit vier Jahren gibt er eine Art Meisterklasse, nicht im traditionellen sängerischen Sinne. „Ich spiele Mentor für einige Nachwuchssänger, um ihnen zu zeigen, wie sie ihre Haltung, ihre Gesamtwirkung auf der Bühne verbessern können.“ So arbeitete er mit dem Bayreuther Sachs James Rutherford, und augenblicklich auch mit seinen Landsmännern Simon O’Neill und Martin Snell. Er möchte ihnen beibringen, wie sie eine Rolle angehen, also in einem holistischen Sinne – „how to approach the character“. So rief ihn eines Tages ein Pizarro an, Tómas Tómasson, um von ihm eine Orientierung für diese Rolle zu bekommen. Donald McIntyre gab den Rat gern.
Das bringt ihn auf einen interessanten Aspekt der großen Wagner-Rollen. „Das Tolle bei den Wagner-Rollen ist doch, dass alle Charaktere zwei Seiten haben, also in gewisser Weise bipolar sind. Wagner must have been bipolar himself. That is where the greatness and the tension come from; madness and genius are very close to each other – this is the Wahn…” Alle wichtigen Personen im „Ring“ sind in den Augen von Donald McIntyre bipolar. Aber selbst Hans Sachs, den er mit 49 Jahren zum ersten Mal in Zürich sang, ist wie der „Ring“ an sich. „He can do things with force or love. And Sachs describes the Wahn – as the power of love, or the love of power”. Das ist ja eigentlich das Dilemma des bipolaren Wotans. Aber, sagt McIntyre: Bipolarität ist nicht nur Spannung sondern auch Entspannung, beides sind wichtige Seiten der Oper. Aus dem Wechsel von Spannung und Entspannung bezieht die Kunstform innere Kraft und Ausdruck. Diese Spannung, bzw. der Kontrast, muss immer da sein, sonst wird es langweilig. Und das geschah seiner Meinung in der Neuinszenierung des „Tannhäuser“ von Christian Baumgarten. „That might have been intellectually OK, but it was boring when put on stage like that. Baumgarten looked at the holy spirit of Tannhäuser, but the Holy Ghost was substituted by the spirit of alcohol…” sagt er verschmitzt lachend in Anspielung auf den knallroten „Alkoholator“, der die Bühnenmitte der Inszenierung bestimmt und den Insassen der Wartburg pro Tag 4.000 Liter Alkohol beschert. Auch dass Elisabeth schließlich im Biodigester verschwindet, macht für ihn keinen Sinn und trägt erst recht nicht zur Spannung bei…
Dagegen ist er von dem „Lohengrin“ von Hans Neuenfels, den er später sah und über den er beim gemeinsamen Abendessen nachher im Restaurant Weihenstephan in Weiterführung dieses Interviews noch etwas sagte, sehr begeistert. „Das war die beste Personenregie, die ich dieses Jahr am Hügel sah. Outstanding! Auch die Führung des Festspielchores.“ Die so gewünschte Spannung kam in diesem „Lohengrin“ für Donald McIntyre aus der Personenregie und vom Dirigenten. „Director and Conductor deserve a huge amount of praise for that!”

Beim Interview in der Bürgerreuth

Beim Interview in der Bürgerreuth

2. Wie sehen Sie aus Ihrer heutigen Sicht den sog. Jahrhundert-„Ring“ von Patrice Chéreau in Bayreuth?

Ich traf Chéreau zum ersten Mal 1975 hier in Bayreuth. Wolfgang Wagner hatte ihn mir vorgestellt, ich sollte mich mal mit ihm über den „Ring“ unterhalten. Chéreau ging mit mir fast drei Stunden in den Wäldern über der Bürgerreuth spazieren und stellte mir eine Frage nach der anderen: „What would you, Donald McIntyre, do with the production of the “Ring“ if you were in my shoes?“ Das war natürlich überraschend für McIntyre, hatte er doch den Normalfall erwartet, dass der Regisseur dem Sänger sagt, was er sich so denkt… Und seine Hauptbotschaft an Chéreau war, auf die richtige Akustik zu achten. „See and hear.“ Und das wurde dennoch die Schwäche der Inszenierung im 1. Jahr, denn das Matterhorn als Walhall-Felsen im Hintergrund war der Akustik für die Stimmen sehr abträglich. Im 2. Jahr kam dann die „sound shell“, wie McIntyre das halbrunde Felsengebilde nennt, welches Chéreau in Anlehnung an die berühmte „Toteninsel“ von Böcklin als Walkürenfelsen aufstellen ließ und das wie eine Konzertmuschel wirkte. „With the sound shell he got it right in the second year, the voices came over the orchestra well.“ Er fand das Regiekonzept von Chéreau wunderbar, es hatte eben diese Spannung, von der er zuvor sprach. McIntyre sagt, dass es keinen besseren Regisseur als Patrice Chéreau gibt.

3. Was können Richard Wagner und sein Werk den Menschen heute noch sagen?

Man muss das Publikum zum Nachdenken bringen, „make them think and excite them!“ Wenn Wagner heute nicht so relevant wäre, würde er sicher nicht so oft gespielt, meint Donald McIntyre. Aber er ist auch der Ansicht, dass nach dem Chéreau-„Ring“ neue Interpretationsansätze gefunden werden sollten. „Most of what you see today is copied from Chéreau.” Da ist sicher etwas dran, und dafür ist der verwundete Fafner, den zum ersten Mal Chéreau wieder als Person auf die Bühne schickte, nur ein Beispiel. McIntyre hält das ausschließlich politische Thema im „Ring“ für abgespielt. Es war sehr relevant in den vergangenen 35 Jahren. Es wäre nun aber an der Zeit, sich mit dem „Ring“ dem Thema der Religion zuzuwenden, sind doch religiöse Elemente heute bedeutende Faktoren menschlicher Probleme und Auseinandersetzungen. Stefan Herheim wäre dazu sicher ein guter Regisseur. McIntyre ist von dessen Bayreuther „Parsifal“ sehr angetan, insbesondere vom 1. Aufzug, den er schlicht für großartig hält. Er traut Herheim eine kompetente Auseinandersetzung mit dem Religionsthema zu, e r sollte nun den „Ring“ machen. Das ist sicher eine interessante Perspektive. Nach dem religiös begründeten Skandal mit dem „Idomeneo“ in der Inszenierung von Hans Neuenfels an der Deutschen Oper Berlin in der Intendanz von Kirsten Harms Ende 2006 könnte ein solches Herangehen an den „Ring“ jedoch möglicherweise Probleme bereiten… (Anm. des Interviewers). Vielleicht greift dennoch jemand dieses Thema auf.

Auf dem Grünen Hügel

Auf dem Grünen Hügel

4. Wie könnte man heute die Jugend zu Wagner bringen?

Man muss ihnen anhand der Werke Richard Wagners etwas zeigen, was für sie relevant ist, über das sie nachdenken. Dabei sollte man Lösungsmöglichkeiten aufzeigen. Gerade bei der Jugend ist die Spannung, die von diesen Werken ausgehen kann und sollte, sehr bedeutsam. Bayreuth macht genau das bereits, wie man dieses Jahr an dem „Ring“ für Kinder sehen konnte. „This children’s opera was, for me, the highlight of the year.”

5. Wie sehen Sie die Rolle des Mythos im Werk Richard Wagners?

Der Mythos ist wichtig, denn er ist alle Zeit gültig. In einer Anspielung auf die „Lohengrin“-Inszenierung von Hans Neuenfels in Bayreuth meint Donald McIntyre: „Als ich den „Lohengrin“ letztes Jahr sah, habe ich die Bedeutung der Ratten nicht verstanden. Dieses Jahr fand ich sie sehr überzeugend.“ Und er fährt fort: „It works wonderfully with Wagner when you ask questions, as Chéreau did. Don’t be dogmatic, ask questions!” Im Wahn-Monolog des Hans Sachs in den „Meistersingern“, der gerade einmal eineinhalb Seiten umfasst, sieht McIntyre alle relevanten Fragen gestellt.

In der Pause

In der Pause

6. Wie beurteilen Sie den heutigen Wagner-Gesang?

Da kommt eine überraschende Antwort. Donald McIntyre ist der Meinung, dass es heute mehr gute Wagnersänger und -sängerinnen gibt als zu seiner Zeit! Sicher, es gibt nicht jene ganz großen wie damals die Callas oder die Nilsson. Aber auch bei den Tenören gibt es sehr gute Stimmen. Jonas Kaufmann ist für ihn einer, der mit seiner wunderbaren Stimme heraus ragt. Die Stimmen sind also da. „Zur Zeit gibt es mehr gute Heldentenöre und -baritone, als es je zuvor gegeben hat. Heldentenöre sollten lyrische Tenöre mit der notwendigen Resonanz sein. Aber der Mangel bzw. die Einschränkung ihrer vollen Entfaltungmöglichkeiten besteht in den Restriktionen der Inszenierungen.“ Denn das Regiekonzept kann eine starke Auswirkung auf die o.g. Spannung haben und damit auch die SängerInnen kompromittieren. „If it works“ sagt McIntyre mit dem Brustton der Überzeugung, „the emotions come out better. All great singers have these emotions; they need to be used and expressed.”

Und da wird es Zeit, sich um Donald McIntyres liegen gebliebenes Auto zu kümmern, eine Stunde vor den „Meistersingern“ noch mal einen Exkurs in die Banalität mit Abschleppdienst und Reifenreparatur durch den Bayreuther Innenstadtverkehr. Wir schaffen es, nachdem all das geregelt wurde, fünf Minuten vor dem Schließen der Türen auf dem Hügel zu sein. Donald McIntyre ist erleichtert, und wir freuen uns, dass er uns auch unter diesen Umständen in seine reiche Erfahrung hat blicken lassen.

(Das Interview wurde auf Englisch und teilweise Deutsch geführt).

Fotos: Klaus Billand

Klaus Billand

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