Musik ist mein Leben! Mária Temesi – eine große ungarische Wagner-Sängerin - 30. November 2002

Mária Temesi - Foto Karossz Kben

Mária Temesi - Foto Karossz Kben

Den Opernfreunden und insbesondere denen aus Wien dürfte sie längst keine Unbekannte mehr sein – wenn auch Budapest immer noch weiter als 245 km von Wien entfernt zu sein scheint… Am 30. November 2002 führte ich mit der sympathischen Sopranistin Mária Temesi in Gyoer ein interessantes Gespräch, nachdem sie uns Merkern in den „Ring“-Zyklen der Budapester Staatsoper der vergangenen beiden Jahre als hervorragende Sieglinde und Siegfried-Brünnhilde aufgefallen war (siehe auch Merker Nr.147, Juli 2002). Dabei ist die Temesi nicht nur im Wagnerfach zu Hause, obwohl sie den Bayreuther Meister als ihren Lieblingskomponisten bezeichnet und die Sieglinde und die Tannhäuser-Elisabeth ihre Traumrollen sind. Nein, sie singt auch immer wieder im italienischen Fach, was ihr für die Stimme sehr wichtig ist.

Erst vor drei Tagen kam sie von einer Tournee nach Deutschland, Belgien und Frankreich zurück, bei der sie mehrfach die Amelia aus dem Maskenball gesungen hatte und sehr positive Publikumsreaktionen entgegen nehmen konnte. Im letzten Jahr sang sie die Tosca an der Budapester Staatsoper und die Santuzza am Erkeltheater. Aber auch die Donna Anna, Desdemona, Elisabeth in Don Carlos, Troubadour Leonore, Adriana Lecouvreur, Lisa, Tatjana, und die Elena in Mefistofele und in der Sizilianischen Vesper sind Mária Temesi vertraut. Sehr viel Wert hat sie in ihrer Karriere stets auch auf den Oratorien- und Liedgesang gelegt. Von einem Mozartrequiem gibt es eine CD-Aufnahme.

Die staatliche Preisträgerin (Liszt-Preis 2000), geboren in Szeged, befasste sich schon seit ihrem 3. Lebensjahr mit Musik zunächst durch Klavierunterricht. Dabei fiel der Apfel nicht weit von Stamm, denn ihre Mutter spielte Mandoline und Geige und sang in mehreren Chören, während der Großvater Zither spielte. Mit 16 nahm sie erste Gesangsstunden, hatte aber vorher schon diverse Gesangspreise auf der Schule gewonnen. Klavier und Gesangsfach am Konservatorium in Szeged absolvierte sie mit besten Noten und bekam daraufhin sofort eine Korrepetitionsstellung am Nationaltheater Szeged. Bald darauf hatte sie ihr Gesangs- und Klavierlehrerin-Diplom der dortigen Musikhochschule in der Tasche und machte schon zwei Jahre später ihr Opernsängerin-Diplom mit Auszeichnung an der Musikakademie in Budapest mit Bellinis Norma als Hauptprüfungsfach. Ihre Gesangslehrer in jener Zeit waren György Sinkó und Éva Kutrucz, und ihre szenische Ausbildung genoss sie bei András Mikó. Mária legt Wert auf die Feststellung, dass alle ihre Lehrer damals auch große Theater- und Schauspielerfahrung hatten, was insbesondere auf ihre Gesangslehrerein Paula Takács in den 1980er Jahren zutrifft. Dies dürfte ihr großes Schauspieltalent als heutige Sängerdarstellerin mit begründet haben. Wichtige Impulse bekommt sie seit 1988 von ihrer Gesangslehrerin Ilona Adorján aus Cluj in Rumänien.

Sie debütierte unter Giuseppe Patané – natürlich mit Wagner – als Elsa an der Staatsoper Budapest 1982 (in einer Kritik stand: „explodierte sie mit dieser Partie im ungarischen Musikleben“), deren Mitglied sie seit 1981 ist und absolvierte seither viele Gastspiele an ausländischen Opernhäusern, auch in Übersee. Zu den wichtigen Stationen ihrer Sängerkarriere gehört zweifellos die Elsa in Dresden, zu der sie die Semperoper anlässlich ihrer Wiedereröffnungs-Premiere nach der Zerstoerung durch den II. Weltkrieg eingeladen hatte. Dresden bot ihr damals sogar einen Festvertrag an, aber sie wollte in ihrer Heimat bleiben und daneben gastieren. Die Elsa sang sie auch im Teatro de Zarzuela in Madrid und im Herodes Atticus Theater in Athen vor 5.000 Zuschauern mit großem Erfolg. Dann kam die Tatjana in einer Harry Kupfer-Regie in Dresden, und durch Kontakte zu Theo Adam kam sie an die Lindenoper in Berlin, wieder mit Elsa und einigen Konzerten. Daraufhin machte ihr Michael Hampe das Angebot, für zwei Jahre fest nach Köln zu kommen, um das jugendlich dramatische Fach zu singen, u.a. die Donna Anna. Aus persönlichen Gründen konnte sie es damals nicht annehmen. Die Donna Anna sang sie dann aber in Budapest und an der Hamburgischen Staatsoper unter Peter Schreier mit Samuel Ramey und Roberta Alexander als Partnern.

Mária schätzt sich besonders glücklich, über neun Jahre mit Christine Mielitz an der Komischen Oper Berlin und der Semperoper Dresden gearbeitet zu haben. Sie ist überzeugt, in diesen Jahren die wirkliche Schauspielerausbildung bekommen zu haben. Mit der Freude schöner Erinnerungen schildert sie auch, das es ihr diese Engagements ermöglichten, mit solchen Groessen wie Theo Adam, Peter Schreier, Eckehart Wlaschiha, Klaus Koenig und anderen auf der Bühne stehen zu können und von ihnen viel gelernt zu haben. Durch den damals noch existierenden Eisernen Vorhang ist im Westen nicht nur von dieser Opernsängerin relativ wenig bekannt geworden. Als weitere Stationen ihrer Karriere nennt sie die Maskenball-Amelia im Opernhaus Zürich sowie die Tannhäuser-Elisabeth in Mannheim und die Titus-Vitellia in Köln. Mit großer Begeisterung erzählt sie auch von einem RAI-Konzert im Verdi-Saal in Mailand, wo sie an einer Aufführung von Beethovens Missa Solemnis mitwirkte, sowie von ihren Auftritten bei den Prager Festspielen. In Graz sang sie Anfang der 90er Jahre die Estrella in Schuberts Alfonso und Estrella. Aber auch über Europa hinaus gibt es teilweise Exotisches zu berichten. Ein Soloabend an der Musikakademie in Kairo; Aida in Istanbul; eine Bohème-Serie am Teatro Solís in Montevideo, Uruguay; und last but not least Gesangspreise in Rio de Janeiro bereits 1981 und beim Pavarotti-Wettbewerb 1985 in Philadelphia, den sie als Siegerin beendete. Unter den großartigen Dirigenten, mit denen sie arbeiten konnte, nennt sie v.a. Giuseppe Patané, Lamberto Gardelli, János Ferencsik, Lovro von Matacic, Sir John Pritchard, Antal Doráti, Wolfgang Gönnenwein, Ivan Fischer, Jurij Simonov und Rico Saccani.

Vorbilder? Ja, sie hat eines, und das ist die große Maria Callas. Sie hält sie als Künstlerin im Gesangsfach für unerreicht, aber dies auch aufgrund einer Technik, die einzigartig auf ihre so charakteristische Stimme und Persoenlichkeit zugeschnitten war. In diesem Sinne vergleicht sie die Callas auch mit Barbara Streisand auf der Leinwand. Beide hätten gleichermaßen die Fähigkeit gehabt, bzw. haben sie noch, sich durch ihre Stimmfarben unendlich vielseitig emotional und geistig auszudrücken. Nicht von ungefähr hat Mária ihr erstes ausländisches Diplom beim Maria Callas Wettbewerb 1979 in Athen erworben.

Bei all ihrer Erfahrung hat Mária aber auch Lampenfieber! Es übt jedoch auf sie eine inspirierende Wirkung aus. Ja, wenn sie den ganz bestimmten Duft diverser Opernbühnen riecht, kommt dieses Lampenfieber auf, aber steigert sofort ihre Motivation und Konzentration. Haben wir das als Zuschauer, wenn wir mal in die ersten Parkettreihen zu sitzen kommen, nicht auch schon erlebt, wenn der Vorhang hochgeht?! Ich kann mich jedenfalls gut daran erinnern und fühlte mich erst dann richtig in der Oper…

Eine neue Rolle studiert Mária erst einmal in der Literatur und versucht sich den geschichtlichen und philosophischen Hintergrund anzueignen. Dann kommt das Auswendiglernen fast automatisch, und es folgt die stimmliche und musikalische Bearbeitung, wobei sie vor allem nach Zusammenhängen Ausschau hält und sich danach die Partitur erarbeitet. Schließlich ist dann ein Reifeprozess erforderlich, bis sich alles zur Premiere zu einem Ganzen geformt hat. Mária bedauert, dass dieser Reifeprozess aufgrund der heutigen Terminnot und Zeitbegrenzung im Opernbetrieb oft zu kurz kommt.

Sie hat auch eine konkrete Meinung zum sog. „Regietheater“, und ich stellte ihr diese Frage auch unter dem Aspekt, dass der Budapester „Ring“ eine sehr gelungene und eindrucksvolle, aber durchaus konventionelle Inszenierung ist. Sie ist der Auffassung, dass der Sänger hundertprozentig seine Persönlichkeit einbringen muss. Bis zu einem gewissen Grade kann man sich anpassen, aber es darf nicht zur Selbstaufgabe kommen. Die Wahrheit liegt nach ihrer Meinung in der Mitte. Wichtig sind die Musik und die Intensität des Spiels auf der Bühne. Der Sänger muss seine Aktionen und Reaktionen parallel und in Abstimmung zur Musik entwickeln, um eine Rolle glaubwuerdig interpretieren zu können. In der Budapester „Ring“Produktion kann sie ihre schauspielerischen Vorstellungen voll verwirklichen. Sie sang die Sieglinde, sowie die Siegfried und Götterdämmerungs-Brünnhilde auch in der Premiere Mitte der 1990er Jahre. Damals traf sie auch auf Wolfgang Wagner, nachdem sie bereits beim Internationalen Jugendfestspieltreffen in Bayreuth und 1995 ebendort Festspielstipendiatin war.

In jener Zeit ist Mária auch wieder auf ihre alte Leidenschaft des Lehrens zurück gekommen. Seit 1997 ist sie Professorin für Gesang an der Szegediner Musikhochschule der „Franz Liszt“ Musikakademie. Trotz ihrer intensiven Sängertätigkeit konnte sie das interessante Angebot ihrer „Alma Mater“ nicht ablehnen und hat derzeit sehr viel Spaß mit der Ausbildung junger Nachwuchssängerinnen. Es tut sogar ihrer Stimme gut. Aber auch das ist nur eine Frage der richtigen Technik! Eine Schülerin von ihr sang kürzlich bereits die Lady Macbeth an der Budapester Staatsoper. Eine andere wurde in Palermo angestellt. Für 2003 wurde Mária Temesi vom Konservatorium in Parma eingeladen, einen Meisterkurs zu halten. Einen weiteren wird sie im Juni 2003 in Ungarn geben. So hat sie immer den für sie so wichtigen Ausgleich zwischen Gesang und Lehre. So ganz nebenbei ist sie an der Organisation von drei staatlichen Gesangswettbewerben in Szeged beteiligt und organisiert die entsprechenden Opernprüfungen im Szegeder Nationaltheater. Sie ist darüber hinaus an der Organisation des Meisterkurses von Julia Hamari (Stuttgarter Musikakademie) in Szeged beteiligt.

Die Familie ist ihr bei all diesen Tätigkeiten eine große Unterstützung. Ihr Mann ist Arzt, während Mária an den Wochenenden ihn und den 11-jährigen Sohn mit guten ungarischen Rezepten bekocht. Bei ihrem ungarischen Temperament ist ihr Mann wohl der erforderliche ruhige Pol. Übrigens ist Mária der Ansicht, dass die Geburt des Sohnes keineswegs ihrer Karriere geschadet hat, nein im Gegenteil: Die Stimme ist danach reifer geworden, auch durch die mit dem Nachwuchs gestiegene Emotionalität und seelische Reife. Der Junge sitzt übrigens auch schon am Klavier, will aber derzeit noch einen technischen Beruf erlernen. Mária ist zufrieden mit ihrem Leben, denn ihr ursprüngliches Hobby ist ihr Beruf geworden, und Musik ist nun mal ihr Leben! Sie ist glücklich, wenn es gelingt, das Publikum zu begeistern und freut sich dann über jeden Bravoruf.

Nicht zuletzt daraus erklären sich auch ihre nächsten Projekte: Sie ist im Juni 2003 in der Budapester Staatsoper an der Uraufführung der Oper „Der letzte Walzer“ („Az Utolsó Keringó“) von Ivan Madarász beteiligt, die man zusammen mit Gianni Schicchi heraus bringt, und sie wird auch die Reprisen 2004 singen. Mit Jurij Simonov und Hungaroton nimmt sie derzeit eine CD mit italienischen und Wagnerarien auf, die Mitte 2003 erscheinen soll. Des weiteren denkt sie, ihr Brünnhilde-Repertoire mit der Walküren-Bruennhilde zu komplettieren. Am ferneren Horizont könnte auch eine Kundry aufleuchten… Gern würde sie natürlich einmal an der Wiener Staatsoper singen.

Klaus Billand

Sänger

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