PETRA LANG zum Wagner-Gesang - Bayreuth 16. August 2013
„Es brennt generell…“
Petra Lang
Anlässlich des in diesem Heft besprochenen Meisterkurses für Wagner-Gesang, der im Rahmen des Wagner-Jahres in Kooperation mit den Bayreuther Festspielen und der Städtischen Musikschule Bayreuth von Petra Lang und Adrian Baianu veranstaltet wurde, konnte ich mit der weltbekannten Wagnersängerin in Bayreuth ein Gespräch über den Zustand des Operngesangs und des Wagner-Gesangs im besonderen führen. Im Jahre 2005 hatte ich Petra Lang bereits ein erstes Mal in Wien für den neuen Merker interviewt.
Kundry in Amsterdam 2012
Was ist Ihr Eindruck von Ihrem Bayreuther Meisterkurs für Wagner-Gesang?
Dieser Meisterkurs war ein Spiegelbild der Sängerstimmen, wie wir sie heute vorfinden. Er ist symptomatisch für die gesamte Sängersituation. Als Anfänger ist es noch leicht, in die lyrischen Fächer hineinzukommen. Nach einigen Jahren stoßen die SängerInnen dann aber an Grenzen, wo es nicht mehr weitergeht. Fachliche technische Gründe sind verantwortlich dafür, dass man Bedingungen nicht mehr herstellen kann, die das größere Fach erfordert. Zu Berufsbeginn kommt man mit lyrischen Partien und kleinem Orchester gut zurecht und baut darauf langsam auf. Mitte 30 bis Anfang 40 sind dann diese lyrischen Partien aber nicht mehr singbar. Das Alter ist zu hoch, und nun kommt man an den Punkt, wo der Fachwechsel ansteht. Eine Soubrette wechselt in den lyrischen Sopran, aus einer Papagena wird erst eine Pamina, später vielleicht eine „Meistersinger“-Eva. Wenn man sich organisch entwickelt hat, kommt man in diese neuen Fächer hinein. Der Körper wird stabiler, und man kann dann die schwereren lyrischen Partien gut singen. Für das hochdramatische Fach aber, und da wären wir bei Richard Wagner und Richard Strauss, braucht man Extra-Anlagen. Man muss auch anders gebaut sein, der Körper sollte größer dimensioniert sein, die muskulären Anforderungen sind andere als für die lyrischen Stimmen.
TeilnehmerInnen des Meisterkurses
Was sind die spezifischen Anforderungen des Wagner-Gesangs?
Weil eben oft diese Extra-Anlagen für den hochdramatischen Gesang, also auch den Wagner-Gesang, nicht gegeben sind, wird versucht, Wagner zu brüllen, oder – statt Wagner singen, Wagner schreien. Viele SängerInnen denken, es sollte so laut wie möglich sein. Dann kommt es aber zu stimmlichen Farbverlusten, und auch die Glaubhaftigkeit der künstlerischen Gestaltung leidet. Für den Wagner-Gesang braucht es einen Körper mit großer Stabilität.
Im Wesentlichen sollten folgende drei Voraussetzungen gegeben sein:
• Material (richtige Stimme und richtiger Körper)
• Intellektuelle Reife
• Erfahrung
Denn es ist ein anstrengender Beruf. Man sollte den Körper wie ein Sportler trainieren. Viele SängerInnen drücken zu viel, um hier Defizite auszugleichen und überhaupt einen Sound hinzubekommen – ein Problem mangelnder Technik. Für den Wagner-Gesang im Speziellen muss man wissen, wie man die eigenen Resonanzräume optimal nutzt. Mit falscher Lage oder zu viel Emotion kann bleibender Schaden entstehen.
Dazu ein Beispiel: Die Stimme ist nicht richtig fokussiert, der Sänger dunkelt sie ab, um einen dunkleren dramatischen Klang zu erzeugen. Das geht mit kurzen lyrischen Partien vielleicht noch gut, wenn man entsprechende Wartezeiten einhält, ebenso wie ausreichend Erholung zwischen den Auftritten einlegt. Bei Wagner kommt man aber an den Punkt, dass man meint, mehr „Gas geben“ zu müssen, um über das viel größere Orchester drüber zu kommen. Nun geht es mit einer gewissen Gewalt gegen die Stimme: Singen mit Druck geht nur mit höherem Luftdruck, und dieser wiederum kann zu oberflächlichen Verletzungen der Stimmlippen führen. Außerdem werden diese relativ schnell müde. Bei entsprechender Erholung können sich diese Verletzungen schnell zurück bilden. Wenn aber die Müdigkeit ignoriert und weiter so gesungen wird, ist der möglicherweise irreparable Verletzungseffekt sehr groß. Deshalb ist das erste Gebot immer: Ausheilen lassen. Heiser geht es nicht im Gesang!
Konsequent klangorientiertes Singen ist bei Wagner unabdingbar. Stattdessen ist es allzu oft zu lang, zu laut und zu hoch. Man sollte auch auf den Klang der Sprechstimme hören. Er sagt oft viel darüber aus, ob und was man auf der Bühne singen kann. Ganz wichtig ist also eine gute Vorbereitung, immer wieder Erholungsphasen einbauen – und man muss in dem Fach sein! Externe Risikofaktoren können aber auch das sehr große Orchester, rücksichtslose Dirigenten und das Unverständnis von Regisseuren sowie sehr große Räume mit schlechter Akustik sein. Man sollte aber immer das lyrische Singen als Klangideal erhalten. Birgit Nilsson sagte einmal: „Wenn ich Mozart nicht singen kann, dann droht mit Wagner Gefahr.“ Die Rücknahme des dramatischen Stimmklangs ist also sehr wichtig.
TeilnehmerInnen des MK
Welche Rolle spielen die Gesangslehrer?
Im Vordergrund steht immer der Sänger selbst. Er macht den Beruf, er singt, macht eine künstlerische Aussage. Einzig die schöne Stimme reicht heute nicht mehr. Hier ist das “Gesamtpaket” wichtig: Stimme, Aussehen, Spiel müssen rollendeckend rüberkommen.
In der Ausbildung der GesangslehrerInnen liegt vieles im Argen. Hier haben wir heute im Laienbereich und im Therapiebereich ein sehr hohes Niveau, das wir leider nicht im Bereich der Spitzensänger halten können. Petra Lang hat beispielsweise Geige und Gesang studiert, wobei für das Unterrichten viel Wert auf Psychologie und die Umsetzung der Methodik in der Praxis gelegt wurde. Ziel war immer, innerhalb von fünf Minuten die Probleme zu erkennen und mindestens eines davon in der laufenden Stunde zu lösen. So legt sie in ihren Gesangs-Stunden viel Wert auf Technik in Verbindung mit Interpretation. Die Technik als Basis für eine künstlerische Aussage und eine möglichst lange stimmgesunde Karriere. Früher hat man doch so Singen gelehrt und gelernt. Das braucht Zeit, um erst einmal technische Vorgänge im Körper zu manifestieren. Sitzt die Technik, ist es ein Leichtes, SEINEN Inhalt, SEINE Interpretation zu transportieren und diese vor allen Dingen immer wieder abrufen zu können. Professionalität im Singen zeichnet sich durch stabile und sichere Wiederholbarkeit von Abläufen aus.
TeilnehmerInnen auf der Festspielhaus-Bühne
Es ist schwer von richtig oder falsch, gut oder schlecht bei Gesangstechnik und Gesanglehrern zu sprechen. Dies ist auch eine Frage des Geschmacks, d.h. welchen Klang möchte ich mit welchen Mitteln herstellen. Hier bestätigt letztendlich das Wie, Wo, Wann, Was und Wie Lange bei der Ausübung des Sänger-Berufes, ob die Wahl der Mittel und des Lehrers richtig waren. Petra Lang hat immer bei Sängern gelernt, die diesen Beruf auch mindestens 25 Jahre aktiv ausgeübt haben und die gleichzeitig in der Lage waren, ihre Erfahrungen jungen Sängern weiterzugeben. Das war vielleicht Glück. Oft findet man Sänger, die mit 40 in die erste Krise kommen, dann ihre Liebe zum Gesangsunterricht entdecken und dann nur noch ausschließlich unterrichten. Das muss nicht immer schlecht sein. Wenn ein Sänger jedoch eine stabile Technik hat und/oder seine Probleme gelöst hat, singt er: er macht den Beruf.
Petra Lang und Adrian Baianu mit einigen MK-Teilnehmern, B. Roeder und K. Billand
Der Bund der Gesangspädagogen (BdG) bietet pädagogische Aufbaukurse im Schnellverfahren an, um Sängern, die keine pädagogische Ausbildung hatten, den Einstieg in das Unterrichten zu erleichtern.
Am Ende steht aber allein die Verantwortung des Sängers und der Sängerin. Das Nein-Sagen schadet langfristig nicht! Ich kann nur das singen, was ich singen kann…!
Fotos: 1 Ann Weitz; 2 Monika Rittershaus; 3-6 Klaus Billand
Klaus Billand