Zürich: Salome Pr. - 12. September 2021

Eigenwillige Uminterpretation der „Salome” auf dem Zürcher Mond-Rondell

Soldaten und Kappadozier zu Beginn

Soldaten und Kappadozier zu Beginn

Das Opernhaus Zürich begann seine neue Saison mit einer Neuinszenierung von Richard Strauss‘ „Salome“ in der Inszenierung des Intendanten, Andreas Homoki, unter der musikalischen Leitung der Philharmonia Zürich von Simone Young. Diese verbürgte mit ihrer musikalischen Interpretation genauso das, was man sich von einer im Zeichen der Décadence komponierten „Salome“ durch den Garmischer Meister verspricht. Young vermochte mit ihrer großen Strauss-Erfahrung die Philharmonia zu einer immer wieder atemberaubenden, facettenreichen und farbenprächtigen Tongebung zu motivieren, die auch die schillerndsten Zwischentöne bei großer Transparenz eindrucksvoll und dem von Oscar Wilde vorgegebenen Geschehen entsprechend zu gestalten vermochten.

Salome mit Narraboth und Jochanaan

Salome mit Narraboth und Jochanaan

Mit seiner Inszenierung wollte Homoki mit Bühnenbildner Hartmut Meyer und Beleuchter Franck Evin einmal offenbar etwas anderes zeigen, als man bei diesem Werk gewohnt ist und wie es sich aus dem Libretto von Oscar Wilde und den Regieanweisungen des Komponisten auch recht eindeutig darstellt. Optisches Thema ist der in der Tat immer wieder angesprochene Mond, wohl im Zunehmen begriffen. Er bildet in starker Abstraktion eine – leider allzu oft – rotierende gelbe Spielfläche und hängt auch am Plafond, mit einer gelegentlich wie ein vertikaler Mühlstein um die Bühne geführten zusätzlichen -wahrscheinlichen -Vollmondscheibe.

Salome mit Narraboth

Salome mit Narraboth

Wie die Astronauten von Apollo 11 nach ihrer Landung auf dem Mond, denn der dunkelgraue Boden des Trabanten ist hinter ihnen zu sehen, wirken in den dazu (un)passenden gelben Anzügen von Mechthild Seipel Narraboth, Page, Soldaten und der Kappadozier, der nach seinen Fragen übrigens weiterhin auf der Bühne bleibt. Stilistisch bruchstückhaft wirkt in diesen kosmischen Bildern eine mondän geschwungene Rampe, die von der Bühne nach oben in den unsichtbaren Palast führt, in hellem Orange…

Der Mühlstein - wie der Mond...

Der Mühlstein - wie der Mond...

In einer Art Neudefinition der Rolle des Jochanaan befindet dieser sich offenbar auf freiem Fuß und kommt unspektakulär in die Szene, während Strauss‘ grandiose Musik sein langsames Aufsteigen aus der Zisterne suggeriert. Ebenso verschwindet er auch wieder, obwohl da durchaus Vergleichbares aus dem Graben erklingt. Auch wenn man noch so sehr nach Anhaltspunkten bei Wilde und Strauss sucht und keinen einzigen findet, hat Jochanaan hier offensichtlich eine zweite Agenda. Das Geringste ist noch, dass er dem sterbenden Narraboth per Kehlschnitt den Gnadenstoß versetzt. Er ist aber auch sexuell von Salome angezogen, versucht nebenbei auch Herodias während eines unbeobachteten Moments von Salomes (leider nur teilweise zu sehenden und kaum erotischen) Tanzes sexuell zu beglücken, was dieser wohl auch nicht ganz unrecht ist…

Vor der "Vergewaltigung"

Vor der "Vergewaltigung"

Schließlich darf Jochanaan Salome genau in dem Moment vergewaltigen, als er sie ultimativ verflucht, was wiederum nicht auf größte Abwehr bei der Prinzessin stößt. Vor diesem Hintergrund könnte man Homokis Ratlosigkeit, die er dem Dramaturgen Claus Spahn auf dessen Frage offenbart, warum Salome den Kopf des Jochanaan haben wolle, verstehen. Denn bei dieser offensichtlichen erotischen Anziehungskraft des Propheten hätte für die beiden Damen dessen vorzeitiges Ableben doch gar nicht so erstrebenswert sein müssen.

Herodes und Herodias

Herodes und Herodias

Zumal Salome am Ende mit dem plötzlich wiederbelebten Jochanaan noch eine Kuschelszene am Mondrand bekommt. Dass sie schließlich dennoch mit seinem abgeschlagenen Haupt in den Palast zurückgeht und sich somit dem Tötungsbefehl des Herodes entzieht, wäre wohl nur bei näherem Nachfragen beim Regieteam zu klären. Ohne weiteres ging das nämlich nicht ein, zumal die Musik etwas ganz anderes erzählt.

Die 15 (!) Juden

Die 15 (!) Juden

Stattdessen sehen sich unten Herodes und Herodias einem Angriff der 15 (!) völlig aus dem Lot geratenen Juden mit heruntergerissenen Sakkos gegenüber, die wohl nun wiederum das Tetrarchen-Ehepaar töten wollen, was man aber nicht mehr sieht, da es schon dunkel wird. Es erscheint nach allem Erlebten allenfalls noch beliebig und irritierend.

Finales  Schäferstündchen Salomes mit Jochanaan

Finales Schäferstündchen Salomes mit Jochanaan

Das mit der Verdreifachung der fünf Juden in dieser Inszenierung ist auch so eine Sache. Im selben Interview gibt Homoki an, dass er in der Partitur von Richard Strauss eine Fußnote entdeckt hat, die besagt, dass ab einer bestimmten Stelle in der Judenszene die Solostimmen „nach dem Ermessen des Dirigenten durch einige tüchtige Chorsänger“ zu verstärken seien. Dieser Fußnote ist er gefolgt, lässt die 10 zusätzlichen „stimmverstärkenden Juden“ aber gleich auch auftreten. Simone Young hatte der Fußnote bisher keine Beachtung geschenkt, hielt das aber laut Homoki auch für eine gute Idee. So sah es dann allerdings auf der Bühne nicht aus, da es ein heilloses Chaos unter den Juden gab, stimmlich wie dramaturgisch. Könnte es nicht sein, dass Strauss lediglich eine stimmliche Verstärkung aus dem Off und keine tatsächlichen Auftritte weiterer Juden gemeint hatte?! Das erschien mir zumindest plausibler…

Homokis großes Verständnis von Charakterdarstellung und guter Personenführung wurde dennoch einmal mehr offenbar – allerdings in einer stark abgewandelten und allzu oft unerklärlichen Dramaturgie…

Die verzweifelte Salome

Die verzweifelte Salome

Elena Stikhina ist eine Salome der Sonderklasse. Ich hatte sie als Gewinnerin des gesangswetbewerbs Competizione dell’Opera in Linz 2014 (https://www.klaus-billand.com/deutsch/rezensionen/gesangswettbewerbe/linz-brucknerfest-2014-finale-der-competizione-dellopera-28-september-2014.html) erlebt und später als Medea bei den Salzburger Festspielen. Mit unglaublicher Intensität, sängerisch wie darstellerisch, vermag sie die vielfältigen Aspekte der Rolle regelrecht zu durchleben. Sie zeigt nachvollziehbar das Erwachen der Sexualität einer bis dahin oberflächlich verwöhnten Prinzessin.

Die Juden konfrontieren den Tetrarchen

Die Juden konfrontieren den Tetrarchen

Wolfgang Ablinger-Sperrhacke ist ein authentisch wirkender Herodes mit prägnantem Tenor und bester Diktion. Michaela Schuster besticht mit ihrem charaktervollen Mezzo als matronenhafte Herodias. Kostas Smoriginas ist ein jugendlich kraftvoller Jochanaan mit markantem Bassbariton bei noch ausbaufähigem Volumen. Mauro Peter schmachtet klangschön als Narraboth. Siena Licht Miller ist ein sehr einfühlsamer Page mit schöner stimme.

Protagonisten beim Schlussapplaus

Protagonisten beim Schlussapplaus

Wilhelm Schwinghammer singt eine guten Ersten Nazarener und Cheyne Davidsen kann auch als Zweiter überzeugen. Valery Murga und Alexander Fritze sind souveräne Soldaten, und Henri Bernard ist ein ansprechender Kappadozier. Die fünf Juden sind mir Iain Milne, Alejandro Del Angel, Martin Zysset, Andrew Owens und Stanislav Caduff ebenfalls passend besetzt. Die Darsteller ihrer Verdreifachung bleiben hier unerwähnt, da nicht zum Stück gehörig.

Eine musikalisch in jeder Hinsicht großartige „Salome“ zum Zürcher Saisonbeginn!

Fotos: Paul Leclaire 1-11; K. Billand 12

Klaus Billand

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