Bayreuther Festspiele - Festakt zum 100. Geburtstag von Wolfgang Wagner - 24. Juli 2019
Gedenken and den ‚Prinzipal‘
Vorwort der Ausstellung
Mit einem von der Festspielleitung eindrucksvoll am Vorabend der Premiere gestalteten Festakt gedachten die diesjährigen Bayreuther Festspiele ihrem langjährigen „Prinzipal“ und Festspielleiter Wolfgang Wagner, der am 30. August diesen Jahres 100 Jahre alt geworden wäre. Er hatte mit seinem Bruder Wieland bis zu dessen Tode 1966 die gemeinsame Leitung der Festspiele inne und übernahm sie dann bis 2008 allein, als er zu Gunsten seiner Töchter Eva und Katharina zurücktrat. Es gab also ein Lebenswerk von fast 60 Jahren zu würdigen, womit Wolfgang Wagner wohl der langjährigste Festspielleiter der Nachkriegszeit war. Seit 1970 kannte ich ihn auch persönlich, als er mir bei einem Besuch des Wuppertaler „Tannhäuser“, um Hugh Beresford zu hören, zwei „Ring“-Karten für seine Bayreuther Neuinszenierung 1971 zum Abitur versprach und das Versprechen, wie wohl immer, was er sagte, auch hielt.
Die Solisten mit C. Thielemann
Der Musikdirektor der Bayreuther Festspiele, Christian Thielemann, war mit dem Festspielorchester für den musikalischen Teil des Abends im voll besetzten Festspielhaus zuständig. Es begann gleich mit dem Vorspiel zu den „Meistersingern von Nürnberg“, Wolfgang Wagners letzte Inszenierung auf dem Grünen Hügel. Sofort erinnerte ich mich an das riesige Bühnenbild, das jene Produktion auszeichnete, in der er am Ende auf der Festwiese selbst zu sehen war.
Katharina Wagner
Katharina Wagner eröffnete dann den Festakt mit einer herzlichen und ihrem Vater gerecht werdenden Begrüßung. Über ihn kursierten viele Geschichten, die aber vor seinem fast 60jährigen Lebenswerk als Festspielleiter verblassten. Die Festspiele wären ohne ihn heute nicht die, die wir kennen. Dabei sei ihr Vater stets ein Realist gewesen. Er scheute zwar nicht das Risiko, es sollte aber überschaubar und kalkulierbar sein. Dabei waren seine außerordentlichen Detailkenntnisse des Festspielhauses ein großes Plus. Katharina Wagner bezeichnete ihren Vater als eine ungebrochene, authentische Persönlichkeit und als völlig unverwechselbaren Typ. Er war ein Chef „vom alten Schlag“. Als Künstler blieb er sich selbst immer treu, wobei ihm seine intensive Detailkenntnis auch feinster Nuancen des Oeuvres seines Großvaters zustattenkamen. Sein Credo war, dass sich das Theater immer wieder erneuern müsse. Damit entstand im Übrigen ja auch ein wesentlicher Teil des Bayreuther Werkstattgedankens. Das Neue sollte mit den zur Verfügung stehenden Mittels gefördert und verwirklicht werden. So kam es schließlich, nachdem bis zu Wielands Tod nur die beiden Brüder in Bayreuth inszenierten, zur Öffnung der Festspiele mit dem „Tannhäuser“ 1972 durch Götz Friedrich, dem „Ring“ 1976 durch Patrice Chéreau, dem „Tristan“ 1993 durch Heiner Müller (und andere wie Jean-Pierre Ponnelle, Werner Herzog, Harry Kupfer, Peter Stein, Claus Guth, Christoph Schlingensief – Anm. d. Verf.). Ich selbst halte diese Öffnung und Internationalisierung der Bayreuther Festspiele für Wolfgang Wagners größtes künstlerisches Verdienst.
Wolfgang Wagner
Als nächster sprach Bernd Sibler, MdL, Bayerischer Staatsminister für Wissenschaft und Kunst, ein Grußwort und hob den „Mythos Bayreuth“ hervor, an dessen Zustandekommen auch Wolfgang Wagner beteiligt gewesen sei. Dass es auch heute noch auf höchstem Niveau weiter gehe, sei auch das Werk des ehemaligen und langjährigen Festspielleiters.
Stephen Gould als Tannhäuser
Stephen Gould stimmte sodann unter Thielemann die „Romerzählung“ aus dem „Tannhäuser“ an, den er ja bei diesen Festspielen in der Neuinszenierung von Tobias Kratzer verkörperte. Einmal mehr begeisterte der Wagnersche Ausnahmetenor mit seiner intensiven darstellerischen und stimmlichen Interpretation der verzweifelten Lage des Minnesängers nach der Rückkehr aus Rom. Viel Applaus!
Wolfgang Wagner später
Nun ergriff Christian Thielemann sehr beherzt selbst das Wort! Der Erfolg der Dirigenten in Bayreuth sei der Erfolg der Assistenten. Im Graben sei hier alles lauter als gewohnt. Er selbst habe am meisten von Wolfgang Wagner in Bayreuth gelernt. Statt dass – wie man es kennt -eine Lampe aufleuchtet, rief dieser hinein „Es ist zu laut!“ oder „Es ist zu langsam!“. Für den besten Satz aus Wagners Munde hielt Thielemann folgenden: „Dirigieren Sie flüssig!“ Deshalb sei es so außerordentlich wichtig, dass die Assistenten einem sagen, wie die einzelnen Orchstergruppen spielen. Alles ist in Bayreuth eben ganz anders mit der muschelartigen Abdeckung des Orchestergrabens (die den Orchesterklang erst auf die Bühne leitet und der von dort dann zusammen mit der Stimme ins Publikum geht. Daher gibt es eine kurze Verzögerung beim Einsatz der Sänger, ein Bayreuther Phänomen, mit dem nicht alle Dirigenten zurechtkamen, u.a. auch Georg Solti im “Ring“ nicht… Anm. d. Verf.).
Günther Groissböck in Bayreuth
Nun kam der österreichische Bassist Günther Groissböck schon im Hinblick auf seinen Wotan im kommenden „Ring“ ab 2020 mit „Wotans Abschied und Feuerzauber“ aus dem 3. Aufzug der „Walküre“ auf die Bühne. Er überzeugte mit einem emotional intensiv und stimmlich profunden Vortrag, bei klararweise sehr guter Tiefe und exzellenter Diktion. Man kann gespannt sein auf seinen szenischen Wotan in den kommenden Jahren, zumal Günther Groissböck auch ein hervorragender Sängerdarsteller oder besser noch -gestalter ist. (Siehe auch meinen Bericht von seinem Liederabend im Markgräflichen Opernhaus zu Bayreuth in diesem Heft).
Ioan Holender
Nun war es an der Reihe von Ioan Holender, dem ehemaligen Direktor der Wiener Staatsoper, die Festansprache auf Wolfgang Wagner zu halten. Es wurde eine interessante und teilweise auch amüsante Rede. „Das ist hier ein heiliger Raum mit einer von Menschen geschaffenen Kultur“ begann Holender seine Hommage and Wolfgang Wagner, und fügte hinzu, dass dies besonders auch Wolfgang Wagner zu verdanken ist. Für Holender war er ein Visionär und freundlich gebliebener Menschenkenner, oder wie Walter Jens es einmal ausdrückte, ein „fränkischer Sokrates“, oder mit Harry Kupfer zu sprechen, „Der letzte wirklich große Theatervater“. Wagner war stark, kompromisslos gegebener anderen und sich selbst bis hin zur Selbstaufgabe, und er genoss bis ins hohe Alter einen jugendlichen Zug. „So machen wir’s“ war oft von ihm zu hören. Er war ein Meister von verschachtelten Formulierungen, wusste aber stets genau, was er sagen wollte.
Wolfgang Wagners "Parsifal"
Was die Aufführungstradition des Oeuvres seines Großvaters anging, meinte Wolfgang Wagner immer, dass es absurd sei, den „Ring“ so aufzuführen, wie er zu Zeiten Richard Wagners aufgeführt wurde. „Das Werk meines Großvaters muss immer von unserer Gegenwart aus betrachtet werden“, sagte er einmal und dazu müssten zeitgemäße Stilmittel zum Einsatz kommen. Holender betonte auch, dass die Gründung der Richard-Wagner-Stiftung im Jahre 1973 Wolfgang Wagners Verdienst gewesen sei. „Kein anderer aus der Kunst hätte das so geschickt angepackt.“ Wir sind nun die Nutznießer seiner Taten, wie auch jener seines Bruders, denn die Wiedereröffnung der Bayreuther Festspiele nach nur sechs Jahren nach Kriegsende war ein Wunder! Und damals war ihr Fortgang mehr als fraglich. Aber beide merkten, dass die Stücke weitergeführt werden mussten. „Es muss auch solche Käuze geben wie im Regietheater“ sagte Wolfgang Wagner einmal und brachte dann epochemachende Regisseure nach Bayreuth. Und dies auch gegen den Wunsch der Wagner-Altvorderen. Seine letzte „Meistersinger“-Aufführung am 28. August 2002 hatte 48 Vorhänge – so etwas hatte auch Ioan Holender noch nie erlebt. An diesem Abend, und das merkte man, erlebten wir alle etwas Endgültiges, den Rückzug Wolfgang Wagners von der Regie, meinte er, und das fiel mit der heftigen Diskussion um seine Nachfolge zusammen. Nostalgie schwebte an diesem Abend mit…
Die "Werkstatt Bayreuth"
Nur zweimal inszenierte Wolfgang Wagner Werke anderer Komponisten, erinnerte Holender dann, und zwar „Bruder Lustig“ von Siegfried Wagner an der Staatsoper Berlin, als er etwa 25 Jahre alt war, und 11 Jahre später „Don Giovanni“ am Braunschweiger Staatstheater. Er hat auch den Vorhang zwischen Ost und West gelockert. So inszenierte er 1985 die „Meistersinger“ in Dresden. Er kämpfte um und für jeden Künstler aus der ehemaligen DDR, dass sie nach Bayreuth kommen konnten.
Wolfgang Wagner als Bauherr
Was persönliche Kontakte mit Wolfgang Wagner angeht, erzählte Ioan Holender anschließend, dass er einmal den Gunther in der „Götterdämmerung“ sang, als Wolfgang Wagner im Publikum saß. „Leider blieb es ohne Folgen für mich…“, was mit Erheiterung im Publikum quittiert wurde. Für Holender ist Bayreuth das „Höchste aller Festspiele der Welt“. So besetzte er in seiner Agentenzeit nie Sänger, die für Bayreuth in Frage kommen konnten. Wenn Wolfgang Wagner einen Sänger aus Wien brauchte, schrieb er Holender immer persönliche Briefe – „und man konnte nie nein sagen!“ Der ehemalige Wiener Staatsoperndirektor brachte auch seinen Respekt für Katharina Wagner zum Ausdruck, dass die Sängerhonorare noch immer wie bei Wolfgang Wagner seien. Christian Thielemann sei der (musikalische) Ziehsohn des Prinzipals, mittlerweile der meistbeschäftigte Dirigent am Grünen Hügel nach Felix Mottl.
Villa Wahnfried - Hier wuchs WW auf
Und dann kamen noch ein paar interessante statistische Daten. Insgesamt 440 Aufführungen liefen unter der Leitung von Wieland und Wolfgang Wagner, und 960 unter seiner alleinigen Festspielleitung. Nie wurde eine abgesagt! Er war auch ein „wissender Bauherr“ und hat sich immer um die zweckmäßigste und dabei kostengünstigste Sanierung des Festspielhauses gekümmert. So wurde der alte Vorhang 1990 wieder eingebaut. Hinzu kam die enorme Fähigkeit Wolfgang Wagners, die aus aller Herren Länder kommenden Mitwirkenden bei den Proben innerhalb von nur drei Tagen zu einem Ensemble zusammenwachsen zu lassen. Eine enge Zusammenarbeit aller war ihm äußerst wichtig, und er war dabei auch gegebenenfalls Mediator.
Das neue Richard Wagner Museum daneben
„Es ist das Ganze, was zählt, man kann nicht sagen, was Bayreuth genau ist“ summierte Holender zum Schluss seine Eindrücke und fügte noch eine lustige Anekdote hinzu: Die Kantine war wesentlich für Wolfgang Wagner. Da es bei einer Produktion in Tokio keine gab, bestand er auf einen Einbau. Dazu musste extra ein Ausstellungsraum umgebaut werden. „Es geht nicht!“ akzeptierte er nie, und das wäre wohl auch hier der Fall gewesen (Anm. d. Verf.). 1997 war er noch einmal mit „Lohengrin“ in Tokio. „Dann begann die Streiterei“, so Holender. „So, jetzt sterb‘ ich, wann ich will!“ soll Wolfgang Wagner später gesagt haben. Dazu fällt einem nur das Wort des Wanderers zu Alberich im 2. Aufzug des „Siegfried“ ein: „Wen ich liebe, lass' ich für sich gewähren…“ Großer Applaus für Ioan Holender.
Waltraud Meier als Isolde
Zum guten Schluss des Festakts kam dann der musikalische Höhepunkt, weil er auch ein emotionaler wurde. Waltraud Meier, einst durch Wolfgang Wagner vom Grünen Hügel gegangen, weil sie sich wegen anderer Sänger-Verpflichtungen nicht den für alle geltenden Probenplänen unterwerfen wollte oder konnte, trat auf. Damals schon eine großartige Isolde, sang sie unter Thielemanns Stabführung nach dem Vorspiel „Isoldes Liebestod“ aus „Tristan und Isolde“. Sie machte es auf eine wunderbare, innige und einnehmende Art und Weise mit allergrößter Konzentration, dass ich den Eindruck katte, es sei eine allerletzte und damit ewige Versöhnung mit Wolfgang Wagner, um den es ja ging. Ich denke, diesen Eindruck hatten auch viele andere.
Wolfgang Wagners Abschied von Bayreuth...
Es war der emotionale Schlusspunkt eines würdigen Festakts für den Protagonisten eines riesigen Kapitels Bayreuther Festspielgeschichte.
Fotos: Bayreuther Festspiele / Marco Borrelli 2-3, 5, 8, 14
Bayreuther Festsspiele / Karl Sawatzki 7
Stefan Moses aus der Ausstellung „Der Prinzipal – Wolfgang Wagner und die „Werkstatt Bayreuth“ 4,6 – fotograf. v. K. Billand
Ausstellung des RW Museums Bayreuth 1, 9-11, 15 – fotograf. v. K Billand
Klaus Billand 12-13
Klaus Billand