SINGAPUR - Betrachtungen zur EA "Der fliegende Holländer" - Oktober 2016

Zum ersten Mal eine Wagner-Oper in Singapur

Das Victoria-Theater (linker Teil)

Das Victoria-Theater (linker Teil)

Zeit seines künstlerischen Lebens kämpfte Ricard Wagner gegen zwei Phänomene. Erstens gegen die Grand Opéra im Stile Meyerbeers in Paris und zweitens gegen die seiner Meinung nach küstlerisch überkommenen Hoftheater. Für ihn stand die Grand Opéra in erster Linie für ein groß angelegtes Unterhaltungstheater zur Erbauung des Publikums während er dieses mit seinem Oeuvre herausfordern, ja auf Möglichkeiten einer besseren Welt hinarbeiten wollte. Paradoxerweise, aber vor diesem Hintergrund zu erwarten, erzielte Wagner ausgerechnet mit dem Rienzi, der noch viele Elemente der Grand Opéra beinhaltete, seinen ersten großen Erfolg, von dem er deswegen selbst gar nicht so begeistert war. Die Hoftheater waren wirtschaftlich und künstlerisch in einer mehr oder weniger großen Krise, einige mussten gar zu jener Zeit schließen. Wagner war überzeugt, dass sie für die Aufführungen seiner Oper und Musikdramen nicht geeignet waren.

Marina Bay Sands Hotel

Marina Bay Sands Hotel

Nichtsdestotrotz und um das immer fehlende Geld zu verdienen, nahm Wagner die Stelle des Chefdirigenten am Theater in Riga an, welches jedoch ganz seinen Ansichten über die Hoftheater im Allgemeinen entsprach. Er hatte diese Stelle von 1837 bis 1839 inne, überwarf sich aber bald aus künstlerischen Gründen mit dem Theaterintendanten und musste – auch wegen nicht zu erbringender Zahlungen an seine Gläubiger – die Flucht antreten. Diese trat er mit seiner Frau Minna über den Hafen Pillau auf einer kaum seetüchtigen Zweimastbark namens Thetis an, die immer wieder in heftige Stürme geriet und gar einmal zu sinken drohte. Auf dieser Seereise nach London verfestigte sich Wagners Absicht, eine Oper über den Fliegenden Holländer zu schreiben. Von dem Stoff hatte er zuvor aus den Memoiren des Herrn von Schnabelewobski und von Heinrich Heine gehört und diesen studiert. In Dresden hatte der „Fliegenden Holländer“ sodann im Jahre 1842 seine Uraufführung und sie wurde nach anfänglichem Zögern des Publikums und der Presse ein großer Erfolg. Wagner bekam vom Intendanten des Dresdner Hoftheaters den Titel Königlicher Hofkapellmeister mit gutem Salär. Im „Fliegenden Holländer“ verwirklichte Wagner erstmals die wichtige Rolle der Chromatik, des Einsatzes von Halbtonschritten, die vor allem der Welt des fliegenden Holländers zugeeignet waren, während die Welt des Daland in der bekannten Diatonik musikalisch charakterisiert wurde. Das war das eigentlich Neue an Wagners Komposition des „Fliegenden Holländers“ und wurde in den folgenden Werker noch viel intensiver angewandt.

Marina Bay Sands Hotel von unten

Marina Bay Sands Hotel von unten

Der „Fliegende Holländer“ hat einen lange und bewegte Rezeptionsgeschichte, zu der einer Reihe von wichtigeren Interpretationen der jüngeren Vergangenheit hier kurz dargestellt werden sollen. Was den interkulturellen Teil der Rezeptionsgeschichte angeht, sei die künstlerisch sehr bedeutende Erstaufführung des „Fliegenden Holländers“ im brasilinischen Manaus im Bundesstaat Amazonien durch Christoph Schlingensief 2007 an erster Stelle genannt. Zu dem gab es gerade Erstaufführungen in Havanna, Cuba, und in Südkorea, die ich allerdings nicht sehen konnte. Christoph Schlingensief hatte in seiner bekannt offenen und absorptiven Art die acht Wochen seines Aufenthalts in Manaus und dem umgebenden Dschungel mit seinen Dörfern trotz vieler Schwierigkeiten und Unbilden intensiv genutzt, Geschichte, Lebensweise, Traditionen, Mythen, Hoffnungen und Ängste der hier lebenden Menschen zu studieren. Er konnte diese Erkenntnisse und Erfahrungen schlüssig in die Ästhetik seines künstlerischen Konzepts, welches bekanntlich mehr von der Aktionskunst als von den Dimensionen klassischer Opernregie bestimmt ist, einbringen. Dabei flossen auch viele Elemente seiner Bayreuther Parsifal-Inszenierung ein, unter anderem die Drehbühne und die Projektionsflächen, die seine stilisierten Video- und Filmprojektionen sowie die Bilderfluten aufnehmen. In einem gnaden- und nahezu ruhelos voranschreitenden Aktionsrhythmus, inklusive einer Sambatruppe, erlebten wir den „Fliegenden Holländer“ als eine Art Satyrspiel, das auf alle kulturell und kultisch relevanten Elemente der brasilianischen Gesellschaft anspielte und dem Publikum weite Assoziationsfelder eröffnete, ohne dass Wagners Werk in irgendeiner Form instrumentalisiert wurde.

Blick vom Hoteldach

Blick vom Hoteldach

Bevor auf weitere Produktionen der jüngeren Rezeptionsgeschichte eingegangen wird, sei ein wichtiger dramaturgischer Aspekt genannt, der auch für die Produktion in Singapur relevant sein könnte. Man muss sich immer fragen, welche der drei Hauptfiguren im Mittelpunkt stehen soll, der Holländer, Senta oder Daland, oder jeweils zwei der drei Genannten. Die Figur des Holländers ist relativ linear – ihm geht es im Wesentlichen nur um die Erlösung. Ganz anders steht es mit Senta. Sie sieht sich im Spannungsfeld zwischen dem Vater, Erik und dem Holländer. Sie ist somit die Figur in der Oper, die die meisten psychologischen Unwägbarkeiten erlebt. Daland ist im Prinzip nur an seinem materiellen Gewinn interessiert. Es lassen sich in der jüngeren Rezeptiongeschichte gute Beispiele für die dramaturgische Schwerpunktsetzung auf die drei genannten Personen darstellen.

Museum im Wasser

Museum im Wasser

August Everding und Josef Svoboda stellen in ihrem „Holländer“ 1969 in Bayreuth noch ganz klar die Rolle des Holländers in den Vordergrund. Das wird schon etwas anders in der Produktion von Harry Kupfer 1985 in Bayreuth, wo sich Senta die gesamte Oper über auf der Bühne befindet und somit eine dramaturgische Gleichstellung mit dem Holländer bekommt. Zu Beginn der 1990er Jahre stellt Dieter Dorn die Rolle des Daland in den Vordergrund, indem sich alles um dessen Haus dreht. Etwas 2005 inszeniert Claus Guth den „Holländer“ in Bayreuth als tiefenpsychologisches Stück, indem sich Senta einer Parallelerscheinung des Holländers und Daland gegenüber sieht, um so zu zeigen, dass der Holländer vielleicht nur ein Vaterersatz ist. 2007 zeigt Christine Mielitz in Wien das Schicksal des Holländers als ein kollektives. Die Figur tritt in den Vordergrund mitsamt seiner auf dem Schiff leidenden Mannschaft. Auch im Salzburger Landestheater steht der Holländer in einer bildhaften Traumdeutung im Vordergrund der Produktion von Aaron Stiehl. Etwa in derselben Zeit zeigt Peter Konwitschny den „Fliegenden Holländer“ als einen Clash of Cultures, indem sich das Schicksal in einem Fitnessstudio mit Senta und einem aus einer anderen früheren Zeit hervor tretenden Holländer entscheidet. In Tim Alberys Produktion in London Covent Garden 2015 steht wiederum Senta im Vordergrund, denn sie befindet sich das ganze Stück über mit einem Segelschiff auf der Bühne, sogar während der Ouvertüre. Die noch laufende Inszenierung von Philip Gloger in Bayreuth stellt Daland als Unternehmer in den Vordergrund, der nichts als seine Produktion im Kopfe hat. In Budapest ist auch 2016 wieder eine halbszenische Produktion zu sehen, die ganz auf die Rolle der Senta setzt, danach die kommerziellen interessen Dalands thematisiert und den Holländer in einer marginalen Rolle belässt.
Es erscheint also von Bedeutung, sich hinsichtlich der Dramaturgie für eine dieser Lösungen zu entscheiden. Des Weiteren scheint angezeigt, dass sich die Produktion in Singapur eines interkulturellen Ansatzes bedient.

Die „Holländer“ Produktion wird im alten und deshalb sehr traditionsreichen Victoria Theater statt finden. Ein Besuch dort wurde durchgeführt, und es stellte sich heraus, dass das mit 500 Plätzen ausgestatte, voll renovierte Theater trotz seine nicht allzu großen Dimensionen für die „Aufführung“ des „Fliegenden Holländer“ geeignet erscheint. Es ist mit guter Vorhangtechnik ausgestattet, hat einen Bühnenausschnitt von 10 Metern und eine Bühnentiefe von etwa 15 Metern. Auch der Orchestergraben könnte bis zu 55 – dann sehr eng beieinander sitzende – Musiker aufnehmen. Die genaue Zahl der Plätze wird in Kürze vom RW Verband ermittelt werden. Es fanden in dieser Hinsicht auch Gespräche mit dem Dirigenten statt.

Fotos: Klaus Billand

Klaus Billand

Singapur, 24.12.2015

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