Sofia/Nationaloper: Lohengrin B-Premiere - 23. Juni 2024
Ein beeindruckendes Rollendebut!
Parsifal tritt gleich aus der Artusrunde heraus
Nachdem er seit 2010 im Vorjahr bereits zum zweiten Mal mit beachtlicher Attraktivität den „Ring des Nibelungen“ und danach „Tristan und Isolde“, „Parsifal“ sowie den „Fliegenden Holländer“ an der Sofia Opera and Ballett in Szene gesetzt hat, widmete sich ihr Generaldirektor Plamen Kartaloff nun Wagners romantischer Oper „Lohengrin“. Nach der Premiere am 13. Juni war auch die B-Premiere mit anderer Besetzung am 23. Juni, über die hier berichtet wird, fast ausverkauft.
König Heinrich hält Hof
Auch diesmal gab es wieder einen großen Erfolg, wie mit seinem neuen „Ring“ im Vorjahr! Kartaloff blieb mit dem Bühnenbildner-Team seiner bisher ebenso erfolgreichen wie eindrucksvollen Devise treu, das Stück direkt aus der Partitur heraus unter Beachtung von Wagners Regieanweisungen zu interpretieren. Das Team bestand aus Hans Kudlich, Nela Stoyanova und Kristyan Stoyanov, in Zusammenarbeit mit Sven Jonke und Gudrun Geiblinger aus Linz-Eferding, die das Konzept für die phantastische Gerichtseiche konzipiert hatte.
Telramund erhebt Klage gegen Elsa von Brabant
Diese ist ja zentral im 1. Akt und erscheint im weiteren Verlauf in immer variierender Form in vielen Varianten, auch durch eine effektvolle Beleuchtung von Zach Blane und Laser-Effekte von Michel Zollinger. Elsa beim letzten Ruf nach ihrem Ritter und dann Lohengrin bei seiner ersten Erscheinung und der berühmten Frage in ihrem Gipfel zu sehen, und dort zeigt sich im Finale auch Gottfried, nahezu eine junge Kopie von Lohengrin.
Lohengrin erscheint
Kartaloff vermittelt einmal mehr einem zwar nicht besonders Wagner-erfahrenen, aber sehr interessierten bulgarischen Publikum – oft waren es Erstaufführungen an der Sofia Opera und auf dem Balkan durch eine Oper dieser Region – eine Wagners Ideen und Intentionen nahestehende Lesart. Dieser Inszenierungssstil, der keinesfalls als traditionell zu bezeichnen ist, da er durch großen – auch dramaturgischen – Einfallsreichtum besticht und viele der heute zur Verfügung stehenden Mittel des Operntheaters nutzt, geht auf dem Balkan noch voll auf, und Regisseur wie Regieteam bekamen einhelligen und langanhaltenden Applaus.
Der Schwan!
Ganz sicher würde er auch an vielen Opernhäusern in Westeuropa aufgehen und auf ein begeistertes Wagner- und anderes Publikum stoßen, wenn dort nicht der immer mehr aus dem Ruder laufende und stückeverfremdende Regietheater-Stil trotz aller Budgetbeschränkungen immer fröhlichere Urständ feiern würde…
Das Quintett vor dem Kampf
Es beginnt schon während des zunächst vor geschlossenem Vorhang erklingenden Vorspiels mit einer großartigen Idee! Man sieht das beeindruckende Schlussbild des Sofioter „Parsifal“ von Plamen Kartaloff mit der Artusrunde um den durch eine Gegendrehung von Seilen sich langsam bildenden bühnengroßen Gralskelch. Parsifal in Kapuze tritt aus der Runde heraus und geht zur Seite ab – er hat den Ruf Elsas vernommen! Der Vorhang schließt wieder. Das ist endlich einmal eine sinnvolle, partielle Bespielung eines Vorspiels, bei der oft schon ganz andere Geschichten gezeigt werden als jene, die der Komponist eigentlich im Auge hatte.
Im Schatten der Gerichtseiche werden intensive und stets zur Musik passende Momente erzeugt, die auch eine ständige Spannung des Geschehens aufrecht erhalten. Auch wenn einige Tableaus mit dem Chor des Bulgarischen National-Radios auf über 80 Personen verstärkten Chor der Sofia Opera, von Violeta Dimitrova und Ljubomira Alexandrova einstudiert, bisweilen etwas statisch wirkten. Die Kostüme von Mario Dice waren vielfältig, wenn auch nicht immer ganz schlüssig zum Thema passend, was den Chor betrifft. Denn die Brabanter waren alles andere als Mönche, und die schulterfreien Damen passten somit erst recht nicht dazu, eher in eine „Carmen“-Inszenierung.
Telramund im 2.Akt
Der niederösterreichische Bariton Thomas Weinhappel, dem 2017 als erstem Österreicher für seine künstlerische Leistung als Hamlet der begehrte „Thalia Award“ mit dem Titel „Bester Opernsänger des Jahres“ verliehen wurde und der sich währender Pandemie stimmlich ins dramatische Bassbariton-Fach weiterentwickelte, war für sein Rollendebut als Telramund von der Sofia Opera eingeladen worden. Es gelang schlicht und einfach glanzvoll.
Telramund und Ortrud im nächtlichen Dialog
Weinhappel zeigte eine stimmlich ebenso klangvolle wie ausdrucksstarke Interpretation des unter ständigem Druck stehenden Grafen von Telramund, mit sehr guter Resonanz und perfekter Diktion – man verstand jedes Wort! Hinzu kam sein außergewöhnlich intensives und Emotionen authentisch wiedergebendes Bühnentalent, mit dem er die Figur an diesem Abend zu einem besonderen Erlebnis machte. Selten war ein Debut in einer so anspruchsvollen Wagner-Partie so souverän und erfolgreich. Es gab im 2. Akt mehrfach Szenenapplaus.
...und in der Auseinandersetzung
Auch mit seiner bulgarischen Partnerin Gabriela Georgieva, die unglaublicherweise an diesem Abend mit der Ortrud zum zweiten Mal ihre erste Wagnerrolle sang und die hochdramatisch agierte mit ebenso intensivem Ausdruck wie Weinhappel. So wurde ihr Zwiegespräch zu Beginn des 2. Akts zu einem Höhepunkt des Abends.
Elsa im 2. Akt
Radostina Nikolaeva war diesmal die Elsa und sang die Rolle mit ihrem klangschönen und stabilen Sopran, durchaus auch mit Spinto-Qualität. Allein ihr Spiel wirkte etwas verhalten, passte damit aber auch zur Rolle. Bjarni Thor Kristinsson war ein souveräner und ehrfurchtgebietender König Heinrich mit ausdrucksstarkem Bass, nicht immer ganz intonantionsrein.
Großes Tableau im 2. Akt
Simon O’Neill war ein Lohengrin von internationalem Format, mit einem kraftvollen und technisch gut geführten Tenor mit allerdings begrenzten Potenzial in der vokalen Nuancierung. Er war leider von der Maske mit einer unglücklichen strohblonden Perücke und etwas bizarren Kostüm benachteiligt, während der Kostümbildnerin Ljubomira Alexandrova für alle anderer portagionsuten sehr gute Lösungen einfielen. Atanas Mladenov lieferte, wie immer mit hoher Qualität, einen ausgezeichneten Heerrufer. Er ist ein ganz großes Talent der Sofia Opera!
Telramund klagt Lohengrin an
Evan-Alexis Christ, der in Sofia immer mehr das deutsche Fach dirigiert, hatte diesen „Lohengrin“ seit März über sechs Wochen mit den Orchester der Sofia Opera einstudiert und konnte nun die Früchte seiner Arbeit ernten. In einem engagierten und oft im rechten Moment dynamischen und bisweilen auch expressiven Dirigat ließ er hören, dass das Orchester der Sofia Opera und Ballett sich mittlerweile seit 14 Jahren sehr gut mit Wagner angefreundet hat. Vor 2010 gab es ihn hier ja fast gar nicht!
Gottfried erscheint im Finale
Man merkte Christ an, dass er nun eine sehr enge Beziehung zu diesem Ensemble entwickelt hat, welches ihn schon zu Beginn der Oper mit Bodenstampfen wie in Bayreuth begrüßte. Auch für ihn war dieser „Lohengrin“ ein Debut, welches großartig gelang und zu entsprechendem Schlussapplaus führte. Ende Juni 2025 beginnt das III. Wagner Festival in Sofia, dessen Programm schon feststeht, mit einem neuen „Tannhäuser“.
Fotos: Svetoslav Nikolov
Klaus Billand